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Blutiges Drama von Giuseppe Verdi

Das Opernhaus Zürich präsentiert als letzte Opernpremiere in dieser Saison eine anspruchsvolle Neuproduktion: Giuseppe Verdis „I vespri siciliani“. Es ist ein düsteres, sexuelle Gewalt und Unterdrückung zelebrierendes Werk, inszeniert vom spanischen Regisseur Calixto Bieito, bekannt für seine emotionsgeladenen Inszenierungen.

Verdis Oper liegt die „Sizilianische Vesper“ zugrunde, ein äusserst blutiges historisches Ereignis: Am Ostermontag 1282 wurde von den Sizilianern ein Massaker an ihren französischen Besatzern verübt, bei dem Tausende Franzosen und Sizilianer der Tod fanden. Thematisiert wird im Libretto auch die sexuelle Gewalt gegen unterdrückte Frauen. Brutal nehmen sich hier die Besatzer, was sie als ihren Besitz betrachten – vor allem die sizilianischen Frauen.

Ein nüchterner Container-Hafen

Der spanische Regisseur Calixto Bieito ist bekannt für seine direkten, schonungslosen Gewaltdarstellungen und emotionsgeladenen Inszenierungen. Er lässt die Geschichte in einem nüchternen Container-Hafen mit Neonröhrenbeleuchtung spielen. Die Bühne ist dunkel, die Frauen und der Chor sind rabenschwarz gekleidet, die Szenerie wirkt düster und unheimlich. An den weissen Wänden der Container werden je nach Szene Videobilder von Aufständischen gezeigt.

Beklemmende Szenerie, verstärkt durch Videoprojektionen. (alle Bilder Opernhaus Zürich/Herwig Prammer)

Die Gewalt wird vor allem gegenüber den Frauen ausgeübt. Schon am Anfang wird die Leiche einer Vergewaltigten von den Franzosen reingetragen. Schlimm wird es dann im dritten Akt, als sich die Besatzer auf der Bühne sizilianische Frauen brutal nehmen, zwei auf offener Bühne, vier werden in einen Container gesperrt und dort vergewaltigt. Nachdem die Männer wieder rausgekommen sind, öffnet sich der Container. Man sieht die vier missbrauchten, nackt am Boden kauernden Frauen in grellem Neonlicht.

Im Gegensatz dazu wirkt die Duchessa Elena sehr emanzipiert. Sie ist im Umfeld all dieser Kriegsherren die einzige weibliche Stimme, die sich markant erhebt. Die Partie ist äusserst schwierig zu singen, Verdi verlangt sehr hohe und sehr tiefe Töne und eine bewegliche Stimme, die von virtuosen Koloraturen zu lyrischen Legati wechselt.

Maria Agrestas engagiertes Lied

Die italienische Sängerin Maria Agresta nahm sich dieser technischen Herausforderung an. Sehr beeindruckend war ihr Lied im ersten Akt, zu dem sie in aller Öffentlichkeit vom betrunkenen Besatzer Roberto gezwungen wurde. Agresta steigerte sich zunehmend in die symbolisch verhüllte Aufforderung, sich endlich gegen die Besatzer aufzulehnen. Das hatte Feuer und Kraft – die Sizilianer im Chor schöpften dadurch neuen Mut.

Diese Oper ist von Anfang an düster und dramatisch. Hoch emotional ist zudem die Vater -Sohn Tragödie zwischen Monforte, dem Anführer der Franzosen, und dessen illegitimen Sohn Arrigo, der zu den Aufständischen gehört. Das Vater -Sohn Motiv ist typisch für Verdi, doch hier wird es in einem nicht enden wollenden Ringen emotional aufgeladen und ausgespielt.

Politisch spielt sich ein Drama ab, und in der Liebe ist alles kompliziert. Sergey Romanovsky als Arrigo, Maria Agresta als Duchessa Elena.

Quinn Kelsey verleiht dem Montforte, der in erster Linie um die Liebe seines Sohnes ringt, mit seiner agilen Bassstimme eine vielschichtige Kontur. Beeindruckend ist auch seine starke Bühnenpräsenz. Arrigo hasst seinen Vater, den Anführer der Besatzer. Und doch rettet er diesen vor einem Attentat seiner Freunde, er verrät sie. Sergey Romanovsky spielt diesen Zwiespalt mit voller Hingabe, sein geschmeidiger Tenor passt ausgezeichnet zu Kelseys sonorem Bass.

Die unmögliche Liebe

Für Arrigo ist der emotionale Zwiespalt gleich doppelt schlimm. Nicht nur, dass sein Vater der Anführer der Feinde ist. Er liebt auch die Herzogin Elena, was er als Sohn des Feindes nicht darf. Montforte verbietet ihm diese Liebe ausdrücklich. Arrigo bleibt aber standhaft, die Liebe zu Elena ist ihm wichtiger. Die Hochzeitsglocken werden jedoch zum verhängnisvollen Signal für den Aufstand, das Massaker nimmt seinen Lauf.

Brutale Szenen auf der Bühne.

Für den Aufstand und das Massaker verantwortlich ist Giovanni di Procida, den Alexander Vinogradovsky mit heldischer Stimmkraft beeindruckend darbot. Maria Agresta und Sergey Romanovsky meistern ihre Monsterpartien gut, auch wenn Agresta im zweiten Teil – der übrigens auf leergeräumter Bühne spielt – mit einigen Intonationsproblemen zu kämpfen hatte. Sie passen als Paar gut zusammen und gestalten den Wechsel zwischen Hass und Liebe nicht nur technisch bravourös, sondern auch mit emotionaler Kraft und Hingabe.

Starke Präsenz des Orchesters

Die Philharmonia Zürich wirkte unter der Leitung des kroatischen Dirigenten Ivan Repušić sehr präsent. Leichtfüssige Rhythmen und markante Holzbläser-Soli wechselten mit wuchtigen Tuttis. Bei der Begleitung der Sänger wurde auf klangliche Nuancen geachtet, das Heldische wurde in den rhythmisch präzisen und gerne lauten Choreinsätzen voll ausgespielt. Die emotionale Kraft von Verdis Musik wird vom Orchester klangintensiv vermittelt.

Sieht so ein Sieger, ein Kriegsheld aus? Ihm zu Füssen liegen all die vergewaltigten und getöteten Frauen.

Über drei Stunden dauert dieses dunkle Kriegsdrama, das in einem sehr nüchternen Raum spielt. Das Werk ist musikalisch und szenisch sehr komplex und anstrengend, nicht nur für die Künstlerinnen und Künstler, auch für das Publikum. Das Leitmotiv ist die Gewalt an Frauen, die zum Schluss beim Massaker in einem Berg von Frauenleichen gipfelt. Bieito zeigt markante «lebendige» Bilder, die einem noch lange verfolgen.

Weitere Vorstellungen: 13, 20, 23, 28 Juni; 4, 7, 10, 13 Juli 2024

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