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Heugeruch im Museum

Olaf Holzapfel ist der 17. Gewinner des Zurich Art Prize 2024. Er präsentiert seine Arbeiten im Zürcher Haus Konstruktiv unter dem Titel «Der Mantel», nach einer Raumskulptur aus Schilfrohr. Seine Fachwerkstrukturen und Flechtwerke vermitteln Stabilität, seine Bildobjekte leuchten und duften.

Ein Geruch von Heu empfängt die Besucherin im Zürcher Haus Konstruktiv. Die Heu- und Strohbilder des Konzeptkünstler Olaf Holzapfel knüpfen an traditionelle ländliche Techniken an, ebenso die Skulpturen aus Holz und Reet, hierzulande Schilfrohr genannt. Als diesjähriger Gewinner des Zurich Art Prize, Seniorweb berichtete über die Preisverleihung, stellt Olaf Holzapfel sein Schaffen in Zürich vor. Geboren 1967 in Dresden, lebt und arbeitet der Künstler in Berlin und Brandenburg.

Museumsdirektorin Sabine Schaschl und Olaf Holzapfel im Künstlergespräch vor dem Strohbild «Ozean Norden»

Früher galt sein Interesse städtebaulichen Strukturen und digitalen Rastern im Netz. Heute sucht Olaf Holzapfel «Dualitäten wie Stadt und Landschaft, Innen- und Aussenraum sowie virtuelle und reale Bildräume künstlerisch aufzulösen und als etwas Fliessendes zu beschreiben». Auf ausgedehnten Reisen entdeckte und erkundete er organische Materialien wie Pflanzenfasern, Reet, Heu, Weide, Stroh oder Holz für sein künstlerisches Schaffen. Um damit zu arbeiten, steht er mit einheimischen Kunsthandwerkerinnen und -handwerkern im Dialog und entwickelt gemeinsam mit ihnen seine Werke.

«Mantel», 2024, Raumskulptur aus gebündeltem Schilfrohr und Röhren aus Weidegeflecht, «Bäume» genannt, 2022. Foto: Stefan Altenburger

Im Erdgeschoss wird zum Auftakt der Ausstellung ein raumfüllendes Setting präsentiert aus einer U-förmigen Raumskulptur aus gebundenem Schilf, einer offenen Holzfachwerkstruktur sowie fünf am Boden liegenden Röhren aus geflochtener Weide, die Bäume versinnbildlichen. Aus Bäumen entstehen Holzbalken für Fachwerkkonstruktionen, das Material der Zimmerleute.

Die halbgeschlossene titelgebende Raumskulptur aus Schilfrohr Der Mantel wirkt wie eine schützende Umhüllung. Sie ist begehbar und lässt einen die dämmende Wirkung spüren. Das Werk erinnert an die Strohdächer, die hierzulande wegen Brandgefahr weitgehend verschwunden, aber im Norden Deutschlands noch häufig anzutreffen sind. Schilfrohr bzw. Reet ist eines der ersten Bedachungsmaterialien der sesshaft gewordenen Menschen. Es ist in der Natur leicht zu finden und wird in Bündeln mit Strohseilen zusammengehalten und am Dachstock befestigt.

«Alphabet», 2024. Offene Fachwerkstruktur aus Douglasie. Foto: Stefan Altenburger

Die offen angelegte Fachwerkstruktur Alphabet erarbeitete Holzapfel gemeinsam mit Zimmerleuten aus dem Harz nach regionaler Bauweise. Fachwerkbauten lassen sich bestimmten Regionen zuordnen, auch in der Schweiz. Die einzelnen Bauteile haben Bezeichnungen wie Riegel, Schwelle, Strebe, Fuss- und Kopfband und werden ohne Metallschrauben zur tragenden Holzstruktur ineinandergefügt. Der Künstler überführt «die traditionelle Handwerkstechnik in die Gegenwartskunst und zeigt, wie Natur und Kultur, Tradition und Moderne einander bereichern», schreibt Kuratorin Sabine Schaschl im Saalblatt.

Heubilder: «Lichtbild 4 Horizonte», 2014 (Bild links), «Lichtbild 2-3», 2014 (Bild rechts)

Im ersten Stock werden Olaf Holzapfels neuere Arbeiten aus den Werkgruppen der Stroh- und Heubilder gezeigt. Die Bildobjekte aus Heu riechen stark und lassen Erinnerungen hochkommen. Bunte Blumen, Kräuter und Gräser aus saftigen Wiesen werden in getrockneter Form zu Werken zwischen Objekt und Bild verflochten. Sie erscheinen wie Textilien oder Wandteppiche aus Heuschnüren auf einem Holzrahmen. Der Künstler nennt sie Lichtbilder, da Heu und Stroh in vielen Kulturen im Alpenraum oder auch im bäuerlichen Japan symbolisch für Licht und Sonne stehen

Herstellung einer Heuschnur am Festival in Tilburg NL, 2016. Videostill rv

Die Herstellung von Heuschnüren lernte Olaf Holzapfel in Polen kennen, wo er sie auch für seine Heubilder anfertigen lässt. Wie Heuschnüre hergestellt werden, zeigt ein Video, das anlässlich der Eröffnung des Festivals im niederländischen Tilburg 2016 aufgenommen wurde. Freiwillige stellten sich zur Verfügung, eine Heuschnur herzustellen. Die Helfer stehen mit je einem Meter Abstand nebeneinander und zwirnen Heu bis sich eine acht Meter lange dicke Schnur ergibt.

Blick in die Ausstellung, Strohbilder

Kunstvoller Schmuck und Bilder aus Stroh sind auch in der Schweiz bekannt, wie das Aargauische Strohmuseum in Wohlen zeigt. Doch Olaf Holzapfel sucht für seine Strohbilder eigene Ausdrucksmöglichkeiten nahe der geometrisch-konkreten Kunst. Er färbt die Strohhalme im Atelier mit natürlichen Färbemitteln, legt und befestigt sie auf einer Holztafel in geometrisch-strukturierte Formen. Nur eine feine Vorzeichnung gibt die Richtung vor.

Detail aus dem Strohbild «Im Schatten», 2024

Die Kompositionen der Strohbilder werden durch die Länge der Halme bestimmt und lassen innerbildliche Geometrien entstehen. Durch Biegen der Strohhalme ergeben sich Kanten, die eine Form prägen. Je nach Lichteinfall sind die geometrischen Elemente im Bild unterschiedlich wahrnehmbar, einmal treten sie hervor, einmal weichen sie zurück.

«Im Auge gelbes Licht», 2024 (Bild links). «In Vielem und Einem», 2022 (Bild rechts). Die Leuchtkraft von Olaf Holzapfels Strohbilder haben eine magische Wirkung.

Natürliche Färbemittel gibt es nur in einer beschränkten Zahl, darunter Rot-, Blau- und Grüntöne. Gelbtöne hingegen fehlen weitgehend. Für das Strohbild Im Auge gelbes Licht benutzte der Künstler eine gelb gestrichene Holztafel und formte die natürlichen Halme darauf, was einen besonderen Effekt erzeugt. Die gelbe Farbe des Grundes strahlt durch die Zwischenräume der in Abständen angeordneten hellen Halme hindurch und lässt das Bild fast überirdisch leuchten.

Titelbild: Strohbilder, Ausstellungsansicht. Foto: Stefan Altenburger
Fotos: Stefan Altenburger Haus Konstruktiv und rv

Bis 8. September 2024
«Olaf Holzapfel, Der Mantel», Ausstellung im Haus Konstruktiv, Zürich

s.a. Eva Caflisch, Haus Konstruktiv: «Wir haben eine Zukunft!»

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