Auf dem Einsiedler Klosterplatz herrscht Volkstheaterstimmung. Gespielt wird Calderón de La Barcas barockes Welttheater mit Hunderten Laiendarstellern. Für das 100-Jahr-Jubiläum hat Lukas Bärfuss eine neue Fassung geschrieben.
Zwei steile gedeckte Tribünen mit gut 2000 Sitzplätzen umsäumen den imposanten Klosterplatz mit der mächtigen Klosterfassade. Seit 1924 werden auf diesem Platz Calderón`sche Spiele aufgeführt, in diesem Jahr zum 17. Mal. «Aufgeführt wird nichts weniger als die Biggest Show on Earth», verkündet Autor Lukas Bärfuss im Programmheft, der zusammen mit Livio Andreina die künstlerische Leitung für die diesjährige Aufführung übernommen hat.
In Calderóns Welttheater geht es um Leben und Sterben, um Macht und Gerechtigkeit mit Gott als Autor. Lukas Bärfuss hat das Stück mit heutigen Weltproblemen erweitert: Klimakrise, Pandemie, Krieg. Und Gott ist bei ihm ein Erzähler, der von der göttlichen Ordnung befreit ist und die Welt als Theater und das Theater als Welt sieht. Vor ihm haben die zeitgenössischen Autoren Thomas Hürlimann (2000 und 2007) und Tim Krohn (2013) überarbeitete Versionen von Calderóns Welttheater geschrieben. Geboten wird ein Theaterspektakel mit Hunderten Laiendarstellern aus Einsiedeln und Umgebung, darunter 40 Musikerinnen und Musiker und 70 im Chor. Die Premiere bei regnerischem Wetter fand begeisterte Zustimmung. Das Publikum bedankte sich mit Standing Ovation.
Kinder, die unbedingt spielen wollen
Das Welttheater ist abgesagt, verkündet der Autor im weissen Anzug mit Hut und Stock zum Start der Aufführung. Die aufmarschierten Herrschaften – der Bauer, der König, der Arme, der Reiche – haben keine Lust mehr, das tradierte Stück zu spielen, begnügen sich fortan als Zuschauer auf den Arkaden. Doch da sind die beiden Kinder Emanuela und Pablo, die unbedingt spielen wollen, wenn`s sein muss, halt alle Rollen. Und so werden sie in den Weltenlauf mit seinen Freuden, Plagen und Katastrophen gerissen. Kinder, verkleidet als seltsame Wesen, bevölkern die Open-Air-Bühne, etwa mit Strohhalm bedeckte oder mit stoffbespannten Ringen versehene Typen. Sie verkörpern tanzend bekannte Naturereignisse wie Plattentektonik, Waldbrand, Hitze, Permafrost, Sturm, machen aktuelle Bedrohungen spür- und erlebbar.
Emanuela (im Vordergrund) stachelt zum Aufstand der Armen und Elenden auf.
Es folgt der Aufstand der Armen und Elenden, angestachelt durch Emanuela als unerschrockene junge revolutionäre Frau. Das Portal der Klosterkirche wird aufgebrochen, die Schätze der Kirche werden geplündert, darunter die berühmte schwarze Madonna, und die erbeuteten Reichtümer bar jeglicher Vernunft ekstatisch als Tanz um das goldene Kalb gefeiert. Dabei wird kurz auch der priesterliche Kindsmissbrauch verbal thematisiert. Doch Emanuela will mehr, entwickelt sich zu einer machtgierigen Despotin, die totalitäre Macht will, wird zur Königin erkoren, die kaltherzig jedes Aufbegehren niederschlägt und ihren Jugendfreund Pablo in einem Handgemenge auf der Hebebühne in den Tod stösst.
Aufstieg und Fall totalitärer Macht
In starken Stimmungsbildern mit wehenden roten Fahnen, goldenen Stoffbahnen, Nebelschwaden und Figuren in Kampfmontur wird Aufstieg und Fall von totalitärer Macht illustriert. Pablo wird mit Wehklagen zu Grabe getragen und am Ende muss Emanuela als Greisin, abgeholt von einem symbolträchtigen Lama, erkennen, dass ihre Welt verschwindet und sie an ihr Ende gekommen ist. Doch neue Kinder wollen spielen. Das Welttheater ist endllos.
Emanuela als Königin thront in luftiger Höhe, abgeschirmt durch Typen in Kampfmontur. Fotos: Welttheater Einsiedeln.
Begleitet wird das Spektakel mit passender klassischer und rockiger Stimmungsmusik, komponiert von Bruno Amstadt und ausgeführt von einem unter den bogenförmigen Arkaden platzierten Orchester. Choreograf Graham Smith hat es meisterlich verstanden, mit dem Einsiedler Spielvolk stimmungsvolle und farbenfrohe Auftritte zu inszenieren. Zu loben ist auch die bunte Ausstattung der Spielenden (Kostüm- und Raumgestaltung: AnnaMaria Glaudemanns). Alles in allem, geboten wird ein gelungenes Volksspektakel zu existenziellen Fragen mit aktuellen Bezügen.
Gespielt wird Calderóns Welttheater in Einsiedeln in 35 Vorstellungen bis 7. September 2024. Mehr unter www.einsiedlerwelttheater.ch