Alt werden ist nichts für Feiglinge. Fürs Hochalter braucht sogar Helden. Der Autor gehört mit 78 bald zur Generation Senior 2.0.
Oh, du holde Jugend, du entschwindest. Ihr AHV-Frischlinge, hört. Ihr Rentner-Neulinge, ihr eben ausgeschlüpften Jung-Seniorinnen, hört. Ihr, die ihr die Berge erklimmt, die Flüsse durchschwimmt, die Pässe hochpedalt. Die Zeit wird kommen, die da heisst Hochalter. In fünf oder in fünfzehn Jahren, mit 80 oder mit 85. Ihr werdet das Morgenberghorn nur noch von unten anschauen. Ihr werdet in der Aare nicht mehr schwimmen, sondern dem Fluss entlang nur noch spazierengehen. Ihr werdet den Klausenpass nur noch mit dem Poschi bezwingen. Das Alter ist nichts für Feiglinge, das Hochalter ist nur für Helden. Vernehmt, welche Widerwärtigkeiten der Autor erlebt.
Sein Wohnort Bern ist eine Bergsteigerstadt. Wenn er von der Aare zur Tramhaltestelle Kursaal hinaufsteigt, muss er 250 Treppenstufen überwinden. Gemessen sind das 50 Höhenmeter, gefühlt sind es Höhenkilometer. Alle reden vom Everest, niemand spricht von der Rabbentaltreppe.
Bern ist eine Sprinterstadt. Von wegen langsame Berner. Äuä. Wenn der Autor vom Hauptbahnhof zur Neuengasse will, gibt ihm eine Lichtsignalanlage den Takt vor. Die Grünphase für Fussgänger dauert 8 Sekunden, die Strasse ist 14 Meter breit. Setzt man nicht pünktlich mit dem Grünstart zum Überqueren an, erfordert das ein Tempo von 7 Stundenkilometern. Kein Problem für Mujinga Kambundji, eine Hetzerei für den Autor.
Mit 70 ein Greis, mit 80 weise. Stimmt wohl nicht für alle. Das Bild ist 1840 entstanden. Damals betrug die Lebenserwartung 45 Jahre.
Beipackzettel von Medikamenten. Der Autor nimmt als unverfängliches Beispiel Viagra. Früher, als es das Medikament noch nicht gab, konnte er die Informationen mit blossem Auge lesen. Jetzt braucht er eine Lupe. Schriftgrösse 3.5 Punkt. Zeitungen werden mit 10 bis 11 Punkt grossen Buchstaben gedruckt. Das Medikament beeinflusst einen männlichen Körperteil. Die Mini-Schrumpf-Schrift spiegelt dessen altersbedingte Rückentwicklung. Und die Wirkung von Viagra? Bitte schön, das hier ist eine Kolumne über das Hochalter.
Weitere Hürden für Hochaltrige: Bargeld ist immer seltener willkommen. Autoleasing, Konsumkredite, höhere Hypotheken sind nichts mehr für uns. Auch die Werbung übersieht uns. Anders die Jüngeren: AHV-Kücken dürfen uns auf Plakaten, Inseraten und im Fernsehen anlächeln. Attraktive Jungseniorinnen negieren per Anti-Falten-Creme ihre Runzeln und präsentieren Golden-Age-Mode. Juniorrentner tschutten mit ihren Enkeln und schauen auf ihren Segeljachten verträumt in den Sonnenuntergang. Wir Älteren, die Generation Senior 2.0, wird bloss noch eingesetzt als Models für Inkontinenz-Schutzhosen und Haftcremen.
So, jammern tut gut. Allerdings nicht als Monothema. Hört ja eh niemand zu, liest ja eh kein Schwein. Hallo, ist noch jemand auf der Seite?
Bild Wikimedia/pst
Ja, ja, ich bin noch da und muss gleich einen Frust loswerden.
Einer meiner lieben Nachbarn, er ist noch berufstätig, will sich aber frühpensionieren lassen, kenne ich nun über 20 Jahre. Wir führten meist bei zufälligen Begegnungen kurze oder lange, immer interessante, humorvolle und auch manchmal auch hitzige Gespräche über Themen, die uns gerade beschäftigten. Ein Gewinn für beide.
Dann kam die Pandemie, die auch mich körperlich und seelisch belastete, wie so viele. Doch mein geschätzter Nachbar kann seither nicht mehr aufhören über alles, wirklich alles, zu jammern. Für ihn gibt es scheinbar nichts Positives mehr, er sieht kein Fünklein Hoffnung weder für die kaputte Natur, noch die korrupte Politik und die profitsüchtigen Banken und Grossunternehmen, ja die ganze Menschheit stehe am Abgrund.
Es kam wies kommen musste, ich hatte letztens die Nase voll und sagte ihm, er sei ja ein liebenswerter Mensch, doch sein dauernder Negativismus sei für mich unerträglich, er ziehe mich runter. Seither ist mehr oder weniger Funkstille zwischen uns, zu meinem Bedauern. Doch ich habe noch Hoffnung und warte ab.
Mein Fazit: Jammern kann Beziehungen zerstören.
Über die Kolumne «Ich bin im hoch, im Hochalter» von Peter Steiger habe ich herzlich gelacht. Wie wahr. Auch ich bin im Hochalter und bin somit eine Heldin. Danke!
Chère Brigitte, gant eu verszanden. Ici bin auch eine Heldin 😉👌
Ich verstehe das Gejammer nicht. Bin seit März 80 und überzeugt, dass ich 122 Jahre alt werde. Ich plane mein Leben also noch für über 40 Jahre. Ja ich habe gute Gene spiele Tennis und besuche Kurse über KI.
Meine Mutter wurde 96, also werde ich 100,
Die Medizin wird in den nächsten 20 Jahren Medikamente erfinden, die Krebs, Alzheimer etc. heilen. Das wichtigste findet aber im Kopf statt. Nur wer sein Alter geniesst und an eine lange, lebenswerte Zukunft glaubt, wird glücklich sehr alt..
Zum Bild: dass die Lebenserwartung 1840 nur 45 Jahre war ist falsch. Auch damals wurde man sehr alt, viele sind aber bereits im Kindsbett oder durch Krankheit, Seuchen früher gestorben.
Lieber Herr Steiger (die Anrede «Lieber» schätze ich z.B. bei Werbeansprachen gar nicht. Wirkt wie herablassendes Schulterklopfen oder plumpe Vertraulichkeit. Aber hier scheint sie mir richtig. Ja – ich bin noch da. In vier Monaten werde ich 80. Den guten Artikel habe ich nicht als «Gejammer» verstanden, sondern als dosierte Ironie. Die Altersbresten nehmen zu, können aber mit Einsatz und ein bitzeli Medizin im Rahmen gehalten werden. Aktiv bleiben ist wichtig. So braucht mich beispielsweise mein Musikverein noch, vor allem mit meinen administrativen Fähigkeiten. Fazit – die noch guten Momente geniessen – der Zukunft mit Fassung entgegensehen. Morgen kann alles anders aussehen …
Ich möchte das Gedicht «Achtung» von Franz Hohler zitieren:
«Wenn du das Alter betrittst
setz den Helm auf
es herrscht Steinschlaggefahr»
Wichtig ist, was im Kopf passiert, damit bin ich einverstanden. Aber wenn die körperlichen Defizite zunehmen, kann es schwierig werden, das Alter zu geniessen und an eine lange lebenswerte Zukunft zu glauben, auch wenn meine Grossmutter fast 100 Jahre alt wurde. Sie starb 1974, drei Wochen vor dem Geburtstag, und war in Zürich älteste Stadtbürgerin. Das sieht heute ganz anders aus.
Ach ja, die Kommentatorinnen und Kommentatoren haben recht. Wer «richtig alt» ist, darf ruhig ein bisschen schusslig und dusslig sein und beim Treppensteigen keuchen. Solange man keine schlimmen Schmerzen hat, sind das alles peanuts. Aber wenn der schlimme Abbau kommt … wünschen wir uns das beste.
Geehrter Herr Steiger, Sie haben mich mit Ihrem humorvollen Artikel amüsiert und entlastet. Danke! Ich lebe im gemütlichen Städtchen Solothurn. Nach dem Stadtbummel lege ich mich gemütlich auf ein Bänkchen in der Lerenzen, neben der Kappelle. Aufgeschreckt werde ich, weil ich einem jungen Mann erklären muss, dass es mir gut geht, genau so. Wie Sie es geschildert haben.
Wie war das doch schön, früher im Gras zu liegen und höchstens missbilligende Blicke oder Bewunderung zu erleben. Ich bin 75 Jahre alt und mein künstliches Hüftgelenk schmerzt, je nach Tagesstatus. Von Aussen wird mir das Alter gespiegelt. Doch, meine Lebensqualität ist noch sehr gut und ich schwimme in der Aare. Als Präsidentin des Seniorentanz-so.ch schaue ich meinen Tanzgästen zu, wie sie fast drei Stunden vergnügt tanzen. 💃 Früher habe ich Nächte durchgetanzt, heute suche ich nach Sitzgelegenheiten. Gestaucht hat mich ein junger Autofahrer, der mich bei der Polizei angeklagt hat, wegen unsicherem Fahren. Jetzt habe ich ein Administrativverfahren am Hals und muss demnächst eine Kontrollfahrt machen. Bereits vier Fahrstunden habe ich interessiert durchgestanden. Zugegeben, ich hatte 22 Jahre GA‘s und bin sehr wenig Auto gefahren. Aber ich hätte den Ausweis in fünf Jahren gerne von mir aus abgegeben. Als Frohnatur lasse ich mir das alt werden nicht vermiesen. Lasst uns Geniessen, was alles noch möglich ist und täglich Glücksmomente bewusst erleben.