Sind ältere Personen im Alter digital fit? Welche digitalen Kompetenzen sind gefragt? Wie können diese Kompetenzen erworben werden? Haben alle älteren Personen Zugang zur digitalen Welt? Ist das nötig? Zu solchen Fragen lud der der Schweizerische Seniorenrat (SSR-CSA) Mitte Juni Interessierte nach St. Gallen ein.
In einem gut besetzten Vorlesungssaal der Fachhochschule OST begrüsste Regierungsrätin Laura Bucher die Anwesenden aus dem Schweizerischen Seniorenrat, aus altersspezifischen Institutionen und Organisationen und weitere Interessierte. Die Digitalisierung habe die Alterspolitik um ein Kapitel erweitert. Es gehe
Regierungsrätin Laura Bucher, Vorsteherin des Departements des Innern des Kantons St. Gallen, seit 2020. (Foto zVg.)
darum, die Digitalisierung in allen Bereichen des Lebens zum Wohlergehen der Menschen zu nutzen. Ältere bräuchten einen barrierefreien Zugang zu den Chancen der Digitalisierung und Ältere dürften durch die Digitalisierung nicht benachteiligt oder gar diskriminiert werden. Es gelte auch im Bereich der Digitalisierung die im Jahre 2022 verabschiedeten „Gestaltungsprinzipien der Alterspolitik: Gutes Alter(n) gemeinsam aktiv gestalten“ in konkretes Handeln umzusetzen.
Lisa Kortmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Altersforschung OST hielt anschliessend ein Referat unter dem Titel „Unsere Gesellschaft im digitalen Wandel: (k)ein Problem für ältere Menschen?!“ Die Kombination von Frage- und Ausrufezeichen am Schluss des Titels wies bereits darauf hin, dass die Digitalisierung für Ältere ein Segen oder ein Fluch sein kann und dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung im Gesundheitswesen und andern altersbezogenen Aktivitätsfeldern der Gesellschaft nicht nur eitel Freude ist.
Die Internetnutzung habe seit Corona vor allem für die Kommunikation mit den An- und Zugehörigen zugenommen. Bei den Hochaltrigen seien wenig Daten verfügbar, aber die Nutzungsunterschiede seien vermutlich erheblich, je nachdem, ob Angehörige oder Altersinstitutionen Barrieren in der Anwendung digitaler Möglichkeiten überwinden helfen. Aber Ältere würden aufholen, allerdings unterschiedlich je nach Zugang, Nutzung und Fähigkeiten.
Lisa Kortmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Altersforschung der Fachhochschule OST (Foto bs)
Zunächst erläuterte Lisa Kormann den Begriff der digitalen Kompetenzen: „Digitale Kompetenzen sind die sichere, kritische und verantwortungsvolle Nutzung von und Auseinandersetzung mit digitalen Technologien für die allgemeine und berufliche Bildung, die Arbeit und die Teilhabe an der Gesellschaft.“ (europäische Kommission 2012). Dabei stehen folgende digitalen Kompetenzen im Vordergrund: 1. Informations- und Datenkompetenz, 2. Kommunikation und Zusammenarbeit, 3. Erstellung digitaler Inhalte, 4. Sicherheit, 5. Problemlösung. Um die eigenen Kompetenzen einzuschätzen und bei Bedarf passende Weiterbildungskurse in der Umgebung zu sichten, gibt es auf der Website der Fachhochschule Ost einen Selbsteinstufungstest, der auch auf Kursangebote zur Verbesserung digitaler Kompetenzen in der näheren Umgebung verweist. https://digitalkompetenz50plus.ch/de/einstufungstest
Am Schluss ihres Referates wies Lisa Kortmann auf Potentiale und Risiken von digitalen Technologien im Alter hin:
Potentiale sieht sie in der Entlastung oder Erleichterung von (Arbeits-)-Prozessen, in der Verbesserung von Gesundheitsleistungen und -vorsorge, in der Förderung von Teilhabe und eines selbstbestimmten Alterns, im Aufrechterhalten sozialer Beziehungen und im leichteren Zugang zu Unterhaltung, Informationen und Lernangeboten.
Risiken von digitalen Technologien ortet sie in der Verstärkung von Ungleichheiten, von Barrieren, Ausgrenzungen, Diskriminierung, aber auch in der Verstärkung von Beeinträchtigungen der Privatsphäre, der Sicherheit etwa durch Internetkriminalität und der Zunahme von Abhängigkeiten, wenn man digital nicht kompetent navigieren kann.
Co-Präsidentin Elisabeth Waeber-Kalbermatten und Co-Präsident Reto Cavegn des Schweizerischen Seniorenrates (SSR) führten durch die Veranstaltung. Seniorweb wird die beiden im August 2024 näher vorstellen. (Foto bs)
Anschliessend zeigte Gian Luca Casella, Generalsekretär Associazione Ticinese Terza Età (ATTE), wie ein gut funktionierender Digitalsupport für Ältere im Tessin umgesetzt wird. Dabei unterstützen Freiwillige im Kanton Tessin ältere Menschen in 14 Tagesstrukturen bei der Anwendung neuer Technologien. ATTE ist ein privatrechtlicher Verein, wurde 1980 gegründet mit dem Zweck der nichtprofessionellen Alltagsunterstützung und Vernetzung
Gian Luca Casella, Generalsekretär ATTE (Foto bs)
von Menschen im Alter. Er zählt zurzeit 11 000 Mitglieder. Vom Oktober 2023 bis Juni 2024 bespielsweise gaben 12-15 Freiwillige und Studenten in 91 Treffen ihr digitales Know How an 540 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (vor allem Frauen im fortgeschrittenen Alter) weiter. Dabei werden nicht Vorträge über Digitalisierung gehalten, sondern individuell wird digitaler Support geleistet, etwa beim Installieren von Apps, bei Fragen bezüglich der Funktionen von Whatsapp, bei der Verwaltung von Bildern oder von E-Mails usw. Der Support findet guten Anklang. Deswegen werden weitere Freiwillige gesucht und es sollen weitere Standorte geschaffen werden. Zudem ist die Erstellung von schriftlichen Unterlagen und Kurzfilmen über oft gestellte Fragen geplant. Die Präsentation von Gian Luca Casella wirkte sehr überzeugend, so dass es nicht überraschte, als eine Teilnehmerin am Schluss des Vortrags bat, die Unterlagen auch in der Deutschschweiz zugänglich zu machen, insbesondere für italienischsprachige Personen.
Titelbild aus freepik
Webseite des Schweizerischen Seniorenrates
Website von ATTE (italienisch)
Die „Gestaltungsprinzipien der Alterspolitik“ des Kantons St. Gallen (77 S.) wurden im Jahre 2022 in einer Broschüre zusammengefasst. „Digitalisierung und neue Technologien“ ist eines der Handlungsfelder der sanktgallischen Alterspolitik. (S. 10)