Das Kunst Museum Winterthur zeigt in der Ausstellung «Low Land, New Heights» niederländische Landschaftsbilder aus dem 17. Jahrhundert im Umfeld von Land Art und Videokunst der 1970er Jahre.
Das flache Land, Mijn Vlakke Land, besang einst Jacques Brel (1929-1978), der flämische Chansonnier:
Wenn die Nordsee sich oben an hohen Dünen bricht
Wenn die Luft so grau wie Schiefer ist
Wenn der Nordwind uns unseren Atem stiehlt
Dann kracht mein Land. Mein flaches Land
Es sind poetische Bilder auf eine Landschaft, die vierhundert Jahre früher niederländische Maler mit Pinsel und Farbe auf die Leinwand brachten. Die raue Nordsee, Wind und Regen und das weite flache Land stehen bei ihnen im Zentrum, wo «unter den Wolken die Menschen Zwerge sind», so Jacques Brel.
Pieter de Molijn (1695-1661), Stürmische Dünenlandschaft, um 1626/1630. Foto: rv
Die niederländischen Künstler des 17. Jahrhunderts schufen «veritable Topographien ihrer Heimat», schreibt die Kuratorin Andrea Lutz. Dünen- und Küstenlandschaften, Wasser, soweit das Auge reicht. Den «niederen Landen» entsprechend legten die Maler in ihren Bildern den Horizont tief, und über dem Himmel breiten sich die Wolkengebilden aus.
Willem van de Velde d.J. (1633-1697) Stille See, 17. Jahrhundert
Grosse Flächen der Niederlande liegen unter dem Meeresspiegel. Wind und Wasser sind eine ständige Gefahr und fordern die Menschen seit jeher zu technischen Innovationen heraus. Die Windkraft wurde als Energiequelle für Windmühlen genutzt, mit denen nicht nur Sägereien und Mühlen betrieben wurden, sondern auch der Wasserspiegel im Inland reguliert werden konnte. Der Seehandel brachte der Bevölkerung Wohlstand und Reichtum, zumal die Westindische Compagnie nicht nur mit Zucker und Kaffee handelte, sondern auch mit Menschen. Die Sklaverei schaffte die Niederlande als eines der letzten Länder erst 1863 ab.
Simon de Vlieger (1600/1601-1653), Stille See mit ankerndem Dreimaster, um 1640 (Ausschnitt). Foto: rv
1648 hatte sich Holland von der 80-jährigen spanischen Herrschaft befreit und entwickelte ein neues Selbstbewusstsein. Die Maler waren nicht mehr auf Aufträge von Kirche und Adel angewiesen, sondern malten für einen freien, bürgerlichen Markt. Die heimische Landschaft wurde Teil der nationalen Identität und zum beliebtesten Bildthema, besonders bei der Stadtbevölkerung. Ein Stück Natur gelangte in die dunkle Stadtwohnung.
Jan van Goyen (1596-1656), Ansicht von Dordrecht, 1646. Die tonale Malerei mit reduzierter Farbpalette war beliebt.
Die grosse Nachfrage veranlasste die Landschaftsmaler, sich auf bestimmte Themen zu spezialisieren wie Dünen- und Flusslandschaften, Ansichten holländischer Städte, See- und Marinebilder. Dabei beschränkten sich einzelne Künstler wie Jan van Goyen oder Pieter de Molijn auf eine monochrome Palette in wenigen, tonal abgestimmten Farbwerten.
Jan van Goyen trug seine Farbe zügig auf die Leinwand oder die Holztafel auf und liess den Malgrund durchscheinen. Er soll seine besten Bilder jeweils innerhalb eines Tages gemalt haben und schuf insgesamt über 1’200 Gemälde. Doch reich wurde er nicht. Seine Spekulationen mit Grundstücken und Tulpenzwiebeln wurden ihm, wie vielen anderen, zum Verhängnis.
Jacob Isaackszoon van Ruisdael (1629-1682), Landschaft mit Eiche, um 1660. Eichen in unterschiedlichen «Lebensaltern» schaffen einen symbolhaften Bezug zum Menschen.
Die niederländischen Landschaftsbilder scheinen in den Einzelheiten «realistisch» gemalt zu sein. Die Maler machten durchaus Studien in der Natur, doch im Atelier verbanden sie diese mit ihrer Fantasie zu den typisch «holländischen Ideallandschaften». In der zweiten Jahrhunderthälfte malte Jacob Isaackszoon van Ruisdael stimmungsvolle und symbolhafte Landschaften. Mit seiner Kunst wurde er zum wegweisenden Landschaftsmaler, der bis weit ins 19. Jahrhundert auf die Landschaftsmalerei der deutschen Romantik wirkte.
In der Schau werden den niederländischen Gemälden des 17. Jahrhunderts zeitgenössische Werke von Richard Long und Lawrence Weiner gegenübergestellt. Nicht mehr das Abbild einer spezifischen Landschaft verbindet sie, sondern die materielle und konzeptuelle Auseinandersetzung mit der Natur.
Ausstellungsansicht: Richard Long, River Avon Driftwood Line. 37 Pieces of Wood form the North Bank of the River, 1978. Foto: rv
Die Arbeiten von Richard Long (*1945, Bristol), ein Vertreter der Land Art, entstehen in direkter körperlicher Auseinandersetzung mit der Natur. Es sind Skulpturen aus natürlichen, unbearbeiteten Materialien. Für die Bodenarbeit River Avon Driftwood Line (1978) sammelte Long Schwemmholz aus dem Fluss seiner Heimat und legte dieses unbearbeitet als Skulptur rhythmisch auf dem Boden aus. Seine fotografische Dokumentation zeigt die Fussspur einer 12-tägigen Wanderung in Ladakh und in Nordindien (1984). Die Textarbeit A Four Day Walk. A Line of Ground 94 Miles Long (1980) erinnert mit Worten an einen durchwanderten Landstrich.
Lawrence Weiner «Beached», 1970. Weiner zieht, schleppt und wirft Schwemmholz ans Ufer. Video Still
Lawrence Weiner (1942-2021) gehört zu den Pionieren der Konzeptkunst. Er war am Hafen von New York aufgewachsen, lebte und arbeitete ab den 1970er Jahren fast 50 Jahre in Amsterdam auf einem Hausboot. Hier entstanden in den frühen 1970er Jahren seine ersten Videoarbeiten. So auch das hier gezeigte Video Beached (1970), das an der holländischen Küste gedreht wurde. Es zeigt Weiner bei fünf verschiedenen Versuchen, angeschwemmtes Holz aus dem Wasser zu fischen und es auf verschiedene Arten an Land zu bringen. Weiner ist bekannt für seine sprachliche Strukturen, die er als Kunstwerk auf Fassaden und Plätzen zeigt, so auch im Kunst Museum Winterthur im Übergang vom Altbau in den Erweiterungsbau.
Titelbild: Jan Vermeer van Haarlem (1628-1691), Dünenlandschaft, um 1665. Das Bild lenkt den Blick in die Ferne mit den Mühlen und auf das Meer mit den Segelbooten.
Bilder: Kunst Museum Winterthur und rv
Bis 22. September 2024
«Low Land, New Heights. Holländische Landschaftsmalerei aus der Sammlung» im Kunst Museum Winterthur l Beim Stadthaus. Mehr Informationen finden Sie hier