Sommerzeit sei Lesezeit, heisst es nun all überall. Schön und gut. Insbesondere vielbeschäftigte Politiker nennen in Interviews immer wieder das Lesen bei der nie fehlenden Frage nach ihren Hobbys – Hobby, ein irgendwie nerviges Wort, finde ich – und fügen dann sofort an: Also in den Ferien komme ich zum Lesen. Dann lese ich sehr gerne.
Schön, dass heute wenigstens keiner der Vielbeschäftigten mehr sagt, Familie sei sein Hobby. Hat sich rumgesprochen, dass diese Bemerkung bei der Wählerschaft nicht mehr so gut ankommt. Aber das mit dem Lesen im Urlaub geht immer. Und es ist allen klar: Sind die Vielbeschäftigten nicht im Urlaub, kommen sie leider nicht zum Lesen. Natürlich nicht, bei all den wichtigen Dingen, die sie zu erledigen haben: Entscheidungen fällen – also ähnlich wie Bäume fällen, nur ohne Motorsäge, denke ich – sich durch Stapel von Fakten wühlen, Networken an Sitzungen, Meetings, Veranstaltungen, in Vorständen, Vereinen, Parteiversammlungen. Und schliesslich gilt es, sich auch noch anderen Hobbys zu widmen. Sport tut gut, Radfahren, Schwimmen, Wandern natürlich, auch Kochen ist ein schönes Hobby, im Sommer vor allem am Grill, gibt ja nun auch vegane Würste.
Aber klar: Kultur tut immer ganz besonders gut, als Ausgleich, Kultur, entspannt, entstresst, ist eigentlich Detox für Körper und Geist, mal runterkommen, mal durchatmen, macht man ja bereits beim Yoga, klar, aber Kultur ist da schon noch mal was anders, ist auch ein Gemeinschaftserlebnis, so an einem Konzert oder im Open Air-Kino, da wird man auch gesehen, kann man sich hinterher bei einem Bier oder einem Glas Wein noch austauschen, während beim Lesen geht das halt nicht so gut, macht man halt allein, lesen, das isoliert ja auch ein wenig, ist man ein wenig abgemeldet dabei.
Klar, so im Liegestuhl liegend, am Pool, eingecrèmt und Sonnenbrille auf der Nase, Sonnenhut auf dem Kopf, das neue Modell, da kann man richtig richtig ausspannen, die Seele baumeln lassen und ein wenig lesen, gerne was Lockeres, was Leichtes, Unbeschwertes, vom andern hat man ja sonst genug, alle die Probleme immer und überall auf der Welt und die ganze Zeit, die Kriege, die Zwiste, die Konflikte, jetzt mal abschalten, klar, umblättern, ein wenig weiterlesen, das Buch sinken lassen, ein wenig dösen, während eine leichte Brise durch alle die baumelnden Seelen wie durch Wäschestücke fährt und die Geschichten in den Köpfen vom Winde verwehen.
Wo bin ich stecken geblieben? Wieder kein Lesezeichen eingesteckt, blöd, denn bei einem Buch aus der Bibliothek kannst du kein Eselsohr reinmachen, geht nicht. Bücher sind ja teuer und brauchen zu viel Platz im Eigenheim, besser also, du leihst sie aus, gibst dein Geld lieber für ein nettes Abendessen aus mit deiner Partnerin, alles liegt halt dann doch nicht drin, auch nicht im Urlaub, hast schliesslich im Frühjahr ein eBike gekauft, nicht gerade billig, das Teil.
Ein wenig sind sie mir suspekt, die Sommerleserinnen und Sommerleser. Ein wenig glaube ich ihnen nicht, dass sie zwar sehr gerne läsen, aber leider dafür keine Zeit hätten. Ausser in den Ferien natürlich, dann schon, dann würden sie immer lesen, ein Buch, also ein ganzes Buch, manchmal sogar zwei würden sie dann schaffen. So eine leichte Sommerlektüre sei schlicht grossartig, eine süffige Geschichte, es gäbe fast nichts Schöneres. Doch, denke ich. Gibt es. Noch schöner und noch grossartiger ist Ganzjahreslektüre. Lesen zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter und insbesondere ohne dieses ganze Seelengebaumel rund um.
Wunderbar bemerkt. Seit ich alle meine freiwilligen Ämtli abgegeben habe finde ich immer wieder pure Lust beim Lesen und fühle mich dann manchmal auch in einer anderen Welt voller Abenteuer. Es ist wie als Kind, wo meine Bücherwelt mich in andere Zeiten und Länder entführt haben. Allerdings fallen mir nun öfters beim Lesen meine Augen zu, was aber mit 78 Jahren wohl normal ist. Ich könnte ohne Lesestoff nicht leben.
Vielen Dank, liebe Frau Roth-Hunkeler, das ist eine wunderbare Kolumne und rechtfertigt mein immerwährendes Lesen auf grandiose Weise!
Wie schön, dass es doch noch verwandte Seelen gibt. Ich könnte ohne lesen nicht sein, dabei lese querbeet vieles. Bei einem fesselnden Buch jedoch kann ich nicht aufhören.