Nach der Reformation wird Zürich ein fruchtbarer Boden für Wissenschaft und Kunst. Gelehrte halten ihre Erkenntnisse in Bildern fest, Kunstschaffende arbeiten wissenschaftlich präzis. In ihrem Buch «Zwischen Wissenschaft und Kunst» stellen François Baer und Yves Baer Bilder aus über 500 Jahren vor.
Während der Reformation waren in Zürich nicht nur Bilder gefährdet, auch Schriften und Bücher. Mit der Ankunft von Christoph Froschauer (um 1490-1564), dem Buchdrucker aus Augsburg, bekam die Wissenschaft Schub. Er druckte Zwinglis Predigten, auch die Zürcher Bibel (1529). In der Folge etablierten sich Schriftsetzer und Grafiker. Sie stellten Holzschnitte, Kupferstiche, Radierungen, später auch Lithografien her. Die Kunstmaler waren neben der freien Malerei auch in der angewandten Kunst tätig, etwa als Tapetenmaler, oder arbeiteten für wissenschaftliche, gewerbliche oder private Auftraggeber.
Das Autorenpaar, Vater und Sohn, hat schon verschiedene Bücher über Zürich geschrieben: François G. Baer (*1945) ist Mitautor und Grafiker, Yves Baer (*1976) freischaffender Autor. Die beiden publizierten Die Zürcher Altstadtkirchen (2020) und Weltgeist in Zürich (2022), Seniorweb hat darüber berichtet. Im vorliegenden, visuell sorgfältig und originell gestalteten Band Zwischen Wissenschaft und Kunst stellen sie über dreissig Persönlichkeiten vor, die mit Zürich verbunden sind.
Der Auftakt macht Conrad Gessner (1516-1565), Arzt, Zoologe, Botaniker, Philologe, Physiker, der acht Sprachen sprach. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte Gessner das Glück, durch Lehrer, auch Zwingli, gefördert zu werden. Nach dem Medizinstudium in Basel und Frankreich wurde er Arzt in Zürich und entfaltete sich als Professor für Naturgeschichte zum Universalgelehrten. Ab 1545 begann er das rasch wachsende Wissen seiner Epoche systematisch zu sichten und in der Bibliotheca univeralis zu erschliessen. Den Illustratoren öffneten sich neue Aufgabenbereiche wie Tier- und Pflanzenstudien für Gessners bekanntestes Werk Historia animalium (1551-1558). Durch seinen frühzeitigen Tod – Gessner wurde auf einer Arztvisite mit Pest angesteckt – blieb sein Werk unvollendet.
Conrad Gessner, Stachelschwein, aus: Historiae animalium, 1551.
Dank strenger Zunftregeln gingen die Maler nach der Lehre auf Wanderschaft ins Ausland und brachten neue Impulse zurück. Im 17. Jahrhundert prägte die Familie Meyer während dreier Generationen das künstlerische Leben in Zürich. Conrad Meyer (1618-1689) gelangte über Lyon nach Frankfurt am Main zu Matthäus Merian, wo er als Kupferstecher arbeitete. Hier befreundete er sich mit dem niederländischen Maler Jan Hackaert (1628-1685), den er auf dessen vier Schweizer Reisen zwischen 1653 bis 1657 begleitete. Dabei entstand die erste topgraphisch genaue Darstellung des Rheinfalls (1647, Öl auf Leinwand). Er gilt als Pionier der alpinen Landschaftsmalerei und prägte in der Folge die Maler des 18. Jahrhunderts.
Conrad Meyer, Im Klöntal: rechts der Maler Jan Hackaert, links Hans Rudolf Werdmüller, 1655.
Die Autoren stellen Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) als Gelehrten an der Schwelle zur modernen Wissenschaft vor. Als Stadtarzt begeisterte dieser sich für die Natur- und Heilkunde. Als Bergsteiger erforschte er den Schweizer Alpenraum systematisch, machte Höhenmessungen, untersuchte Bergkristalle, befasste sich mit Fossilien und erlangte internationale Anerkennung. Um die «Wissenschaft mit Gottes Schöpfung in Einklang zu bringen», hatte er den Anspruch, alle in der Bibel vorkommenden naturkundlicher Realien zu erklären. Da die Zensurbehörde die Publikation seiner Physica sacra verweigerte, wurde diese in Augsburg als sogenannte Kupfer-Bibel (1731-1735) mit 735 grossformatigen Kupferstichen von Johann Melchior Füssli (1677-1736) gedruckt.
Anna Waser, Selbstporträt, 1706, und ihr berühmter Cousin Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer, 1731.
Scheuchzers Cousine Anna Waser (1678-1714) wurde unlängst von der Forschung als wissenschaftliche Zeichnerin entdeckt. In der Kunstwelt ist vor allem ihr Selbstporträt, das sie mit zwölf Jahren malte, bekannt. Offenbar schätzte Johann Jakob Scheuchzer Wasers Arbeit und engagierte sie als Illustratorin für seine naturwissenschaftlichen Publikationen. Mit Nennung ihres Namens. Für die Itinera alpina (Alpenreise) zeichnete sie das Titelblatt und signierte es. Für das Herbarium diluvianum (1709) schuf sie Gouache-Illustrationen, etwa fossile Farnwedel oder Muscheln, die bis anhin unbeachtet blieben. Sie scheint sich intensiv mit Scheuchzers Naturalienkabinett auseinandergesetzt zu haben und fertigte für ihn vermutlich vor Ort wissenschaftliche Illustrationen an.
Johann Heinrich Wüest, Schaffhauser Rheinfall und Rhonegletscher, 1775. Teil einer Tapetenmalerei. Kunsthaus Zürich
Für das 18. Jahrhundert stellen die Autoren Künstler vor, die wie zuvor Conrad Meyer unterwegs Naturstudien im Freien schufen, die an wissenschaftliche Zeichnungen herankommen. Von Johann Balthasar Bullinger (1713-1793) ragen die präzisen, radierten Ansichten vom Zürcher Limmatquai heraus, die mithilfe der Camera obscura entstanden. Seine nach der Natur geschaffenen Landschaften versah Bullinger auf den Ölbildern mit Staffagen, ganz dem Geschmack der Zeit folgend. Solche «Idealen Landschaften» realisierte er auch in Bürgerhäusern als Tapetenbilder. Ebenso als Teil einer Tapetenmalerei schuf Johann Heinrich Wüest (1741-1821) den Schaffhauser Rheinfall sowie den Rhonegletscher nach Studien vor Ort im Jahr 1775. Drei Jahre vor dem Rhonegletscher von Caspar Wolf (1735-1783), der als der eigentliche «Pionier der Hochgebirgsmalerei» gilt.
Karl Bodmer, Blick in das Erdhaus eines Häuptlings des Mandanvolkes im Winter 1833-1834
Im 19. Jahrhundert fallen Karl Bodmers (1809-1893) ethnologisch präzisen Darstellungen der Indigenen und der nordamerikanischen Landschaften auf. Zwischen 1832 und 1834 begleitete er als Künstler eine Expedition zum Missouri-River und dokumentierte diese mit Zeichnungen und Aquarellen. Sie gehören zu den wichtigsten Zeugnissen der untergegangenen Kulturen in den Great Plains am Missouri River.
Titelbild: Hans Conrad Escher von der Linth, Die Tschingelhörner und das Martinsloch, 22. Juli 1812. Conrad Escher (1767-1823) war Seidenfabrikant, Kartograf, regulierte als Bauingenieur die Linth, erfand als Maler das Panoramabild und war auch Politiker.
Alle Bilder: Wikimedia Commons
François G. Baer und Yves Baer, Zwischen Wissenschaft und Kunst. Bilder aus über 500 Jahren, 192 Seiten, 300 Abbildungen, Verlag NZZ Libro, 2024.
ISBN 978-3-907396-51-3
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