StartseiteMagazinKulturConrad Gessner – Intellektueller aus einer vergangenen Zeit

Conrad Gessner – Intellektueller aus einer vergangenen Zeit

Die Stadt Zürich feiert in vielen Institutionen und Museen den 500. Geburtstag des Universalgenies Conrad Gessner

Er war wohl der grösste Zürcher aller Zeiten, hochgeschätzt von seinen Zeitgenossen in halb Europa, sein Werk war noch hunderte Jahre nach seinem Tod wegweisend, aber ausser dass sein Kopf auf der vorigen 50er Note abgebildet war, ist er heute wenig bekannt: Conrad Gessner, der mehr oder minder Zeit seines Lebens in Zürich war, wo er vor 500 Jahren am 16. März zur Welt kam.

Conrad Gessner Einblattdruck 1564 nach dem Bildnis von Tobias Stimmer. © Zentralbibliothek Zürich

Ähnlich Leonardo da Vinci war er ein Genie, ein hochintelligenter und belesener Humanist mit Verbindungen in die halbe damalige Welt. Gessners Interesse galt der Erforschung dieser Welt, so war er Botaniker, Zoologe, Paläontologe, Pharmakologe, Philologe Medziner und ab 1558 Stadtarzt. Vieles aus seinem Nachlass, Teile seiner Bibliothek, Vorlesungsnotizen, Briefe sowie das Familienarchiv liegen in der Zentralbibliothek, welche im nächsten Jahr den hundertjährigen Geburtstag feiern kann. Für ZB-Direktorin Susanne Bliggenstorfer sowie Gessner-Forscher und -Biograph Urs Leu war es also höchste Zeit, eine grosse Jubiläumsveranstaltung zu planen. Das Landesmuseum, das Zoologische Museum, der Zoo sowie der Botanische Garten, das Museum Rietberg und die Sukkulentensammlung machten begeistert mit, so dass 2016 nicht nur ein Dada- sondern auch ein Gessner-Jahr wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Blick in den Kreuzgang des Grossmünsters, in dem sich die Hohe Schule befand und wo Gessner lehrte. © Schweizerisches Nationalmuseum

Das 16. Jahrhundert ist eine Zeit des Aufbruchs, der Buchdruck war erfunden, Amerika war entdeckt, das Weltbild des Mittelalters wurde durch wissenschaftliche Entdeckungen und die Renaissance in seinen Grundfesten erschüttert. Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte die explosionsartige Verbreitung von Wissen, die Entdeckung der Neuen Welt krempelte die Vorstellung von der Erde radikal um, die Reformation veränderte die Beziehung zur Kirche und zum Schöpfer. Vielleicht war damals eine ähnlich spannende Zeit des Umbruchs wie das globalisierte Informationszeitalterr, in dem wir leben.

Taglilie. Vorlagezeichnung in Conrad Gessners Historia plantarum. © Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg

Die letzte Biographie über den Zürcher Gelehrten ist 1824 erschienen. Höchste Zeit, Conrad Gessner der breiten Öffentlichkeit wieder ins Gedächtnis zu bringen – mit den Ausstellungen und mit einer aktuellen Biographie von Urs Leu. Mittlerweile sind nämlich neue Dokumente von Gessner entdeckt worden: 50 Briefe in Chur, die Tieralben, regelrechte Bilderbücher, in Amsterdam und anderes mehr. Urs Leu kuratierte zusammen mit Mylène Ruoss vom Landesmuseum die Ausstellung in den historischen Räumen aus dem 15. Jahrhundert. Es ist anzunehmen, dass Conrad Gessner sie kannte. In neun Stationen wird Gessners Leben und Werk präsentiert, beginnend mit dem Porträt von Tobias Stimmer sowie Büchern aus seiner umfangreichen Bibliothek. Er hatte seinen Aristoteles, Grundlagenwerk für alle Renaissance-Gelehrten, mehrfach und genau gelesen, handschriftliche Marginalien sind der Beweis.

Wie Gessner seine immense wissenschaftliche Forschung neben seiner Lehrtätigkeit, er unterrichtete an der Hohen Schule im Grossmünsterstift Ethik und Physik, oder seiner Arbeit als Stadtarzt zu Zeiten der Syphilis und der Pest überhaupt bewältigen konnte, scheint unvorstellbar. So war er erst noch ein Sprachgenie, konnte fliessend Latein (die Weltsprache der Wissenschaft damals), Griechisch, Hebräisch und wohl auch einige Brocken Arabisch.

In der Historia animalium, seiner fünfbändigen Tierenzyklopädie trug er alles, was er über Tiere erfahren konnte, zusammen, stellte eigene Forschungen an, sezierte Tiere und hielt als wohl allererster Zürcher Meerschweinchen aus Übersee in seinem kleinen Privatzoo. Diese sowie viele einheimische Tiere konnte er beobachten und nach der Natur zeichnen, andere, exotische sah er nie in seinem Leben, sammelte und sichtete aber alle Beschreibungen. Beim Nashorn verliess er sich auf Albrecht Dürers Vorlage, die er für sein Buch in Kupfer stechen liess. Auch Fabeltiere gerieten in sein Tier-Universum, am berühmtesten das Einhorn, von dem er nur ein Horn hatte, faktisch den Stosszahn eines Narwals. Aber er habe, sagt Urs Leu, die Natur entmythologisiert, die meisten Fabelwesen „ausgemistet.“ Viele Tierdarstellungen Gessners gingen als Drucksache um die halbe Welt, die Ausstellung zeigt das Beispiel der Giraffe aus Istanbul, welche in einer Weltkarte des Kaisers von China landet.

Papagei. Vorlagezeichnung im Conrad Gessner-Felix Platter Album. © Universitätsbibliothek Basel

Noch umfangreicher als die Tierbeschreibungen sollte sein Werk über Pflanzen werden, leider starb er schon 1564 an der Pest. Sein Herbarium besteht nicht mehr, aber seine Zeichnungen bringen uns näher, wie er arbeitete: anders als andere Botaniker liess er nicht Künstler zeichnen, sondern tat es selbst, wobei ihn nicht nur das Aussehen der Pflanze in Blüte interessierte, sondern auch der Samen und die Wurzel.

Gessner suchte auch neue Wege in der Heilkunde, so kritisierte er den nach der Astrologie verordneten Aderlass als Humbug und veröffentlichte als erster bislang geheime Rezepte in einem Arzneimittelbuch, welches sogleich Bestseller wurde. Neu für die Zeit aber nötig war Gessners Universalbibliothek, Bibliotheca universalis von 1545, mit der er weltberühmt wurde. Seit mit dem Buchdruck die Information explodiert war, drängte sich auf, alle vorhandenen Bücher sowie deren Autoren aufzulisten. Im Grunde habe Conrad Gessner die erste Suchmaschine erfunden, meint Lukas Keller vom Zoologischen Museum.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Blick in die Ausstellung «Tiere von A bis Z». Foto: Zoologisches Museum Zürich

Ganz anders als im Landesmuseum ist die Ausstellung Tiere von A bis Z – die Tierbücher Conrad Gessners im Zoologischen Museum der Universität gebaut: Da springen einem ausgestopfte Tiere aus überdimensionierten weissen Büchern entgegen, beim Eingang das Einhorn und das Murmeltier, am Ende das Gürteltier (aus Amerika), der Meermönch (Fabelwesen) und der Löwe. Dann steht da in Blindbänden die Gessnersche Handbibliothek: 395 Bände, davon 75 naturhistorische. Daneben wird gezeigt, wie er seine Tierporträts erstellte, es seien „Collagen aus altem und neuem Wissen“, sagt Hans-Konrad Schmutz, Gastkurator. Die Geschichten, die Gessner dazu erzählt, machen das Tierlexikon spannend bis heute. Ein Film bringt einem den Gelehrten näher.

Noch ein kleines Beispiel aus dem Zoologischen Museum: es gibt eine Zeichnung des Waldrapp, er galt lange als Fabeltier, weil er hierzulande ausgestorben war. Auch ein Schneehuhn hat Gessner selber entdeckt, denn er war von den Alpen begeistert, unternahm mehrere Reisen, unter anderem ins Veltlin oder auf den Pilatus 1555, wo ihm wohl als erstem die Klimazonen auffielen.

Anlässlich der Ausstellungen ist bei NZZ Libro die Publikation «Facetten eines Universums. Conrad Gessner 1516-2016» erschienen. Der reich bebilderte Band wurde herausgegeben von Urs B. Leu und Mylène Ruoss. Ebendort ist die spannende und gut lesbare Biographie «Conrad Gessner (1516-1565)» von Urs B. Leu erschienen.

Vernissage ist am 16. März, 18 Uhr in der Aula der Universität Zürich.

Alle Informationen über die Ausstellungen und Begleitprogramme finden Sie auf der Website gessner500.ch

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