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Entrümpeln macht frei

Pfingströsli-Gespräche. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe an Ü70-Menschen im Café des Alterszentrums «Pfingströsli» befasst sich mit dem weit verbreiteten Hang, seine Wohnung oder sein Haus von Unnützem und nicht mehr Benötigtem zu entschlacken.

Sonntagnachmittag im Alterszentrum «Pfingströseli». Heute, an diesem düppig-sommerlichen Nachmittag haben sich die meisten Bewohnerinnen und Bewohner in ihr Zimmer zurückgezogen, um ihr Mittagsnickerchen zu machen oder sich vor den Ventilator zu setzen. Doch ein paar Hartgesottene sitzen unter den lindengrünen Sonnenschirmen, fächeln sich zu, halten sich an einem kühlenden Getränk und erfreuen sich an anderen zumeist im Rentenalter befindlichen Menschen, die heute mehr oder weniger spontan auf einen Besuch ins Rösli gekommen sind. Es herrscht eine eigentümliche, aufgeräumte Stimmung, aber ein richtiges Gespräch will nicht so recht in Gang kommen.

Bis der pensionierte LKW-Fahrer und frühere Hobbytaucher Sepp Suppiger (78) seinem Kumpel Heiri Hufschmid (85), einem gelernten Buchhalter, eröffnet, er habe nun endlich damit begonnen, sein Haus zu entrümpeln. Denn er habe das Gefühl, dass es höchste Zeit dafür sei, sein Leben zu entschlacken: «Das Zeug, das sich in all den Jahren angesammelt hat, muss weg! Denn ich möchte meinen Nachkommen schliesslich nicht die ganze Arbeit aufbürden.»

«Du hast recht, lieber Seppli», mischt sich jetzt auch Rösli Röthlinger (81) ein. «Man soll sich rechtzeitig trennen von all dem Zeug, was man sein Leben lang gesammelt und angehäuft hat», sagt die ehemalige Blockflötenlehrerin. Zuerst habe sie die ganzen Schulsachen der beiden Töchter, «die hundert Fasnachtkostüme und Larven und zig 110-Liter-Säcke an Plüschtierchen und Puppen entsorgt oder zur Brocki gebracht», flötet sie. Dann die ganze Wohnung vom Ginggernillis befreit – und schon habe sie sich zunehmend befreit und leicht gefühlt. «Ich sage euch: Ausmisten tut der Seele soooo gut».

Fred Füglistaller (72), alt Kaminfegermeister und noch wohnhaft im eigenen Haus, beeilt sich zu erwähnen, dass er die letzten fünf Jahre «gefühlt nichts anderes gemacht hat, als sein Heim ordentlich zu grümpeln. Berge an Büchern, hunderte an CD’s und kistenweise alte Langspielplatten habe er entsorgt und sogar die vom Vater geerbten Schaukasten mit einer Unsumme an Schützenkränzen und -Abzeichen habe er weggetan. «Was soll ich denn bitte sehr noch mit diesem Zeug?»

«Was?!», erwidert Willibald Weingartner (77), emeritierter Quantenphysikprofessor, hörbar enerviert. «Was, du hast deine Langspielplatten entsorgt? Bist du denn komplett wahnsinnig geworden?» «Sicher doch, was soll ich denn damit noch? Auf allen Kanälen werden wir doch dauerbeschallt – das reicht mir doch komplett!», rechtfertigt sich nun Fredi. «Und überhaupt, Lieber Willi, wann willst du denn alle deine tausenden von Platten hören? Das ist doch schlicht unmöglich…» «Erstens liebe und sammle ich die Platten und zweitens sind sie eine Kapitalanlage. Falls es mir mal dreckig geht…», sagt nun der Angesprochene und nippt am Glas mit dem kühlen Radler.

«Es ist doch schon erstaunlich, dass so viele vom Ausmist-Fieber befallen werden, kaum stehen sie im Ruhestand», lässt sich jetzt Guido Gunzenhauser (84) verlauten. Er habe nach seiner Pension «alles, was ich in den letzten zehn Jahren nie angelangt, gebraucht oder vermisst habe», in die Mulde geworfen, die er extra für diesen Zweck bestellt habe, wirft der pensionierte Eisenwarenhandelsverkäufer in die Runde. «Und wisst ihr was? Ich hätte viel früher damit anfangen sollen.

«Aber, aber!» Hubert Heuberger (81) muss wegen der angeregten Diskussion aus seinem Instant-Nickerchen aufgewacht sein. Von ihm, dem ehemaligen Vorarbeiter in der örtlichen Seifenfabrik, weiss man, dass er – gelinde gesagt – einen Hang zum Messie-haften hat und auch heute immer noch gerne an Flohmärkten und in Brockis anzutreffen ist. «Wir haben halt noch gelernt, alles noch Brauchbare aufzubewahren. Denn eines Tages kommt der Moment, an dem man dies oder jenes brauchen kann…».

Gertrud Trösch (79), ehemals Direktionssekretärin selbiger Seifenfabrik, seit Jahren die Freundin von Hubi und deshalb so einiges gewohnt von ihm, lacht leicht hämisch und kommentiert nicht zur Freude von Heuberger: «Jaja, mein lieber Schatz, wer weiss, wann du die vielen Alben mit den gesammelten Kaffeerahmdeckeli, die Kiste mit den hunderten von Pins oder deine vielen ausgelatschten Halbschuhe noch einmal brauchen kannst…».

Mit diesem Statement hat sich das Gesprächsthema für den Moment erledigt und es kehrt wieder bleierne sonntägliche Ruhe ein.

Titelbild: Keller, Garagen, Estriche und die Schubladen wollen entrümpelt werden…

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1 Kommentar

  1. ja wenn das so leicht wäre, mit dem Ausmisten. Da sind z.B. die Kleider; ich habe noch Stücke aus den 80iger Jahren, tolle Kreationen, tolle Stoffe, aber leider nicht mehr in Mode und vor allem 2-3 Nummern zu klein; vielleicht kann ich sie noch einmal tragen? Da sind die Bücher; Begleiter über Jahre und Marksteine in meinem Leben, mein Lernschatz. Da sind Fotos von Kindheit bis heute; alles digitalisieren oder in Alben einkleben? Viel zu aufwändig. Möbel, Bilder, Gläser und Teppiche, Lieblingsstücke mit Geschichte von denen ich mich bis heute nicht trennen will. Was bleibt zum entsorgen? Der Zeitpunkt zum loslassen ist wohl noch nicht gekommen.

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