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Ein «Ungenügend» in Mathematik und in der Kommunikation

Die direkte Demokratie ist das Alleinstellungsmerkmal der Schweiz. Wir sind sehr stolz auf sie, zu  recht. Nur Liechtenstein hat sie auch, doch der Fürst steht darüber. Die direkte Demokratie setzt aber auf eines unabdingbar: auf die informierte Stimmbürgerin, auf den informierten Stimmbürger. Nur: Wie können wir informiert abstimmen, wenn uns Bundesbern mit falschen Zahlen versorgt?

Zähneknirschend musste letzte Woche das Bundesamt für Sozialversicherung BSV öffentlich eingestehen, was die Verantwortlichen ihrer Chefin, der Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, lange vorenthalten hatten: Die AHV ist weit besser finanziert, als bis anhin aus dem Bundeshaus vermittelt wurde. Die AHV-Rechnung werde 2033 mit rund 4 Milliarden weit besser abschneiden, als bis anhin die gewählten Berechnungs-Modelle ergeben hätten: lediglich  67 Milliarden Franken  statt 71 seien dann auszuzahlen. Insgesamt würden es bis dann 14 Milliarden weniger sein als prognostiziert.

So stellt sich die Frage: Sind die Auszahlungen schlicht, gar bewusst nach oben gerechnet worden, um die AHV schlechter zu machen als sie ist? Und das in der Zeit der Digitalisierung, der Künstlichen Intelligenz KI. In einem Land der Genauigkeit, der äussersten Präzision, im Uhrenland Schweiz?

So keimt der Verdacht auf, dass das BSV im vorauseilenden Gehorsam den allgemeinen Erwartungen der Politik folgte, der AHV geht es schlecht und nicht der SP und den Gewerkschaften, die nimmermüde immer wieder verlauten liessen: Die AHV ist gut finanziert. Muss es der AHV nach bürgerlicher Lesart einfach schlecht gehen, damit Ausbau-Begehren keine Chancen haben, das Renteneintrittsalter zwingend heraufgesetzt werden muss? Erinnern wir uns: Das Renteneintrittsalter der Frauen auf 65 ist ja nicht zuletzt deshalb in der historischen Abstimmung am 25. September 2022 mit 50,6 % der Stimmen  angenommen worden, weil die Befürworter darauf bestanden, die AHV könne und müsste sofort dringend saniert werden. Die Männer überstimmten damals die Frauen. Dass die Grünen und die SP-Frauen jetzt beim Bundesgericht Beschwerden einreichten, die Abstimmung sei zu wiederholen, ist deshalb nicht erstaunlich. Schon bei der Abstimmung über die 13. AHV-Rente verfing das Argument, die 13. Rente sei nicht zu finanzieren, bereits nicht mehr. Selbst der dringende «Appell zum Schutz der AHV» von respektablen alt Bundesrätinnen und Bundesräten blieb wirkungslos, vermochte nicht zu überzeugen. Im Gegenteil. Er forcierte das Ja.

Am 22. September haben wir wiederum über die Altersfürsorge abzustimmen. Diesmal über die Revision der beruflichen Vorsorge, die 2. Säule. Wiederum haben wir über eine Vorlage zu bestimmen, die unausgegoren,  nicht durchschaubar ist, die lediglich etwa 17% der Arbeitnehmenden betrifft. Sie bringt zwar den Einbezug tiefer Einkommen, belastet diese aber über der Norm und bringt eine klägliche Rente, für die zu kämpfen es sich nicht lohnt. Warum nur wird in Bundesbern, vorab im Parlament, handwerklich so schlecht reformiert?

Wer fragt, hat auch zu antworten. Es fehlt schlicht an Weitsicht. Jetzt wäre tatsächlich der Zeitpunkt gekommen, gar ideal, die AHV finanziell langfristig zu festigen. Jetzt, wo sie weit besser finanziert ist als bisher angenommen wurde. Die Bürgerlichen winken bereits jetzt vehement ab. Sie wollen abwarten, bis die Vorlage des Bundesrates vorliegt, welche eine umfassende Revision der AHV vorsieht. Diese wird aber erst gegen 2030 greifen, auch  wenn der Bundesrat die Botschaft, wie versprochen, 2026 verabschiedet und in die Vernehmlassung schicken wird. Die parlamentarische Ausmarchung wird lang und vor allem sehr zäh sein, wird kein absehbares gutes Ende nehmen. Gibt es einen Ausweg? Ja, bei der Altersvorsorge braucht es eine Reform an Haupt und Gliedern, bei der neben der AHV auch die 2. und die 3. Säule einbezogen werden. Das ist vom aktuellen Parlament nicht zu erwarten, auch nicht vom Bundesrat. Dazu braucht es den Anstoss von aussen.

Und: Auch diesmal wird das Bundesbüchlein zur Abstimmung am 22. September nicht über alle  Zweifel erhaben sein, nicht einen gesamten Durchblick vermitteln. Was erhält Bundesbern dafür? Ein «Ungenügend» in Mathematik und in der Kommunikation.

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5 Kommentare

  1. Nach dem Desaster im Gesundheitswesen, den Unklarheiten im Militär und der peinlichen Europapolitik, jetzt noch dies!
    Was ist eine direkte Demokratie noch wert, wenn wir uns nicht mehr auf glaubwürdige Grundlagenarbeit und Informationen unserer Bundesämter und ihrer Vorsteher:innen verlassen können?
    Und was bedeutet ein Milizsystem, das im Parlament aus 60 % hauptberuflicher Politiker besteht, für die nicht die legitimen Anliegen der Bürger:innen an erster Stelle stehen, sondern die Interessen derjenigen, die über unsere gewählten «Volksvertreter» ihren Einfluss und Eigennutz in Bundesbern ausüben?
    Und wie glaubwürdig ist ein Bundesrat ohne Führungs- und Durchsetzungswillen? Die schwachen Leistungen unserer Regierung lässt unsere Demokratie immer mehr schwächeln.

  2. Wiederum greift Anton Schaller in seiner Kolumne «Ein ‘Ungenügend’ in Mathematik und in der Kommunikation» ein drängendes gesellschaftspolitisches Problem der Schweiz auf: Unzulänglichkeiten, die es der Stimmbürgerschaft erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen, ein fundiertes Urteil zu Abstimmungsvorlagen auf der Grundlage belastbarer Informationen und Statistiken zu fällen. Diesmal im Blickfeld ist die künftige AHV-Finanzentwicklung. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BFS) sah sich gezwungen einzuräumen, dass die bisherigen Prognosen der Ausgaben für die AHV aufgrund zweier fehlerhafter Formeln falsch berechnet seien.

    Anton Schaller schreibt zu Recht, dass zuverlässige Grundlagen das A und das O sind für die politische Urteilsbildung und Entscheidungsfindung sind. Leider ist es nicht das erste Mal, dass das Stimmvolk im Abstimmungsbüchlein mit unzulänglichem oder gar unzutreffendem Datenmaterial versorgt wurde. Beispiele aus der neueren Zeit gefällig?

    // Unzureichende statistische Grundlagen //
    Die Unternehmenssteuerreform II (Wechsel zum sogenannten Kapitaleinlageprinzip). Die jährlich prognostizierten Steuerausfälle wurden in einer Grössenordnung verfehlt, die noch heute gesellschaftspolitisch hohe Wellen werfen. Später stellte sich heraus, dass diese Steuerreform auch noch auf Kosten der AHV geht.

    Im Falle der Abstimmung über die Heiratsstrafe sah sich das Bundesgericht sogar gezwungen, das Abstimmungsergebnis wegen unvollständigen und intransparenten Informationen zu annullieren. Ein Novum in der Geschichte des Bundesstaates.

    // Unzureichende statistische Grundlagen //
    Wiederum ein Beispiel. Wie reich oder arm sind die Rentner/Rentnerinnen in der Schweiz? In dieser Frage manövriert die Schweiz zum Teil im Blindflug. Der Bundesrat möchte die Kantone zur Offenlegung von Steuerdaten animieren. Zwar ziehen die Kantone die Steuern ein und leiten jährlich knapp 30 Milliarden an den Bund weiter. Die Daten über Einkommen und Vermögen der Privatpersonen und die Gewinne der Unternehmen aber behielten sie für sich. In Ermangelung dieser Daten müsse das Bundesamt für Statistik (BFS) sich mit Umfragen behelfen, die aber nicht durchgehend repräsentativ seien.

    // Wissenschaftliche und journalistische Interpretation von Erhebungsdaten //
    Auch hier ein Beispiel: Bei Fragen zur «Altersarmut in der Schweiz» ist ein eigenartiger Trend feststellbar. Es muss angenommen werden, dass ihnen insofern eine besondere Brisanz zukommt, als sie – mit dem Nimbus «Reiche Schweiz» in Beziehung gebracht – einen scharfen Kontrast erahnen lassen. «Weil nicht sein kann, was nicht sein darf». Oftmals tendieren solche Studien oder journalistische Berichte eher Richtung «Reichtum im Alter» als sich schwergewichtig der Altersarmut in der Schweiz zu widmen und sich ehrlich zu machen, dass es auch in der Schweiz gravierende Altersarmut gibt. Aber Armut ereignet sich eben eher im Verborgenen und hat auch keine Stimme.

    Mit Recht macht Anton Schaller darauf aufmerksam, dass in Kürze wieder eine Abstimmung auf uns zukommt, die je länger die gesellschaftspolitische Diskussion dauert, desto unklarer eigentlich wird, wer von der Revision der 2. Säule profitiert und auf wessen Kosten die Vorlage verlaufen könnte. Selbst Fachleute sind in dieser Frage zurückhaltend in der Meinungsäusserung. Und auch der Vorschlag von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, sich an die eigene Pensionskasse zu wenden, gestaltet sich nicht so einfach, weil nicht alle Versicherer in der Lage sind, eine valide Antwort zu geben. Zu viele Faktoren seien zurzeit noch offen oder noch unklar.

    Aufgrund dieser Ausgangslage ist Anton Schaller zuzustimmen, dass der Moment gekommen ist, unsere Drei-Säulen-Alterssicherung einer Gesamtschau zu unterziehen. Warum?

    In der Verkehrspsychologie hat sich der Begriff «Dynomen» für die Verkehrssinnbildung eingebürgert. Dies ist ein Zusammenzug der Wörter «Dynamit» und «Phänomen». Was meint der Begriff? Wenn ein Verkehrsteilnehmer oder eine Verkehrsteilnehmerin auf einer Quartierstrasse mit dem Auto unterwegs ist und plötzlich aus einem Garteneingang plötzlich ein Ball gerollt kommt, dann ist nicht nur höchste Aufmerksamkeit geboten, sondern auch Bremsbereitschaft. Denn meist kommt dem Ball hinterher ein Kind gerannt …! Eine explosive situative Dynamik, die es zu erkennen gilt. Eben ein «Dynomen»!

    Ich würde mir für gesellschaftspolitische Fragen wünschen, dass vermehrt nicht nur aktuelle Fragestellungen angegangen werden, sondern auch dem sozialen Dynamit, das sich möglicherweise in der Zukunft entwickeln könnte, Rechnung getragen wird. Wenn Anton Schaller eine Gesamtschau im Alterssicherungssystem anvisiert, ist das sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Aber zur Gesamtschau der drei Säulen in der Alterssicherung würde ich noch die Frage einer obligatorischen Pflegeversicherung hinzunehmen. Ein Thema, das sich insbesondere in der in der vulnerablen Phase des Älterwerdens (Hochaltrigkeit) akzentuiert und viele Rentner und Rentnerinnen besorgt und oftmals finanziell bei Heimaufenthalten oder Intensiv-Pflegedienstleistungen mehr als bedrängt. Also durchaus auch ein Phänomen mit explosivem Dynamit, eben ein «Dynomen» in Sachen Alterssicherung.

  3. Diese Zahlen sind Kaffeesatz lesen, sind Prognosen. Wer weiss denn schon sicher wie die Welt 2033 aussieht? Hr. Sturm, ETH, korriegiert alle 3 Monate seine Prognosen,

    Die Kristallkugel weist 4 Mia weniger aus als angenommen. Dies sei seit Mai 2024 bekannt… Wieso werden wir erst jetzt infomiert?.

    Sagte der ehem. Chefökonom der SNB: wenn sie unter Wasser sind, spielts keine Rolle ob 1 Meter oder 10 Meter …

  4. Es sind im Jahr 2033 sogar 14 Milliarden, nicht nur 4 Milliarden.
    Siehe auch in der nächsten Ausgabe WOZ und Infosperber.ch

    • Besten Dank für Ihren Hinweis Frau Studer. Den Artikel von Infosperber.ch über die falschen Berechnungen der zuständigen, von unseren Steuergeldern gut bezahlten Verantwortlichen in der AHV, habe ich gelesen und an mein Umfeld weiter geleitet.
      Ich halte die gut recherchierten Themen bei Infosperber.ch für seriös, als unabhängige Medienplattform als Gegengewicht zu den grossen Medien wie auch der SRG, als sehr wichtig, um sich ein eigenes Bild über das Funktionieren unserer Demokratie machen zu können.

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