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Kamala Harris aus Schweizer Sicht

Jetzt ist sie es: Kamala Harris, Kandidatin der Demokraten für das wichtigste Amt im wichtigsten demokratischen Land der Welt, Kandidatin für die Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten von Amerika. Und weil sie im Gegensatz zu Donald Trump, ihrem republikanischem Gegenkandidaten, als überzeugte Demokratin die Demokratie nicht nur verteidigen, sondern auch weiterentwickeln will, ist sie für Demokraten die zu wählende Kandidatin.

Harris präsentierte sich in dieser tatsächlich grossen, gar gigantischen, für europäische, schon gar nicht für schweizerische Verhältnisse ungewohnten Show als eine überaus aufgestellte, kämpferische, kompetente Frau, voller Tatendrang, selbstbewusst, keineswegs eingeschüchtert, mit offenem Visier. Das blasse Bild, das sie für viele, insbesondere für die selbsternannten Medienstars als Vizepräsidentin abgab, hat sie, abgestützt auf ihre grosse Erfahrung als Generalstaatsanwältin, als kompetente Interviewerin in Senats-Hearings nicht nur abgelegt, sondern ins Gegenteil verkehrt. Sie kippte die Stimmung. Plötzlich «liegt wieder Hoffnung in der Luft», wie Michelle Obama in das grosse Rund der Demokraten in Chicago rief und den Nerv Tausender traf. Plötzlich verblasste Trump in den Medien mit seiner Miesmacherei, seiner Angeberei. Seine Siegergeste nach dem Attentat auf ihn gehört bereits der Geschichte an, vermag nicht zu retten, dass er der Grösste ist, von Gott auserwählt, um über allem zu stehen, wie er sich selbst sieht. Und dass nur er Präsident der USA werden kann.

Da fühlen sich die Kommentare von Fabian Fellman im Tages-Anzeiger wie aus der Zeit gefallen. Er vermag nicht zu akzeptieren, dass Harris sich nicht der Tortur der Vorwahlen zu stellen hatte. Dass ihre Rede «vage» war, der Glamour des Partei-Kongresses allein sie nicht ins Weisse Haus führen wird. Und er orakelt schon, dass «nach Barack Obama die Amerikaner Trump ins Weisse Haus entsandten». «Und es ist keineswegs sicher sei, dass Kamal Harris Trumps Rückkehr ins Weisse Haus verhindern kann.»

Martin Suter, US-Korrespondent der Sonntag-Zeitung, zweifelte immer schon an der Kompetenz vom Kamala Harris, wie viele seiner Kollegen und Kolleginnen auch. Er schrieb auch wacker mit, als es darum ging, Tim Walz, Harris Vize-Kandidaten, vor allem seine Vergangenheit als Soldat und insbesondere seinen Rang in Zweifel zu ziehen. Und er bemängelte, dass sie sich noch nicht einem kritischen, kontroversen Interview stellte. Einer Form, der sie so recht nicht gewachsenen sei.

Eric Guyer, Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung geht da weiter. Er schrieb in seinem Leitartikel unter dem Titel «Fairness für Trump»: «In Europa ist man sich einig, dass Trumps Wiederwahl eine Katastrophe wäre. Dabei hat er aussenpolitisch einige Erfolge vorzuweisen. Kamala Harris ist für Europa ein mindestens so grosses Risiko». Tatsächlich? Guyer begründet das damit, dass «Biden zwar an Israel Waffen liefere, aber die Linken in seiner Partei dagegen rebellierten. Harris dürfte eher dem linken Flügel nachgeben und auf einen propalästinensischen Kurs einschwenken». Damit übernahm Guyer etwas voreilig die Position Trumps, der Harris zudem als Linke, gar als Kommunistin bezeichnet.

In ihrer Rede zur Nomination blieb Harris aber unmissverständlich, sie will an den Waffenlieferungen festhalten, ermahnte aber Israel, sich im Gazastreifen ans Völkerrecht zu halten, die zivile Bevölkerung zu schonen. Guyer versteigt sich gar, dass  Harris keinen transatlantischen Hintergrund habe. Immerhin nahm sie an der ersten Friedenskonferenz zur Ukraine als Vizepräsidentin der USA in der Schweiz teil, versicherte in ihrer grossen Rede der Ukraine ihre vorbehaltlose Unterstützung zu, will an der atlantischen Verteidigungsstrategie festhalten. Guyer schrieb das vor vier Wochen. Gut möglich, dass er jetzt – nach dem Parteikonvent der Demokraten – ein anders Bild von Kamala Harris hat, wie viele von uns auch.

Nicht so Markus Somm, Chefredaktor des Nebelspalters. Er ereiferte sich in der Arena am letzten Freitag zur gewagten These, Joe Biden sei dafür verantwortlich, dass wir zurzeit mit einer äusserst gefährlichen weltpolitischen Lage konfrontiert seien. Biden habe der Ukraine nie oder zu spät die Waffen geliefert, die Selensky gebraucht hätte, um die Russen zu schlagen. Seine Nahost-Politik sei verheerend. Aus dem Iran gehe die grösste Gefahr aus. Und die Huthi-Rebellen führten seit Monaten Terroraktionen gegen die Schifffahrt im Roten Meer aus. Dies als Rache an Israel wegen des Krieges im Gaza-Streifen. Sie würden dadurch die Handelsschiffe auf den grossen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung zwingen, was die Importe massiv verteuern würde. Selbst wir in der Schweiz würden das künftig zu spüren bekommen, wenn wir in die Migros einkaufen gingen. Kamala Harris sei als Vizepräsidentin mitverantwortlich dafür, sie habe diese Politik mitgetragen. Von Putin und seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg war in seinen Statements nie die Rede. So reden in Deutschland Vertreter der AfD, so redet Sahra Wagenknecht, wenn sie jetzt eine Woche vor den Wahlen in Ostdeutschland für ihre Partei vehemente Statements abgibt. Und dabei einen schont: Putin.

Kamala Harris will eine Präsidentin aller US-Amerikanerinnen und Amerikaner werden. Sie verbreitet Zuversicht, kann bei aller Ernsthaftigkeit auch lachen. Auch wenn Trump sie dafür als «verrückt» bezeichnet. Sie hat bis jetzt alle überrascht. Warum soll sie nicht auch bei kontroversen Interviews, im TV-Duell, in der direkten Konfrontation mit Donald Trump überraschen, gar mit einem durchdachten politischen Programm?

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6 Kommentare

  1. Die US-Präsidentschaftswahlen, jedes Mal annähernd dasselbe «Affentheater», würde meine verstorbene Mutter sagen. Auch die heftig umstrittenen Eigenschaften der zu wählenden Personen, die Prognosen von rechts bis links über den Ausgang und die zu erwartenden Folgen für Europa und für die restliche Welt, eigentlich immer dasselbe Szenario. Mal gewinnen die Republikaner, mal die Demokraten und immer spielen das grosse Geld und heutzutage natürlich die Macht der Medien, egal ob wahr oder falsch, die Hauptrollen.

    Europa sollte sich auf sich selbst besinnen und den überschätzten Nachbar über dem grossen Teich nicht so wichtig nehmen. Die Denk- und Handlungsweise der US-Amerikaner entspricht nicht der unseren. Europa ist anerkannte Vielfalt mit hart erkämpften, festgeschriebenen basisdemokratischen Regeln, auf die wir stolz sein sollten. Das glorifizierte Amerika, das wir noch im 20. Jahrhundert wahrnahmen, hat nie existiert. Denken wir nur an die vielen Kriege, die militärischen und politischen Einmischungen der USA in die Souveränität anderer Länder, den Rassenwahn und die Unterdrückung der indigenen und schwarzen Bevölkerung und die Verfolgung Andersdenkender im eigenen Land.

    Dieses Amerika sollte nicht länger ein Vorbild von uns Europäern sein. Wir haben eigene Stärken, über Jahrhunderte gewachsene eigenständige Gesellschaften und eine wunderbare kulturelle Vielfalt, auf die sollten wir uns konzentrieren. Wir müssen unsere Wirtschaft reformieren, neue gemeinsame Ziele mittels der wichtigen Institutionen der EU formulieren und stärken und zusammen mit Gleichgesinnten weltweit einen langfristigen Frieden sichern. Ob Kamala Harris oder Trump, diese Entscheidung liegt nicht in unserer Verantwortung und sollte deshalb unsere Zukunft nicht bestimmen.

  2. wie gut gibts noch leute wie anton schaller. ich hatte beim lesen verschiedener kommentare auch den eindruck, trump sei hier, bei der rechten, willkommener – der gottlose, verurteilte betrüger u landesverräter.

  3. Danke Frau Mosimann, eine Stimme mehr die Ihnen voll und ganz zustimmt. Ausgezeichnet getextet ohne Scheuklappen.
    .
    Zur ‚Zusammenfassung‘ von Anton Schalle: Auch ihm sei Dank für die niedergeschriebenen Gedanken zum Lesen für alle. Und Herrn Lehmann***.

    Ist doch schön, wie sich die Herren Journalisten, wie oben aufgeführt, der Zeitungen Tages-Anzeiger, Sonntagszeitung, NZZ, Nebelspalter, positionieren.

    Diese Journalisten schreiben äusserst neutral (!) – Sie nehmen Stellung und legen ja nur ihre Überlegungen dar. Einordnung bei differenziertem Lesen möglich***.

    Für mich erschreckend. Der Aufruf ‚Fairness für Trump‘ in einer renommierten Zeitung?! – Es scheint, dass auch ‚langjährige‘ Journalisten die deutsche Sprache und deren Wortsinn -Inhalte nicht mehr beherrschen.

    Unter Fairness finde ich – lediglich im Thesaurus meines PCs (!) – folgende Begriffsbildung:

    Gerechtigkeit _ Anstand _ Loyalität _ Aufrichtigkeit _ Objektivität _Offenheit _ Redlichkeit _ Unbestechlichkeit.

    Alles Charaktereigenschaften, die man dem Herr Trump zugestehen kann, oder?
    Trump als Präsident der Vereinigten Staaten war stets fair in seinen Auftritten und Reden… Die nachvollziehbare Antwort: 28.8.24 / ORF 1 / Dokumentarfilm:

    Sturm aufs Kapitol – war das gemäss all diesen Herren demokratisches Handeln? War das fair?

    Das war für mich der ‚Hammer vom Hammer‘. Absolut zu verurteilen. Die Medien aber taten es ab wie ein Gentlemen Delikt. Für mich Hohn und zum Heulen.

    Wenn Frau Wagenknecht für (!) Putin spricht, indem sie die Waffenlieferung stoppen will:
    I have a dream! Genauer definiert: Dass alle Männer auf dieser Welt die Waffen nieder legen und sich vom Kriegsgeschäft distanzieren. Ihre Kräfte und vor allem ihr Leben auf Lebenswertes konzentrieren würden. Die Männer haben noch nicht kapiert, dass sie es am Schluss stets selber trifft, nebst all dem zu Verwerfenden, was sie damit anrichten.

    Alles für Geld und Arbeitsplätze: Waffen produzieren, Waffen horten. Menschen zum Zerstören und Töten ausbilden. Ja. Irgendwann müssen die aufgewendete Zeit und das Material zum Einsatz kommen. Männer beschäftigen und Waffen vernichten; aktiv sein : Krieg. Einen Grund dazu finden sie immer.

    Der Natur gleich? Im Herbst fallen die Blätter und im Frühjahr spriessen sie wieder neu. Ich frage mich nur: Wie lange noch auf unserem Planeten??

  4. Wir immer, Anton Schallers Einschätzungen sind positiv und vorausblickend. Man soll sich auch nicht aufhalten lassen, von Journalisten der offiziellen Presse. Der Tagi, einst mein Leibblatt, schwankt zwischen bürgerlich und Boulevard, und von Guyer von der NZZ, ist schon lange nichts Gescheites mehr zu erwarten. Markus Somm’s Rauchpetarden sind wie immer unerheblich. Es muss mal gesagt sein: Anton Schaller ist sich treu geblieben.
    Zu den Kommentaren: “Dieses Amerika sollte nicht länger ein Vorbild von UNS Europäer sein”. Bravo, eine ganze Generation von Linken und anderen Fortschrittlichen ist und war seit 60 Jahren derselben Meinung. Allerdings wer ist hier WIR? Die Schweiz wehrt sich nach wie vor mit konstanter Bosheit dagegen, bei Europa dazu zu gehören. Dabei wäre dies ebenso eine gute Chance für die Schweiz, für uns und auch für Europa, so wie Kamala Harris eine echte Chance für die USA ist. Diese Wahl geht uns durchaus etwas an, aber ein schöner Anteil der Schweizerinnen und vor allem der Schweizer meint, auch sehr gut mit Trump leben zu können.

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