Über das Thema «Einsamkeit im Alter meistern – so gelingt uns dies selbstbestimmt und als Gesellschaft» sprachen kürzlich Elke Schilling und Pasqualina Perrig-Chiello in einem Podiumsgespräch in Bern.
Erschrecken Sie, wenn Sie von Einsamkeit hören? Wie begegnen Sie einer Frau, die Ihnen erzählt, dass sie die ganze Woche noch mit niemandem sprechen konnte? – Obwohl unsere Gesellschaft das Individuum fördert, jeder und jedem ermöglichen will, selbstbestimmt für sich zu leben, bleiben wir oft ratlos, wenn wir von Menschen hören, die unter ihrer Einsamkeit leiden.
Dem komplexen Thema widmete sich ein Podiumsgespräch im Politforum Bern. Unter der kundigen Moderation von Marina Villa zeigten zwei Fachfrauen Wege auf, Einsamkeit sichtbar zu machen und mit ihr umzugehen:
Elke Schilling, Gründerin von Silbernetz Deutschland und Buchautorin, eine ausgewiesene Expertin. Sie führt aus, wie wir mit mehr Gemeinsamkeit unsere Gesellschaft stärken können, und
Pasqualina Perrig-Chiello, Entwicklungspsychologin und Buchautorin. Sie verfügt über einen reichen Fundus aus ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit als Professorin an der Universität Bern. Sie fordert uns auf, das eigene Altern bewusst in die Hand zu nehmen und uns von negativen gesellschaftlichen Bildern des Alters zu befreien.
Die Gesprächsrunde von links: Elke Schilling, Pasqualina Perrig-Chiello, Marina Villa
Wenn wir Einsamkeit als «Fehlen der erwünschten Kontakte» definieren, bewerten wir sie anders, als wenn sie auf äussere Umstände, etwa einen Umzug, zurückzuführen ist. «Gefühlte» Einsamkeit entsteht, wenn der Partner / die Partnerin gestorben ist, die vertrauten Bezugspersonen fehlen und man sich inmitten anderer Menschen einsam fühlt. – Diese zweite Art von Einsamkeit kann krank machen. Jedoch: Nicht jeder fällt in den seelischen Zustand der Trauer und Depression! Ein Einsiedler, eine Einsiedlerin sucht die Einsamkeit, braucht sie auf dem spirituellen Weg, den sie oder er gehen will.
Wie umgehen mit Altersproblemen
Der Begriff «Alter» ist ein soziales Konstrukt. Äussere Lebensumstände machen Menschen zu «älteren» Menschen. Innerhalb der Gruppe der älteren Menschen müssen wir differenzieren: «Junge» Alte sind weniger einsam. Die Probleme tauchen im hohen Alter auf: Wer nicht mehr gut hört und sieht, weniger beweglich ist, gerät eher in die Einsamkeit. – Alles hängt von der Persönlichkeit des einzelnen und seinen aktiven Ressourcen ab.
Ungefähr 15% der Frauen und 7% der Männer fühlen sich laut Statistik einsam. Das sollte uns nicht erstaunen. Männer – vor allem ältere Männer – wurden anders sozialisiert: «Männer müssen stark sein», mussten sie schon früh lernen. Sich einsam zu fühlen, eine Schwäche zuzugeben, das gehört zu den Tabuthemen.
Die Gruppe der Menschen ab 60 umfasst die grösstmögliche Vielfalt von Persönlichkeiten, Lebensläufen und Lebenserfahrungen. «Wie alte Menschen ihr Leben meistern, gehört zu den berührendsten Beobachtungen», stellt Elke Schilling fest und Pasqualina Perrig-Chiello fügt hinzu: «Es ist eine Frage des Charakters, wie Menschen mit schwierigen Lebensumständen umgehen.» – Wer seit seiner Jugend Resilienz entwickelt hat, kommt auch mit den Komplikationen des Alters besser zurecht.
Altersdiskriminierung – DER Stein des Anstosses
Einige diskriminierende Schlagworte sind im Umlauf: «Alters-Zunami» oder «Alter ist eine Last» oder «Wie lange wollt ihr noch leben» – in Anspielung auf einen inzwischen ebenfalls alten Film. Beide Gesprächspartnerinnen lehnen solche Vereinfachungen deutlich ab, sie tragen nichts zur Lösung der Probleme bei, sind nicht auf ein Ziel gerichtet und dienen nur als Argument zur Spaltung der Gesellschaft.
Bildung hat für eine sinnvolle Bewältigung der Altersprobleme eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. «Wer gebildet ist, ist besser gewappnet gegen Vorurteile», sagen die beiden Fachfrauen. Und Pasqualina Perrig-Chiello erklärt: «Ausgebildet sind wir nie», d.h. lebenslanges Lernen ist der beste Weg zu einem erfüllten Alter. Das bedeutet keineswegs, ständig Aus- und Weiterbildungen zu absolvieren. Wichtiger ist Lebenserfahrung: die reflektierten Erfahrungen, die wir im Laufe der Jahre sammeln. Das ist der Reichtum des Alters.
Babyboomer werden alt
Viel ist in den letzten Jahren von den «Babyboomern» gesprochen worden, den alten «68ern». Sie wollten in ihren jungen Jahren die Welt neu erfinden, alte Konventionen über Bord werfen – dazu waren sie Individualisten und wehrten sich gegen alle Vorschriften. Diese Babyboomer sind nun auch in dem Alter, von dem an diesem Abend die Rede ist. Ganz bestimmt haben sie ihre Lebenseinstellungen nicht vollkommen geändert. Daraus folgt, dass die älteren und alten Menschen sich heute ebenso wenig wie vor 50 Jahren in einen einzigen Rahmen werden pressen lassen.
Alterseinsamkeit meistern: «mal reden»
Der erste Schritt, Einsamkeit im Alter zu überwinden, besteht darin, dass die Alten untereinander und mit jüngeren darüber sprechen, wo ihre Defizite liegen, wo Tabus den Austausch behindern. Dass im Einzelnen der Gedanke auftaucht, er oder sie sei «selbst schuld», sei ein Versager, eine Versagerin, das können Gespräche verhindern.
Pasqualina Perrig-Chiello und Elke Schilling
Für solche Gespräche steht ein Gefäss bereit: malreden.ch. Vor einigen Jahren gegründet, bietet es Telefonkontakte, so oft sie gewünscht sind. Auch regelmässige «Tandems» können über einige Jahre alte Menschen in ihrem Alltag begleiten. Sowohl in Deutschland, wo diese Einrichtung von Elke Schilling ins Leben gerufen wurde, als auch in der Schweiz haben viele freiwillige Helferinnen und Helfer gute Erfahrungen gemacht. Die Integrität der anrufenden Personen bleibt durch die Anonymität des Telefons gewahrt. Alle Helfenden sind geschult und werden von Expertinnen bzw. Experten kontrolliert. – Es geht nicht um Psychotherapie, sondern um mitmenschlichen Austausch, ums Gespräch – und ums Zuhören.
Wie funktioniert die Finanzierung, will Moderatorin Marina Villa zum Schluss wissen. Silbernetz Deutschland muss seit seinem Bestehen vor fünf Jahren stets «an der Grenze wandern», es ist ständig unterfinanziert und folglich auch unterbesetzt. Das ist in der Schweiz nicht viel besser. Silbernetz Schweiz ist von Stiftungen abhängig. «Einsamkeit kostet uns viel Geld.» Gefordert ist die Zivilgesellschaft. Der Einsatz der Freiwilligen sollte nicht unbeachtet bleiben.
Alle wissenswerten Angaben und Links:
Elke Schilling: Vorsitzende des Vereins Silbernetz Deutschland.
Ihr Buch: Die meisten wollen einfach mal reden – Strategien gegen Einsamkeit im Alter, 2024, ISBN 3-86489-432-8
Prof. em. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello: Entwicklungspsychologin, Präsidentin der beiden Vereine Silbernetz Schweiz und connect!
Ihr Buch: Own your Age: Stark und selbstbestimmt in der zweiten Lebenshälfte.
Die Psychologie der Lebensübergänge nutzen.
Beltz Verlag, Weinheim 2024. ISBN 978-3-407-86800-8
malreden erreichen Sie direkt täglich von 9-20 Uhr: 0800 890 890
malreden.ch ist ein Teil von Silbernetz Schweiz
connect! Gemeinsam weniger einsam.– Dieses neue Projekt verbindet Menschen aller Altersstufen zur Förderung von sozialer Zusammengehörigkeit.
Die Webseite befindet sich noch im Aufbau. Kontakt: info@ch-connect.ch
Titelbild: Einsamkeit in Zeiten von Corona Foto: Uschi Dreiucker / pixelio.de
Finde ich super es gibt wirklich Tage da fehlt das gespräch
Unbedingt, ich finde diese Tatsache und Aufbau der Stelle: die Einsamkeit im Alter notwendig.Und zwar praktisch.Nicht als Fragenbogen und Auswertung mit Diplome.Es wird so schnell abgekürzt im Grüezi und Adé und weg sind sie.Obwohl freundlich ausgedrückt, so ist dies längerfristig unhaltbar.
Ich finde das eine gute Sache, da
ich ebenfalls das Gespräch suche
seit ich Witwe bin. Manchmal fühlt
man sich sehr einsam, da ich in
der Wohngemeinde nicht aufgewachsen bin. Die jungen
Leute haben ihre eigenen Probleme.
So wertvoll + wichtig. Nicht nur im Alter. Mir scheint, dass wir generell verlernt haben miteinander zu reden. Jedoch gerade die älteren Menschen sind doch mit ihren Erfahrungen so interessant und spannend zu hören.
Alles was zwischenmenschliche Kommunikation fördert, ist zu begrüssen. Z.B. das unverbindliche 24-Stundentelefon «Einfach mal reden» ist eine gute und praktikable Möglichkeit, der Vereinsamung vorzubeugen. Vergessen wir nicht, bei allem Reichtum und Komfort, der für viele selbstverständlich geworden ist, was das Menschsein ausmacht. In unserer schnelllebigen und technologisierten Welt gelten andere Werte und Regeln als früher und unser Grundbedürfnis den Menschen zuzuhören und selber gehört zu werden, kommt zu kurz. Das lässt einige einsam und teilweise melancholisch werden; trotzdem glaube ich nicht, dass man a priori im Alter einsamer ist.
Es liegt auch an fehlenden Infrastrukturen in Städten und Quartieren, wo mit niederschwelligen Gratisangeboten und offenen Treffpunkten für Betagte Kontakte und Austausche gefördert würden. Die öffentliche Hand unterstützt seit vielen Jahren Treffpunkte für Kinder und Jugendliche, was in Ordnung ist, aber warum nicht auch die Altersgruppe 65+, die genauso das Recht hat ihre eigenen Bedürfnisse zu leben und für die verbleibenden Lebensjahre bestimmt nicht das eingeschränkte Dasein in einem Altersheim als Traumort sieht.
Auch die Medien, wenn Betagte und ihr Alltag überhaupt darin vorkommen (siehe Programme von SRF), tragen zu den Vorurteilen gegenüber der älteren Bevölkerung bei, in dem sie mE. ein einseitiges Bild von Senior:innen nach aussen transportieren. Sie zeigen oft nur die negativen Seiten des Alters wie Krankheit und Pflegebedürftigkeit, fehlende Immobilität und Abhängigkeit von anderen u.a.m., so werden Betagte in der Öffentlichkeit oft als Last und in der konservativen Politik nur als Kostenfaktor gesehen.
Es muss sich politisch und gesellschaftlich einiges ändern. Ich setze vor allem auf unsere Vertreterorganisationen, die in der Öffentlichkeit die Anliegen und Nöte sowie die Rechte der älteren Bevölkerungsgruppe mutiger und präsenter sichtbar machen und einfordern. Bei einer gesamtschweizerisch organisierten Altersdemo wäre ich als «Mitläuferin» dabei 😉
Es gibt viele Projekte mit guten Ansätzen doch in der Gesellschaft begegne ich immer wieder Menschen die vieles besser wissen !
Organisiert Euch selber,gründet einen Verein oder bietet eine Kafferunde an es ist so vieles möglich. Das Zauberwort heisst TUN.🫶
Ich bin Pflegeaktivist, Regiovertreter Nordwestschweiz UNIA Pflege ,bin über 30 Jahre in der Pflege ,bin in Teilpension, nicht ganz freiwillig. Die alten Menschen vereinsamungen,wir über 60 Jährigen auch,werden nicht Wertgeschätzt im Arbeitsleben. Je älter, dass man wird, um so weniger,wird man berührt.Eine Umarmung tut einfach 👍 gut.Es gibt bei der UNIA Senioren Gruppen die für Ihre Rechte kämpfen, es braucht den Kampf, auch bei den Alten,ich werde nicht schweigen,auch wenn ich älter bin.Ich habe lange genug geschwiegen, ich bin wütend 😠 😠 😠.
Ja ich war auch einsam, obwohl ich erst 68 Jahre bin !
Ein älterer Herr hat mich vor drei Jahren angesprochen, seit dieser Zeit bin ich nicht mehr einsam ! Wir wagen es sogar zusammen zuziehen !
Auch ich bin dafür dass viel mehr getan werden müsste für Menschen die Einsam sind. Und es sind nicht nur ältere Jahrgänge die Einsam sin, nein es gibt auch viel jüngere!
Ich (Jahrgang 1949) habe das grosse Glück, nach dem frühen Tod meiner Frau, dass ich mit meinem Sohn (Jahrgang 1980) zusammen leben darf. Er ist selbständiger Therapeut, und verdient den grösseren Anteil an unserem Einkommen, Ich mache zu 80% den Haushalt, die Wäsche, versorge die Tiere (Hund und Katz), und mache zusätzlich noch die Buchhaltung und diverse Administrative Dinge für das Geschäft vom Sohn. So haben wir zusammen ein recht gutes Einkommen, und mir ist es nie Langweilig. Also ich kann nicht über Einsamkeit klagen!