Am 22. September entscheidet das Schweizer Stimmvolk über die Annahme der BVG-Reform. Die Reform will Renten sicherer finanzieren und die Situation von Teilzeitangestellten mit tieferen Löhnen verbessern. Die Vorlage ist sehr umstritten.
Seniorweb publiziert in diesen Tagen drei Beiträge, die das Für und Wider zur BVG-Reform darlegen. Um was es bei der Abstimmung vom 22. September geht, wird im nachfolgenden ersten Beitrag erläutert:
Die BVG-Reform betrifft die zweite Säule unserer Altersvorsorge, also die Pensionskasse, bei der die Berufstätigen und ihre Arbeitgeber monatlich einen Vorsorgebeitrag leisten. Die Schweiz verfügt weit über 1000 Pensionskassen mit eigenen Reglementen. Ob und wie die einzelnen Stimmberechtigten von der Reform betroffen sind, variiert von Kasse zu Kasse.
2017 scheiterte eine erste Vorsorge-Reform vor dem Stimmvolk. Der Reformvorschlag, der jetzt zur Abstimmung gelangt, war im Parlament hart umkämpft und benötigte mehrere Runden. Gegen die jetzige Vorlage hat der Gewerkschaftsbund das Referendum ergriffen. Darum entscheidet nun das Stimmvolk am 22. September darüber.
Was will die BVG-Reform?
Die jetzige Reform bezweckt einmal einen tieferen Umwandlungssatz. Dieser soll von heute 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt werden. Das heisst, dass pro 100 000 Franken Alterskapital nicht mehr 6800, sondern nur noch 6000 Franken Rente pro Jahr ausbezahlt wird. Die Renteneinbusse beträgt rund 12 Prozent. Die Senkung des Umwandlungssatzes betrifft nur den obligatorischen Teil des Vorsorgeguthabens. Rund 85 Prozent der Versicherten sind jedoch überobligatorisch versichert, also besser als gesetzlich vorgeschrieben. Deren Umwandlungssatz liegt schon heute tiefer, gemäss Swisscanto im Schnitt bei 5,3 Prozent. Die bestehenden Renten werden nicht angetastet.
Für die Übergangsgeneration ist eine Kompensation vorgesehen. Diese sieht vor, dass die Renteneinbusse für die ersten 15 Jahrgänge, die von der Kürzung betroffen sind, stufenweise ausgeglichen werden soll. Der Ausgleich erfolgt gemäss Alter und Höhe des angesparten Alterskapitals. Je älter die Betroffenen sind und je weniger Kapital sie angespart haben, desto höher soll der Ausgleich ausfallen. Der Zuschlag beträgt bis zu 200 Franken im Monat und gilt lebenslang.
Weiter sieht die Reform vor, dass die PK-Beitragssätze, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen, mit dem Alter nicht mehr so stark steigen sollen. Heute klettern sie gestaffelt von 7 bis auf 18 Prozent bei über 55-Jährigen. Künftig soll der obligatorische Sparbeitrag nicht mehr über 14 Prozent hinausgehen. Mit dieser Massnahme sollen die Chancen von älteren Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt erhöht werden.
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute mindestens 22 050 Franken pro Jahr verdienen. Mit der Reform sollen bereits Einkommen ab 19 845 Franken pensionsberechtigt sein. Davon betroffen wären laut dem Bund rund 100 000 Arbeitnehmende. Schliesslich wird der sogenannte Koordinationsabzug angepasst. Damit bezeichnet man den Betrag, der für die Berechnung der Pensionskassenbeiträge vom Bruttolohn abgezogen wird. Gegenwärtig beträgt der Koordinationsabzug unabhängig vom Lohn 25 725 Franken. Neu wären bis zu einer Höhe von 88 200 Franken jeweils 80 Prozent des Lohns versichert. Vorab mit den beiden letzten Massnahmen will man erreichen, dass die Vorsorge von Personen mit einem geringen Einkommen verbessert wird. Dazu gehören vor allem Teilzeitangestellte und Frauen.
Wer profitiert von der BVG-Reform?
Die BVG-Reform ist komplex und hart umstritten. Die Pro- und Kontra-Lager argumentieren mit Rechenbeispielen, die teils mehr für Verwirrung als für Klarheit sorgen. Für die Befürworter ist die Vorlage ein Fortschritt, weil sie die Altersvorsorge finanziell langfristig sichert und die Rente von Personen mit tieferem Einkommen verbessert. Davon würden rund 360 000 Personen profitieren. Die Gegner kritisieren vorab die Senkung des Umwandlungssatzes sowie die gleichzeitige Anhebung der Lohnbeiträge. Einzelne Betroffene würden gemäss dem Gewerkschaftsbund bis zu 3200 Franken weniger Rente erhalten.
Wer zu den Gewinnern oder zu den Verlierern der Reform gehört, ist schwer auszumachen. Dazu ist eine individuelle Berechnung nötig, die von Kasse zu Kasse variiert. Für die grosse Mehrheit der Versicherten verändert sich mit der Reform nichts, weil sie überobligatorische Leistungen beziehen, deren Umwandlungssatz schon deutlich reduziert wurde, oder weil in ihrer Pensionskasse der Koordinationsabzug bereits gesenkt oder abgeschafft wurde.
Ein Zitat zum Grundverständnis unserer Altersrentenversicherung von Rudolf Strahm:
«Ursprünglich war die zweite Säule als Sozialversicherung mit gemeinnützigen, nicht gewinnorientierten Stiftungen konzipiert – ergänzt mit einem separaten, staatlich überwachten Schalter für Sammelstiftungen bei privaten Lebensversicherungen. Doch durch die Anlagepraxis für über eine Billion Kapitalfranken wurde die zweite Säule zu einem praktisch unkontrollierten Riesengeschäft für eine rührige Szene von Anlageberaterinnen und Vermögensverwaltern sowie für Banken und Fonds des privaten Kapitalmarkts». (ganzer Text siehe Link)
Wer trägt eigentlich die Verantwortung dafür, dass Milliarden Franken aus Gewinnüberschüssen dieser Branche nicht, was logisch und gerecht wäre, an die Beitragszahler:innen zur Finanzierung und stabiler Sicherung ihrer Renten zugeführt werden, sondern in ihren eigenen Taschen verschwinden? Unsere Regierung, die diesen Missstand zulässt, oder die Profiteure?
https://direkt-magazin.ch/meinung/kkrft/rudolf-strahm-8-milliarden-franken-versickern-jaehrlich-in-der-zweiten-saeule/
Das ist mehr Politik und Populismus als faktisch korrekt. Wer von links keine besseren Argumente gegen diesen fein austarierten Kompromiss zur Modernisierung der 2. Säule hat, schiesst halt gegen die «böse Finanzindustrie». Alles wie gehabt. Dabei geht’s bei dieser Reform nicht um die Verwaltungskosten, das ist bloss eine Nebelpetarde.
Keine Argumente mehr, also werden von Seiten der Gegner solche Argumente ins Feld geführt und erfundene Zahlen kommuniziert. Das mag der Gegenkampagne dienen, aber der freien Meinungsbildung und der Demokratie ist ein Bärendienst erwiesen.
Apropos: Die 2. Säule hat das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis als die AHV.
https://www.nzz.ch/wirtschaft/die-juso-wollen-die-2-saeule-abschaffen-experten-warnen-vor-dramatischen-folgen-ld.1843795
Rudolf Strahm argumentiert einseitig: Die Stiftungen oder Pensionskassen sind nach wie vor nicht gewinnorientiert. Die dort liegenden Gelder müssen zu Gunsten der in der Vorsorge angeschlossenen Leute (Destinatäre) eingesetzt werden. So kann es vorkommen, dass überschüssige Mittel zu Gunsten der Destinatäre ausbezahlt oder gar für Rentenerhöhungen – allerdings eher selten – ausgerichtet werden. Jährlich legen die Vorsorgeträger ihre Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen vor, ebenso werden die Destinatäre jährlich über den Stand ihrer Vorsorgeleistungen orientiert. Die Aussage vom unkontrollierten Riesengeschäft darf deshalb kritisch hinterfragt werden.
Wie auch immer: Bei einem Nein bleiben die gegenwärtigen Schwächen bestehen. Bei einem Ja werden sie behoben.