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Zurück zu den Wurzeln des Alien

Mit der Ausstellung «HR Giger. Die Churer Jahre» ehrt das Bündner Kunstmuseum zum zehnten Todestag einen der bedeutendsten Künstler der Schweiz. Der Schöpfer des Alien ist bekannt, aber dass die Figur als Vision in Gigers Jugend auftaucht, ist weniger geläufig.

Dank eines grosszügigen Apothekers und seiner weitherzigen Frau, deren Vertrauen in ihren Sohn Hansruedi unerschütterlich war, ist für die Churer Jugend im Jahrzehnt des Aufbruchs Ende Fünfziger bis in die Sechziger Jahre mehr freie Entfaltung, mehr Experimente eines neuen Lebens mit Sex, Drugs and Rock’n’Roll möglich geworden, als in manchen Gross- und Weltstädten.

Blick in die Ausstellung. Foto: Thomas Strub

Wer sich in die Ausstellung HR Giger. Die Churer Jahre im Kunstmuseum Chur begibt, wird dort älteren Damen und Herren begegnen, die sich vor dieser oder jener Fotografie unterhalten und in Erinnerungen schwelgen über ihre nähere oder fernere Begegnung mit einem, der seine unbändige Kreativität schon als Kind und Teenager ausleben konnte. Vielleicht haben sie seinerzeit zusammen mit dem Hochbegabten neue Kunst- und Lebensräume ausprobieren dürfen.

Hans-Richard Giger mit Sohn auf der Alp Foppa bei Flims

Hansruedi Giger (1940-2014) war ein hochbegabter Bub mit breiten Interessen, in der heilen Welt einer harmonischen bürgerlichen Familie, die allerdings vom Kalten Krieg, von der Atombombe und vom Holocaust überschattet war. Ein Zufallsfund im Berghaus von Flims-Foppa durch Charly Bieler und Mia Bonzanigo, die in den 70er Jahren mit Giger verheiratet war, öffnet unversehens den Zugang zur frühen Vita von HR Giger: Eine Kiste Familienfotos samt Negativen ist aufgetaucht, mit einer guten Kamera und einem guten Auge meist von Papa Hans-Richard Giger geknipst, oft sorgfältig inszeniert.

Zu seiner Mutter Melly hatte Hansruedi eine sehr enge Beziehung. Hier ein Foto aus den  40er Jahren

Damit haben die beiden ein Buch gestaltet, angereichert mit weiteren Materialien, auch Zeichnungen von HR Giger. Die gut inszenierten Fotostrecken in dem sorgfältig gestalteten Buch sind leider mit unbedarften Bildlegenden versehen und bieten weniger Information, als ein durchschnittliches Familienalbum. Schade.

Mit dem Fotomaterial sowie weiteren Bildern aus Gigers Churer Zeit ist parallel die Ausstellung im Bündner Kunstmuseum entstanden. Katharina Vonow, Fotografin und Künstlerin, ist beeindruckt von der hohen Qualität der Familienbilder. Es seien zudem Zeitzeugnisse, da sie auch das Umfeld dieses Buben und seiner Familie zeigten.

Installation von HR Giger im Schwarzen Zimmer  1956-1962. Foto: HR Giger

Fotos aus diesem Fundus sowie aus den Jugendjahren mit der Geisterbahn und dem legendären Schwarzen Zimmer unter der Apotheke und aus der Zeit, als HR Giger Bühnenbilder fürs Mosaik-Laien-Theater seiner Freunde gestaltete, sind zu sehen, denn Gigé, wie ihn seine Entourage nannte, hat die Kamera seines Vaters weiter gebraucht und sich und seine Freunde inszeniert.

Installation von HR Giger im Schwarzen Zimmer zwischen 1956 bis 1962. Foto: HR Giger

Für Vonow ist es eine Sensation, dass eine solche Dokumentation über die Kindheit und Jugend eines Künstlers erhalten geblieben ist. Sie hat gemeinsam mit Museumsdirektor Stephan Kunz die mit Artefakten und Zeichnungen angereicherte Fotoausstellung kuratiert. Nun erzählen die Bilder viele Geschichten aus HR Gigers Churer Jahren und öffnen ein Zeitfenster in die Aufbruchstimmung einer Generation.

Familie Giger auf Foppa

Die Fotos zeigen ein aktives Kind, einen Buben, der sich mit Waffen bestens auskannte und gern auch Munition und Bomben herstellte – Rohmaterial fand er im Lager der Apotheke – Modellflugzeuge baute und in den wilden Wäldern unterm Flimserstein seinen Rückzugs- und Abenteuerspielplatz fand. Die Familie hatte in Flims Foppa ein Sommerhaus.

In der Erinnerung seiner Freundinnen und Freunde gilt Hansruedi als ein scheuer und liebenswürdiger Zeitgenosse, der alle immer wieder bei sich im Schwarzen Zimmer versammelte, dort das wilde Treiben mit und ohne Kamera von einer ruhigen Ecke aus beobachtete. Seine Talente lebte er jedoch exzessiv aus, in der Jazzmusik, beim Erfinden von neuen Techniken, beim Zeichnen.

Neben dem Sopransaxophon spielte Giger auch Klavier in den Jazzbands. Fotograf unbekannt

Giger war ein Ausnahmetalent, ein begnadeter Musiker, ein Tüftler und Handwerker, aber am Ende konzentrierte er sich auf das künstlerische Gestalten. Die Installation im Kunsthaus ermöglicht einen überraschend anderen Blick auf den Oscarpreisträger, der gemeinhin als düsterer Zeitgenosse galt.

Schon als Kind, angeregt von Mickey-Mouse-Heften, produzierte er eigene Bildergeschichten, eine Quelle der Inspiration war ihm der Lederstrumpf, später im Gymnasium war er der herausragende Zeichner für die Schülerzeitung Sprachrohr. Dass es zu Zensurmassnahmen durch die Lehrer kam, wundert heute niemanden, der diese frühen genialen und auch bitterbös kritischen Zeichnungen anschaut.

HR Giger: Bühnenbild-Skizze für  «Die Buckligen» 1963

Seine traumatische Angst vor dem Atomkrieg, vor Mutanten – am Beginn nannte er sie Atomkinder – und sein Ekel vor Schlangen und Würmern sowie seine Faszination vom Tod sind in den Albträumen angelegt, die ihn lebenslang begleiteten. Er litt unter dem unkontrollierten technischen Fortschritt, den er in einer Katastrophe enden sah. Sein Ängste konnte er in seinen Zeichnungen, später in seinen Skulpturen bannen, die bis heute faszinieren.

Drei Titelblätter von HR Giger für die Schülerzeitung «Sprachrohr»

Wohl wegen seiner abgründig makabren Kunstwerke und wegen seines Erfolgs in der Filmwelt Hollywoods hat ihn der «seriöse» Kunstbetrieb nie als einen der wichtigen akzeptiert. Darunter hat er gelitten. Aber das kann sich ja wenigstens posthum noch ändern. Zumal das Universum der sexuell oder nekrophil aufgeladenen Biomechanoiden mit Tendenz zur Apokalypse als visionäre und abgründige Fantasien eine unheimliche Aktualität haben.

Titelbild: HR Giger in Wien. Foto: Gaudenz Schwarz
Bis 24. November
Weitere Informationen für den Ausstellungsbesuch
Buch: HR Giger. Die frühen Jahre. hg. von Charly Bieler. Zürich 2024, Verlag Scheidegger & Spiess. Mehrsprachige Ausgabe (Deutsch, Englisch, Französisch) ISBN 978-3-03942-196-1

Mehr über HR Giger:
Beitrag in Journal 21 zu Belinda Sallins Dokumentarfilm «Dark Star» von 2014

 

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2 Kommentare

  1. Ich denke, mit mehr Bildern, z.B. aus «Necronomicon», könnte man Besuchende für die Ausstellung gewinnen, die Gyger nicht schon kennen.

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