Der goldene Herbst lockt jeweils die Rentner im Quartier zum lockeren Schwatz ins Pärkli des Alterszentrums Pfingströseli. Heute dreht sich das Gespräch um Eigenheiten und Spleens.
Bis vor 7 Jahren hat Fred Füglistaller (72) noch Kamine gesäubert. Jetzt ist er Rentner und glücklich, immer dienstags mit ehemaligen Männerrieglern auf eine Wanderung gehen zu können. Heute aber sitzt er mit Gottlieb «Godi» Gans (82) auf der Parkbank im kleinen Dorfpärkli. Sie unterhalten sich über Gewohnheiten.
Während hie und da ein dürres Kastanienblatt raschelnd vom Baum fällt, schmunzeln Gottlieb und Fredi über Godis Marotte, Tag für Tag den Vorplatz zu seiner Garage zu wischen – egal, ob da eine Prise Schnee liegt oder ein paar herbstliche Blätter. Es sei ihm halt wichtig gewesen, sagt Gottlieb, der mittlerweile von einem dunkelblauen Opel Kadett L auf einen Hightech-Rollator umgesattelt hat. Ausserdem sei das jeweils sehr rasch geschehen. Gut, wissen die beiden Freunde nicht, dass er je nach Wind und Wetter gelegentlich auch mal zwei- oder dreimal seinen Sessel am Stubenfenster verlässt, um den Vorplatz zu säubern.
Diese Putzerei habe wenigstens einen Sinn, verteidigt sich Godi. Auf jeden Fall sinnvoller als Fredis Tick, vor dem Anzünden der Zigaretten immer zuerst den Zigarettenfilter abzureissen. Er habe immerhin während vier Jahrzehnten treu dieselbe Marke mit Multifilter geraucht, rechtfertigt sich dieser. «Eben», sagt Godi: «Hättest du eine Marke ohne Filter geraucht, hättest du wahrscheinlich ein Vermögen gespart.» «Was solls», sagt Fred und klaubt sein Zigarettenpäckli hervor.
Heute leisten Gertrud Trösch (79) und ihr neuer Freund und Begleiter Hubert Heuberger (81) den Herren Gesellschaft; sie sitzen einträchtig auf der Parkbank vis-à-vis. Sie war Direktionssekretärin in der örtlichen Seifenfabrik, er Vorarbeiter im gleichen Betrieb. Sie schmunzelt über ihre schrulligen Zeit- und Altersgenossen, reibt sich am rechten Ohrläppli (wie sie das immer macht, bevor sie zu einem Statement ansetzt) und sagt mit Blick auf Hubert: «Wisst ihr, Freunde, mein ‹Dicker› muss immer mindestens zwei volle Packungen WC-Rollen auf Vorrat zuhause haben. Ist eine Packung angebrochen, muss subito eine neue her.» Schallendes Gelächter. Bis sie grinsend ergänzt: «Vielleicht kommt das von daher, weil er, wenn er auf dem Topf sitzt, das Klopapier immer drei Mal zusammenfaltet. Drei Mal!»
Der enttarnte Hubert stösst vernehmlich ein «Ach, Trudi!» aus. Zuerst wollte er erzählen, dass er auf seinem Schreibtisch immer alle Gegenstände und Stifte parallel hinlegt, um klar denken zu können. Doch er besinnt sich eines Besseren und beginnt zu verraten, dass seine «bessere Hälfte» durchaus auch ihre Mödeli und Ticks habe. Während sie verlegen am Ohrläppchen zieht und ihr die Röte ins Gesicht steigt, erzählt er den Bänkli-Senioren, dass bei Trudi eine Tasse Tee oder Kaffee immer nur maximal bis zur Hälfte gefüllt sein dürfe. Schenke mal jemand mehr ein als bis zur Hälfte, lasse sie die volle Tasse einfach stehen …
Willibald Weingartner (77), emeritierter Physikprofessor und nie ohne Regenschirm unterwegs, hat sich unterdessen auch aufs Bänkli neben Godi gesetzt. Erst jetzt äussert er sich: «Wisst ihr, Freunde, ihr solltet nicht über solche Eigenheiten lästern. Und wieso nicht? Weil solche Marotten im Grunde genommen Rituale sind, um gewissermassen Ordnung in unser Leben zu bringen. Und ich sage euch noch etwas: Menschen mit Ticks werden erwiesenermassen weniger psychisch krank.»
Während Fred einen weiteren Zigifilter wegreisst, sitzen alle zufrieden auf dem Bänkli und sehen den fallenden Blättern zu.
Karikaturen Ernst Feurer
Diese Mödeli werden immer akzentuierter, je länger man lebt! Meist ist es die Umwelt, die uns den Spiegel vorhält. Danke herzlich für den erfrischenden Beitrag!