Nach Bühnenauftritten und Zirkustourneen, Theaterdirektion und Kinoleitung, Grafikbüro und Werbespotregie, Auszeit in New York, Bücher-Schreiben und Bühnen-Comeback gibt es zu Emils 90. Geburtstag den Kinodokumentarfilm «Typisch Emil» von Phil Meyer über den Schweizer Kult-Kabarettisten: zum Lachen und zum Weinen vor Lachen. Ab 7. November im Kino.
«Wenn wir im Wissen nicht mehr weiterkommen, suchen wir Hilfe in der Wissenschaft. Wenn wir im Können am Ende sind, fragen wir bei der Kunst nach. Beide Hilfen zugleich bietet das Buch ‹ich bin fröhlich‹ von Niccel Steinberger, der Frau von Emil. Wenn wir es gelesen haben, wissen und können wir mehr. Ein Brevier ist das Buch für alle, die sich gesundbeten möchten, ein Kursbuch, um den richtigen Zug nicht zu verpassen.» Das schrieb ich im Klappentext zu Niccels Buch. Und jetzt, zwanzig Jahre später, wiederhole ich die Sätze zur Premiere von «Typisch Emil», diesmal in Dankbarkeit hochgradig potenziert.
Seit den letzten zwanzig Jahren ist Niccel Emils Assistentin, Begleiterin, Helferin, Gesprächspartnerin, Buchhalterin, Ehefrau und wohl auch seine Muse, nachdem sie selbst schon Malerin, Schriftstellerin und Wissenschaftlerin ist.
Phil Meyer zu seinem Film «Typisch Emil – Vom Loslassen und Neuanfangen»
Der Film geht über den nostalgischen Blick auf die beliebten Bühnen-Figuren hinaus und taucht ein in eine Welt, in der Emil gegen die Schatten seiner Kindheit und den Druck des Ruhmes kämpft, um seinen Platz als gefeierter Komiker zu finden. Nicht zuletzt ist «Typisch Emil» die Geschichte einer grossen, romantischen Liebe.
Das Filmteam hat sich durch ungesehenes Archivmaterial gearbeitet und nach nie erzählten Geschichten geforscht. Entstanden ist ein Film über Mut, Liebe und den unermüdlichen Drang, sich immer wieder neu zu erfinden. Ein bewegender Dokumentarfilm über 90 Jahre Emil Steinberger, in dem der unverkennbare Schalk des Künstlers immer wieder aufblitzt.
Anmerkungen am Rande der Leinwand-Begegnungen mit Emil
Für mich ist Emil zuerst einmal Komiker. Wie nur selten ein Mensch strahlt er Komik aus, muss man lachen, wenn er auftaucht, wir ihm begegnen. So eine Art Komik-DNA muss er in sich haben.
Und er ist ein Sprachkünstler. Er spielt mit der Sprache, wie Kinder mit Lego spielen. Er probiert sie aus. Er hat das ganze Alphabet durchdekliniert und durchkonjugiert und zu einem bunten Sprach-Blumenstrauss gebunden, um den noch Schmetterlinge tanzen.
Das ist nie artistischer Selbstzweck. Emil nähert sich vorsichtig und leise den Mitmenschen, die er porträtiert. Seine Sympathie ist in jeder Nuance ablesbar. Jede Szene schliesst er ab mit seinem typischen Emil-Lächeln, das er wie Satzzeichen verwendet.
Warum gelingt das Emil? Weil er selbst Spass hat an dem, was er entdeckt hat und uns vortragen kann. Vielleicht aber auch, weil seine Formulierungen aus den hintersten Windungen seines Hirns kommen und sich auch bei uns am gleichen Ort einnisten und uns erheitern und erfreuen.
Manche seiner unzähligen Sketches und Kürzestgeschichten, von denen viele zu unserem helvetischen Volksgut gehören, kommen wie zufällig daher, wie irgendwo und irgendwann gefundene «Objets trouvés».
Als Star-Gast im Zirkus Knie brillierte er nicht nur mit der Sprache, sondern auch mit der Gestik, der Mimik, seinem Einmanncabaret, das exakt ins Zirkuszelt passt und das Publikum zum Mitspielen einlädt und mitnimmt.
Für die Vorbereitung seiner Auftritte brauche er, verrät er im Film, oft nur wenige Sätze, wenige Blätter, dafür aber viel Improvisation. Und das leistet einer, der als Kind mal scheu und brav war, ein Milchgesicht hatte und in einer braven, erzkonservativen Luzerner Familie aufgewachsen war, ein korrekter Postangestellter wurde, bis er eines Tages unerwartet kündigte und das wurde, was er dann immer blieb: Emil.
Seine Auftritte sind spontan, kommen aus einem wachen Beobachten der Menschen um sich herum. Er nimmt sie präzise, aber dennoch liebend wahr. Und da ihm Menschen ständig und überall begegnen, entsteht aus deren Wahrnehmung ein Laissez-faire, das ständig neue kleine Feuerchen entzündet, die das Publikum von Neuem begeistern.
Erschlagen von all den Meldungen in den Medien über sich, das war unter anderem ein Grund, dass er Abstand brauchte, fliehen musste. Doch etwas Grundsätzliches war schon früh im jungen Pöstler Steinberger angelegt: «Was ich jetzt da mit 22 Jahren mache, werd ich das immer noch mache, wenn ich 55 oder gar 60 bin? Damals hets afa scherbele, nei Emil, das chasch nid mache». Und so ist er ausgestiegen, trotz Schreck bei den Eltern, in eine vorläufige Unsicherheit hinein.
«Was dänked denn die andere Lüt.» Solche unglaublich belastende Sätze hörte er in der frühen Jugend, sie waren Teil eines traurigen Kapitels seines Lebens. Denn er war nie exakt und angepasst, ein Bünzli, ein Normalo, sondern schon immer kreativ, frei und offen. Bald einmal kann er sagen: «Ich cha nid ufhöre, kreativ si. Ich höre das eini uf, um anders chönne zmache.» Und dafür gibt es im Notfall neben dem Emil immer noch den Steinberger. Auch dafür musste er weg, nach New York, wo das gemeinsame Leben mit Niccel begann. Mit 60 wurde er zum Ausbrecher aus seinem «gesellschaftlichem Gefängnis».
Emils Komik hat stets eine strahlende Heiterkeit, eine wunderbare Kindlichkeit. Darum klappt es immer, wenn er mit Kindern «Kindern in uns Erwachsenen» spielt. Ein «Homo ludens» war er auch, als er mit Niccel zusammen ein gemeinsames Zeichnungsspiel entwickelte, die im Duo entstanden Bilder ausstellte und ein Buch darüber publizierte.
Erstaunlich war Emil auch für mich persönlich, wie er sich seriös und engagiert für den jungen Schweizer Film einsetzte: Während Jahren amtete er in meiner Jury für die Solothurner-Filmauswahlschau, die in diverse Kinos, auch in seinem Kino in Luzern, gezeigt wurde.
10 Jahre lang Briefverkehr mit einer Frau, das ging der Hochzeit von Niccel und Emil in Manhattan voraus. «Wir haben beide sehr viel Liebe gesucht», meint sie im Film und erklärt die wunderbare, berührende Liebe der beiden über drei Jahrzehnte hinweg. Eine bedingungslose Liebe habe sie getragen, meint sie rückblickend.
Mit ihrer Unterstützung ist Emil mit 80 nochmals auf der Bühne zurückgekehrt und hat «Emil» in den verschiedensten Variationen wieder gespielt. Mit 90 sinniert er dann auch über das Ende seiner Arbeit und seines Lebens: «Wenn ich gehe, kann ich glücklich gehen, ich habe das Leben ausgefüllt.»
Zum 90. Geburtstag buchte er einen Kurs zum Malen mit Ölfarbe und spielte zuhause, von Niccel an der Orgel anteilnehmend und leise begleitet, auf der Maulorgel, noch etwas scheu und vorsichtig «Lioba» aus «Les ranz des vaches». Und Niccel dazu: «Mir lached über eus selber, wenn me dini Nummere gsehnt.» Und dabei, so scheint mir, tauchen wir ein in ein Meer von Menschenfreundlichkeit und Liebe für alles in der Welt. Das funktioniert bestens, weil Emil seine Figuren liebt, seine Figuren das Publikum und schliesslich das Publikum Emil, heute am Geburtstag und hoffentlich noch viele Jahre, lieber Emil.
Regie: Phil Meyer, Produktion: 2024, Länge: 123 min, Verleih: Filmcoopi
Danke, Hanspeter Stalder, für den wunderbar einfühlsamen Text respektive für mich: fast Laudatio.
Edith Villinger