Wieder einmal wurde mir bewusst, dass es sinnvoll ist, sich gelegentlich den früheren Philosophen, den Denkern, den Forschern und den Schriftstellern zuzuwenden. Sie haben den Sockel eines gewaltigen Wissens geschaffen. Dieser Gedanke bewegte mich, aus meinem Büchergestell ein kleines Buch von gut hundert Seiten heraus zu klauben. Auf dem Umschlag sitzt ein nachdenkender junger Mensch, Frau oder Mann ist nicht auszumachen, und stützt seinen oder ihren Kopf auf Hände und Arme. «Vom schwachen Trost der Philosophie» von David Hume (1711-1776). Hume war ein Vorbetreiter der Aufklärung und inspirierte Immanuel Kant. Das kleine Buch versammelt Essays. Und gleich das erste lautet: «Über Essayschreiben».
Ich war sofort in Bann gezogen. Der Teil der Menschheit, der sich geistigen Beschäftigungen widmen könne, lasse sich in die gelehrte Welt und in die Welt der Konversation einteilen. Zur gelehrten Welt zähle, wer sich den höheren und schwierigeren geistigen Unternehmen verschrieben habe. «In der Welt der Konversation verknüpft sich mit geselligen Anlagen und einem Sinn für das Angenehme eine Neigung, den eigenen Verstand an leichteren und nicht zu tiefsinnigen Fragen zu erproben, . . .» Es stört Hume, dass es eine Abtrennung der gelehrten Welt von der Welt der Konversation gibt. Das sei ein grosses Gebrechen des vergangenen Zeitalters und müsse einen schlechten Einfluss sowohl auf die Bücher als auch auf das gesellige Leben gehabt haben. «Denn wie soll man Gesprächsthemen finden, die zur Unterhaltung vernünftiger Wesen taugen, ohne zuweilen auf Geschichte, Dichtung, Politik und zumindest auf Anfangsgründe der Philosophie zurückgreifen zu können? Müssen denn unsere Gespräche nichts sein als eine unendliche Reihe von Klatschgeschichten und müssigen Bemerkungen? Ist denn nie Höheres möglich, als dass wir unwandelbar bleiben.» Hier schiebt Hume einen damals offenbar gängigen Vers ein:
«Betäubt vom ew’gen Leierbass, dass Hans tut dies und Lies’ sagt das?»
Hume stört sich an der Art, wie sich Gelehrsamkeit aus dem normalen Leben verabschiedet habe. «Aber was hätte man auch anderes erwarten sollen von Leuten, die ihre Räsonnements nicht auf Erfahrung stützen oder die niemals dort Erfahrung suchten, wo sie allein gefunden werden kann: im gewöhnlichen Leben und im Gespräch?»
Hume wünscht, dass sich die gelehrte Welt mehr mit der Welt der Konversation verbinde. Das würde die Geselligkeit auf ein höheres Niveau heben. Sind wir, ist erlaubt zu fragen, nach all den wissenschaftlichen und technischen Erfolgen, dem Internet und all den Plattformen und der Tik-tokerei auf einem höheren geistigen Niveau angelangt? Haben alle die Erfindungen der digitalen Welt die Welt der Konversation veredelt oder sind wir eher abgesunken in die Welt der Banalität? Seit Menschen sogar mit einem KI-Priester über ihre Sünden reden können, ist sichtbar geworden, dass Menschen nicht den Menschen, sondern immer mehr dem in den Apparaten aufgestauten Wissen vertrauen.
Hume lobt das Essay-Schreiben und sieht sich selbst als einer, der die zwei Welten verbindet. Er sagt: «So gesehen, kann ich mich selbst nur als einen Vertreter oder Botschafter betrachten, aus Provinzen der Gelehrsamkeit entsandt in die Domänen der Konversation, dessen ständige Pflicht es ist, eine rege Korrespondenz zwischen diesen beiden Staaten zu entwickeln, die so sehr aufeinander angewiesen sind.» Was gibt es da noch anzufügen?
Mir fehlt die Einsicht, dass viele Menschen bis heute keinen Zugang zu Bildung und Bücher Wissen haben und sich seit der Erfindung des Internets, wenn überhaupt, fast ausschliesslich über die grossen manipulativen Netzwerke informieren.
Die Gelehrten in früheren Zeiten und bis heute, sitzen immer noch in ihrem Elfenbeinturm und die arrogante Blindheit des reichen Westens gegenüber den Sichtweisen im Rest der Welt ist kaum zu überbieten.
Echte und fruchtbare Konversation kann nur in Freiheit und auf Augenhöhe stattfinden. Ein erster Schritt zu einer Völker verbindenden Konversation wäre bei sich selbst zu beginnen, die Mauern und die eigenen Vorurteile abzubauen und das Gespräch mit anderen zu suchen.