Der Krieg Russlands gegen sein Nachbarland Ukraine hat viele Überzeugungen erschüttert: Wie der bekennende Christ und Pazifist Maksym Butkevych dazu kam, sein Land mit der Waffe zu verteidigen, erfahren wir im kürzlich erschienenen Buch: «Am richtigen Platz».
Der Untertitel des kleinen Bändchens aus dem Berliner Anthea Verlag lautet: «Ein ukrainischer Friedensaktivist im Krieg». Den darin liegenden Widerspruch musste Maksym Butkevych überwinden und sich für den Weg entscheiden, der seinem Gewissen und seinen Überzeugungen entsprach: «Am ersten Tag der Grossinvasion habe ich meine Habseligkeiten zusammengepackt und mich beim Militärkommando gemeldet», erzählt er in einem Interview vom 8. April 2022.
Anders als viele andere hatte Butkevych schon 2014 und 2015 erkannt, dass die Invasion der Krim durch Russland nur ein Anfang war, und engagierte sich als ziviler Helfer für Binnengeflüchtete. Auf die Frage der Journalistin, wie er sich seit Putins Angriff innerhalb der ukrainischen Streitkräfte fühle, antwortet er: «Seit ich denken kann, bin ich Antimilitarist, und daran wird sich auch nichts ändern. Militärische Strukturen brauchen einen klar umgrenzten Zuständigkeitsbereich. Zu Zeit fühle ich mich am richtigen Platz. Ich werde nicht mein Leben lang in der Armee bleiben.»
«Ich hoffe, der Krieg macht uns nicht so grausam, dass wir die Menschenrechte aus den Augen verlieren.»
Dieses Buch entstand auf Initiative von Butkevychs Eltern, Freunden, Journalistenkolleginnen und -kollegen und dem Human Rights Center ZMINA, das 2022 den Friedensnobelpreis erhielt, und anderer Vereinigungen. Es erschien zuerst 2023 auf Französisch, als Butkevych nach einem Scheinprozess als «Verurteilter» noch im Gefängnis sass. Frei kam er erst durch einen Gefangenenaustausch im Herbst 2024, als auch die deutsche Fassung erschienen war.
1977 in Kyjiw geboren, wuchs der junge Maksym in einer aufgeschlossenen, gebildeten Familie auf, beide Eltern sind als Wissenschaftler tätig. Als die Sowjetunion auseinanderbrach, war der Teenager Maksym schon erwachsen genug, um bewusst zu beobachten und zu begreifen, was vorging. Wo etwas bewegt werden sollte, wo verkrustete Strukturen aufgebrochen werden sollten, da beteiligte sich Maksym. 1991 war er als Schüler aktiv am Prozess beteiligt, der die Ukraine schliesslich in die Unabhängigkeit führte.
«Ich habe die Wahlfreiheit immer geschätzt.»
Später studierte er in Kyjiw Philosophie, ohne sein gesellschaftliches Engagement aufzugeben. Er bekam auch die Chance, in Sussex / GB Anthropologie zu studieren. Das erweiterte seinen Horizont nicht nur im wissenschaftlichen Sinne. Maksym konnte dort Kontakte knüpfen zu englischen und internationalen Organisationen, die sich für Menschenrechte und für gerechte Staatswesen einsetzten, darunter so bekannte Gruppen wie die französische ATTAC.
Als Butkevych im Juni 2022 in Gefangenschaft geriet und sich abzeichnete, dass er als Menschenrechtsaktivist in russischer Gefangenschaft nicht mit fairen Bedingungen und baldigem Gefangenaustausch rechnen durfte, konnte er doch darauf zählen, dass ihm durch diese langjährige internationale Vernetzung mit Gleichgesinnten viele Unterstützerinnen und Unterstützer zu Hilfe kommen würden.
Maksym Butkevych in Kyjiw (November 2024) © Oleksiy Arunian/Graty / commons.wikimedia.org
In einem Scheinprozess ohne ordentliche Verteidigung und mit einem erzwungenen Geständnis wurde Butkevych zu 13 Jahren Zuchthaus «verurteilt», das bedeutete, dass er, obwohl im Krieg gefangen genommen, nicht hätte ausgetauscht werden können. Dieses unrechtmässige Vorgehen ging wohl selbst dem russischen Gerichtswesen zu weit, in einer Berufung wurde das Urteil kassiert. So wurde endlich Butkevychs Befreiung ermöglicht.
«Wir haben schnell vergessen, dass viele historische ukrainische Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts Geflüchtete waren.»
Nach seinem Studium arbeitete Maksym als Journalist für die BBC und für verschiedene ukrainische Medien. Er gründete mit anderen einen unabhängigen, nicht kommerziell finanzierten Radiosender Hromadske Radio. Dies wurde seine Plattform zur Verteidigung sozialer Grundrechte, Frauenrechte und von Anliegen von Minderheiten und Migrantinnen und Migranten. Sein wichtigstes Projekt trägt den Namen «No Borders» Dieses Engagement liegt ihm wohl am meisten am Herzen, denn als er nach seiner Befreiung gefragt wurde, wofür er sich nun einsetzen würde, nannte er die genannten Aufgaben – selbstverständlich neben den Aufgaben, die ihm im gegenwärtigen Krieg gestellt würden.
«. . . irgendwann hat sich der Antiimperialismus vieler Linker, mit denen ich auch damals gemeinsam protestierte, wohl in Antiamerikanismus und Prorusslandismus verwandelt.»
Seine Freunde, lesen wir im vorliegenden Buch, beschreiben Maksym als einen «zugleich radikalen, offenen und bescheidenen» Aktivisten und charakterisieren seine «antiautoritäre und erfinderische» Vorgehensweise als «leuchtenden Ausnahmefall in der überreglementierten Welt des Aktivismus».
Das Buch entstand wie erwähnt, um den Druck gegen die unrechtmässige Verurteilung Butkevych international zu verstärken. Es enthält unterschiedliche Auszüge aus seinen eigenen Aufzeichnungen, Beiträge von Freunden und Menschen, die mit ihm zusammengearbeitet haben.
Das Vorwort trägt den Titel «Niemand von uns war auf den Krieg vorbereitet» und ist verfasst von Oleksandra Marwijtschuk, der Vorsitzenden des Center for Civil Liberties, das 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Das Buch zeichnet stellvertretend für viele Menschen im jungen Staat Ukraine ein aufschlussreiches Bild eines jungen, erwachsen werdenden Mannes, der sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für eine menschenwürdige Gesellschaft einsetzt und mithelfen will, dass die Ukraine, seine Heimat, in einen modernen gerechten Staat umgebaut wird. – Ein bemerkenswertes Büchlein!
Maksym Butkevych: Am richtigen Platz. Ein ukrainischer Friedensaktivist im Krieg.
Anthea Verlag 2024. 140 Seiten ISBN: 978-3-89998-434-7
Titelbild: Bild von Frauke Riether / pixabay.com
Interview mit Maksym Butkevych nach seiner Befreiung
Zu empfehlen für alle, die mehr über die Geschichte der Ukraine erfahren möchten:
Yaroslav Hritsak: Ukraine. Biografie einer bedrängten Nation.
2024 C.H. Beck Verlag. 480 Seiten ISBN 978-3-406-82162-2