Die Einrichtung eines «Beichtstuhls» mit einem KI-Jesus wurde als Sensation in den Medien verkündet. Dass es eine Sensation sein musste, gehört zu unserem medialen, virtuellen Zeitalter. Eine Sensation macht eine tatsächliche, leise gedachte Performanz zu einer lauten Geschichte. Somit kann sie nicht übersehen werden, selbst wenn man wegschaut. Die Sache beginnt einen zu beschäftigen. Über dieses Evenement wurden auch Artikel und Leserbriefe veröffentlicht. Ein Pfarrhelfer musste korrigieren, der KI-Jesus nehme nicht die Beichte ab.
«KI wird uns die Religiosität ersetzen», stand über einem Leserbrief am 30. Dezember in der LZ. Der Autor Urs Willi aus Luzern bemerkt dazu. «Dass im Zusammenhang mit KI von ‘Spiritualität’ geredet wird, ist der Beleg dafür, dass die Kinder des Materialismus ihr Menschenbild gegen eine Formel ausgetauscht haben.» Willi glaubt, KI werde die Religion ersetzen. Ich glaube eher, sie wird ihren inneren Wert aushöhlen und ihr den Anschein eines Als-Ob des Spiels geben.
Schon immer gab es vehemente Auseinandersetzungen über die christliche Religion und heute hat sie sich durch die Kirchenaustritte verschärft. Wer im Glauben aufgewachsen ist, wirft ihn nicht einfach weg, vielmehr führt der Zweifel zu einer intensiven, schmerzhaften Auseinandersetzung mit den Glaubensinhalten. Dass nun mit KI Jesus befragt wird, wer er in Wahrheit sei und welche Antworten er auf Fragen des Lebens gebe, überrascht nicht. Philosophen glauben, Jesus zähle zu grossen Menschen etwa wie Ghandi und Buddha. Dass er Jesus Gottessohn sei, war lange nicht klar? Diese Frage quälte die frühen Christen.
War er nun ein grosser Prediger oder ein Christus? Die Arianer bestritten, dass er eine Person in der Dreieinigkeit, in der Trinität Gottes, sei. Die Staatskirche drängte auf Klarheit. Der christliche Kaiser Konstantin verlangte vom Konzil in Nicäa (325 n. Chr.), dass endgültig entschieden werde, ob eine Wesenseinheit von Jesu Christus mit dem Vater bestehe. Das Konzil bejahte die Frage. Seither war Christus Gottessohn.
Beantwortet nun der KI-Jesus die Frage, wer er sei, kommt er nicht darum herum, auch Zweifel über sich selber einzugestehen. Vielleicht hatten ja die Arianer mit ihrer abweichenden Meinung über Christus doch recht. KI stützt ihre Antworten auf die Christologie, die Papst Benedikt XVI. als Theologe noch in den letzten Jahren zusammengefasst und ausgelegt hat. Was die Suchmaschinen aus der Christologie zusammengetragen haben, wird am Ende dem KI-Jesus für seine Antworten dienen. Ob sie die Glaubenswahrheit richtig beschreibt, hängt vom Text ab. Stützt sich die «genialische» Intelligenz auf den Luther-Jesus oder auf den Ratzinger-Christus. Am Ende muss die jeweilige Theologie entscheiden.
Urs Willi meint, der KI-Jesus werde die religiöse Welt verändern. Jede grosse Erfindung hat die Welt verändert, sogar die Erfindung des Rades. Man kann KI wie das vielseitig einsetzbare Rad als Hilfsmittel betrachten. So gewinnt sie ihren brauchbaren Wert und ist allen Lexika hundertfach überlegen. Der Vergleich mit dem Rad hinkt nicht. Dass KI-Resultate überprüft werden müssen, ist wie der Gebrauch von Rädern, vor allem derjenigen der Autos. Denkt man die Sache weiter, wird man Urs Willi recht geben. Der KI-Jesus wird profaniert und der Glaube verliert damit seine metaphysische Anziehungskraft. Er wird die Religion verändern.
Jeannine, eine Freundin, erkundigte sich nach dem Unterschied zwischen den Protestanten und den Katholiken. Ich erklärte es ihr mit der Telephonie: Die Protestanten rufen den Herrgott direkt an, die Katholen über die Zentrale. Aber wer weiss schon, was die Vermittlung dem Herrgott erzählt. Sie geht nie mehr zur Beichte.
Erich Kästner hat 1930 ein Gedicht zum Geburtstag des Revolutionärs Jesus geschrieben. Es ist aktueller denn je. Trotzdem kann der Werdegang Jesus und der starke Glaube an das Gute im Menschen, besonders für Heranwachsende, als Vorbild dienen und wenns über eine KI geschieht, warum nicht?
https://www.deutschelyrik.de/dem-revolutionaer-jesus-zum-geburtstag.html