Fliegen wird schöner für jene, die sich mehr von allem leisten können. Warum aber nicht vom Fliegen träumen? Beispielsweise mit dem Fotobuch «Der Traum vom Fliegen», das sich der Wiener Flughafen zum 70. Geburtstag geschenkt hat.
Schon reisen wie vor dem Corona-Lockdown wieder Massen mit dem Flugzeug, aber schöner wird es bei engen Sitzverhältnissen und immer weniger Service wohl kaum, neuerdings nicht mal billiger. Auch der Dichtestress am Security-Check und das Warten vor dem Gate ist oft eher eine Geduldsprobe. Mehr oder weniger ist das bei allen Airlines und in allen grossen Flughäfen der Fall, Fliegen ist vielleicht nicht mehr so schön wie einst.
Das Schöne am Fliegen, die Ästhetik einer Flugmaschine oder eines Airports kann auch bequem konsumiert werden, als Coffee Table Book mit wunderbaren Fotografien von vor und hinter den Kulissen von VIE, wie das internationale Kürzel des Wiener Flughafens Schwechadt lautet. Das grossformatige Bilderbuch ist hochwertig ausgestattet, dennoch ein erschwinglicher Luxus. So ist der Schutzumschlag um den Leinenband ein Poster, der das Gelände des Flughafens in einer Luftaufnahme zeigt. Das Vorsatzblatt zeigt einen spektakulären und zugleich kaum bekannten Brauch: Wenn ein neues Flugzeugmodell erstmals landet oder eine Fluglinie neu eröffnet wird, feiert die Feuerwehr das Neue mit einem Wasserbogen.
Ein Prolog zeigt Fotos von Menschen bei ihrer Arbeit oder auch Reisende in Ferienvorfreude oder mit Abschiedsschmerz. Eine Ikone der Fotografie eröffnet den Blick in die Geschichte der Menschheit und ihren Traum vom Fliegen: Ein Starenschwarm, formiert als filigraner Riesenvogel, bewegt sich im Abendhimmel. Der Essay von Thomas Brezina, dem vielfach ausgezeichneten Kinderbuch- und Romanautor, beginnt in grauer Vorzeit, als erst Vögel und Götter fliegen konnten. Bekannt ist der Mythos von Ikaros, der seinem Flug mit den Flügeln aus Vogelfedern und Wachs der Sonne zu nah kam und ins Meer stürzte.
„Wenn du das Fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet. Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen,“ soll Leonardo da Vinci gesagt haben. Der geniale Künstler und Ingenieur der Renaissance brachte erste Konstruktionsentwürfe von Fluggeräten aufs Papier, die Umsetzung scheiterte jedoch. Erst im beginnenden Industriezeitalter gelang es, Menschen auch auf Grundlage der Ideen von Leonardo in die Lüfte zu bringen: mit Ballonen, mit motorgesteuerten Luftschiffen, mit der Erfindung von funktionsfähigen Tragflächen, die einen Gleitflug ermöglichten.
Doppelseite aus dem historischen Teil: Orville Wright steuert ein Gleitflugzeug. USA 1911
Im 1. Weltkrieg wurden Flugzeuge für die Aufklärung, aber auch für den zerstörerischen Luftkrieg genutzt. Danach kam der Passagiertransport auf, der heute ein Massenphänomen ist. Im Jubiläumsband sind die Zahlen für den Wiener Airport VIE nachzulesen. Wir erlauben uns, die neuesten Zahlen vom Zürcher Flughafen ZRH zu erwähnen: 2024 waren es 31,2 Millionen Passagiere, 261’103 Flugbewegungen, Tendenz steigend.
Fliegen hat seine Unschuld längst verloren, nicht nur wegen der kriegerischen Einsätze, sondern auch wegen der schieren Masse in einer Zeit der Gefahren durch die Klimaerwärmung. Dennoch will das Geburtstagsbuch daran erinnern, dass jedes Flugerlebnis besondere Erinnerungen erzeugt und den Horizont erweitert.
Im zweiten, umfangreichsten Teil des Fotobands zeigen acht Fotografen und Fotografinnen, unterstützt von Experten was in 24 Stunden alles geschieht: Von den ersten Menschen, die frühmorgens zur Arbeit kommen bis zu den letzten, die mit dem Bordköfferchen Richtung Hotel eilen. Es sind Fotos von der Flugsicherung, der Überwachung aller Passagierströme, Bilder von unterirdischen Gängen oder auch von Drogenhunden bei der Arbeit. Aber ebenso wird dokumentiert, wer alles in den Publikumsräumen an diesem 30. Juli 2024 unterwegs war. Einerseits ergibt sich eine umfassende Fotodokumentation, andererseits sind einige absolut ikonische Kunstfotografien vom Leben auf einem Flughafen entstanden.
Teil drei setzt sich mit der Zukunft auseinander, der Zunahme von Starts und Landungen weltweit samt Fluglärm, CO2-Ausstoss und anderen unerwünschten Fakten. Zugleich aber wird die Überzeugung geäussert, dass nicht der Verzicht, sondern der technologische Fortschritt die Umweltverträglichkeit bringe.
Die Chronologie des Wiener Flughafens von 1954 bis heute hat der Fotograf, Gestalter und Verleger Lois Lammerhuber nicht ins Buch gepackt, sondern als Broschüre beigelegt. Es beginnt mit Schwarz-Weiss-Fotos der ersten Stunde und endet mit Klassenfotos des Managements und des Aufsichtsrats der Flughafen Wien AG.
27×27 cm gross ist der Fotoband, viele Bilder sind doppelseitig.
Die „Royal Airforce Base“, die 1954 an Österreich übergeben wurde, war der Anfang des Flughafens Wien. Heute fliegen von hier aus rund 80 Fluggesellschaften mehr als 200 Ziele in 70 Ländern weltweit an. Und wer aus welchen Gründen auch immer nicht mehr fliegen mag, kann in dem aufwendig gestalteten Fotobuch die eine oder andere Erinnerung an besondere Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Fliegen wachrufen, oder auch: Nochmals eine Flugreise planen.
Titelbild: Crewmitglieder auf dem Heimweg. Foto: © Ulla Lohmann
Copyright-Hinweis: Alle Bilder sind aus dem Buch «Der Traum vom Fliegen» und urheberrechtlich geschützt. Die Herausgeber: Thomas Brezina (Text), Lois Lammerhuber (Fotograf und Verleger). Fotografinnen und Fotografen: Ana María Arévalo Gosen, Hans-Jürgen Burkard, Heinz Stephan Tesarek, Jérôme Gence, Martina Draper, Nadia Ferroukhi, Ulla Lohmann
Buchhinweis: Der Traum vom Fliegen. Herausgegeben vom Flughafen Wien. 192 Seiten, Hardcover, Leineneinband. Edition Lammerhuber, Wien 2024. ISBN 978-3-903462-13-7