Die Fondation Beyeler zeigt in der Ausstellung «Nordlichter» Landschaftsmalerei aus Skandinavien, Finnland und Kanada zwischen 1880 und 1930.
Die größten noch verbliebenen Urwälder der Erde sind die Wälder des hohen Nordens. Diese borealen Wälder, auch als Taiga bezeichnet, machen mehr als ein Drittel der weltweiten Waldfläche aus. Es erstaunt, wie wenig deren Bedeutung uns bekannt ist.
Nun geraten diese riesigen Nadelholzwälder in unser Bewusstsein: Nicht real, aber als Motiv und Inspirationsquelle von Künstlerinnen und Künstlern Skandinaviens, Finnlands und Kanadas der klassischen Moderne. Rund 70 Landschaften bringt die Fondation Beyeler nach Riehen, im Mittelpunkt mehrere Werke von Edvard Munch. Eine umfangreiche Munch-Ausstellung hat sie 2007 gezeigt.
Jakob Kudsk Steensen: Boreal Dreams 2024/25. Live Simulation. Foto: R.+ E. Bühler
Vielleicht wird der hohe Norden zum neuen Sehnsuchtsort der Menschen im gemässigten Klima, weil es bei uns und südlicher immer heisser wird. Aber die Klimaerwärmung und menschliches Eingreifen setzt auch dem Urwald des Nordens zu. Das untersucht der dänische Künstler Jakob Kudsk Steensen in seiner Live Simlation Boreal Dreams, die er im Auftrag der Fondation Beyeler in Zusammenarbeit mit einer Forschungsinstitution erarbeitet hat.
Helmi Biese: Blick von Pyynikki-Grat, 1900. Foto: Finnische Nationalgalerie / Aleks Talve
Von der Gefährdung des borealen Walds wissen die Bilder der 13 Künstlerinnen und Künstler der frühen Moderne noch nicht so viel zu erzählen, aber massive Abholzung war schon damals Realität. Die skandinavischen, finnischen und kanadischen Künstlerinnen und Künstler hätten, sagt der Direktor des Buffalo AKG Art Museums Janne Sirén in Riehen, draussen gearbeitet, also Plein Air-Malerei, immer der Natur ausgesetzt. Im Winter eisiger Kälte, im Sommer den Moskitos. Das ergibt Malen nahe bei den Elementen, bei Wasser, Eis, Schnee und immer wieder dem nordischen Urwald aus Nadelbäumen. Anders als im Süden gebe es in der nordischen Tradition keine Ruinen aus der Antike, so werde die Natur zum Tempel.
Harald Sohlberg: Winternacht in den Bergen, 1901. Courtesy Galleri K Oslo. Foto: Foto: R.+ E. Bühler
Das Buffalo AKG Art Museum in New York war erster Ansprechpartner von : Kurator Ulf Küster, als die Idee der Nordlichter-Ausstellung da war, denn dort gab es 1913 die erste Ausstellung zeitgenössischer skandinavischer Kunst. Inspiriert davon gründeten kanadische Künstler um Harris und Thompson die Gruppe der Sieben. Und nun ist dieses Museum Partner: Mit Ulf Küster zusammen hat Helga Christoffersen vom Buffalo AKG Art Museum die Ausstellung kuratiert, Nordlichter – Northern Lights wird am 1. August 2025 in New York eröffnet.
Iwan Schischkin: Windbruch, 1888. Foto: Finnische Nationalgalerie/Hannu Pakarinen
Die Ausstellung ist nicht chronologisch angeordnet, so finden sich im ersten Raum das Meisterwerk des auf Waldlandschaften Kareliens spezialisierten russischen Malers Iwan Schischkin (1832-1898), eine Grisaille mit Totholz und jungen Pflanzen als Sinnbild vom Kreislauf des Lebens. Und eins der seltenen Bilder mit menschlichen Figuren in dieser Ausstellung ist Kinder im Wald von Edvard Munch (1863-1944): Vor einer Kulisse aus riesigen Bäumen steht eine winzige Gruppe von Kindern, bedrohlich oder nur voller Geheimnisse und Märchen?
Ausstellungsansicht mit dem Bild Sternennacht von Edvard Munch. Foto: Foto: R.+ E. Bühler
Die Munch-Auswahl legt das Gewicht auf eher düstere, nächtliche Bilder, seiner Suche nach Seelenlandschaften. Die Ausnahme ist der Zugrauch, 1900, wo sich eine weisse Wolkenspur durch die helle Landschaft zieht, die Bahn, Zeichen des Fortschritts, fast nicht erkennbar. Die Sternennacht, 1922-1924, spielt sich vor einer Reihe von Fensterfronten mit Kunstlicht ab, zwei dunkle Figurenpaare beleben die Szene. Die Zivilisation ist – anders als bei den meisten anderen Künstlern – nicht ausgeklammert.
Emily Carr: Wiederaufforstung, 1936. McMichael Canadian Art Collection. Foto: R.+ E. Bühler
Den Wald als Lebensraum hat Emily Carr (1871-1945), eine frühe Aktivistin gegen die massive Abholzung der Wälder in British Columbia, zum Hauptthema ihrer Malerei gemacht: Nadelwälder und gerodete Waldstücke sind in Farbflächen aufgelöst, die Fichten sind aufs Wesentliche abstrahiert, aber trotz der lichten Farben sind das keine Idyllen sondern Malerei mit einer klaren Aussage. Carr hat sich gegen die Zerstörung des Lebensraums der Indigenen eingesetzt, deren Kampf auch heute weitergeht.
Lawren S. Harris: Lake Superior um 1923. © Family of Lawren S. Harris. Foto AGO
Emily Carr stiess zur erwähnten kanadischen Gruppe der Sieben um Lawren S. Harris (1885-1970) oder J.E.H. MacDonald (1873-1932) und Tom Thomson (1877-1917). Somit gibt es bei den Nordlichtern einige Namen zu entdecken, die zwar in ihren Herkunftsländern renommiert, aber hierzulande kaum bekannt sind. Selbst für den Kunsthistoriker Ulf Küster, der die Ausstellung auch im Gedenken an seinen im Vorjahr verstorbenen Bruder, den Pflanzenbiologen und Waldforscher Hansjörg Küster, sieht, gab es Neues zu entdecken.
Prinz Eugen: Orlången-See, Balingsta, 1891. Prins Eugens Waldemarsudde, Stockholm. Foto: Lars Engelhardt
Die zeitgenössische Landschaftsmalerei der Berühmten wie Vincent van Gogh, Claude Monet oder Paul Cézanne war den Malerinnenund Malern aus dem Norden durchaus bekannt, aber sie fanden ihre je eigenständige Interpretation der unberührten Natur des borealen Walds und der nordischen Seenlandschaften.
Edvard Munch: Zugrauch, 1900. Munchmuseet Oslo. Foto: Munchmuseet/Halvor Bjørngård
Neben Edvard Munch sind die Schwedin Hilma af Klint (1862-1944), von der ein Sonnenuntergang ihre Hinwendung zur Abstraktion belegt, und der Finne Akseli Gallen-Kallela (1865-1931), der seine Inspiration bei dem Nationalepos Kalevala fand, weltweit bekannte Grössen. Letzterer war befreundet mit Jean Sibelius, das Grossformat Der Mäntykoski–Wasserfall (1892-1894) mit den über die Kaskaden gezogenen fünf goldenen Linien – Saiten eines Instruments – in einem Rahmen aus rhythmisch angeordneten stilisierten Blättern evoziert Klänge.
Gustav Fjæstad: Mondschein im Winter, 1895. Nationalmuseum Stockholm. Foto: Hans Thorwid/Nationalmuseum
Mich fasziniert die Vielfalt, wie Schneefall und verschneite Bäume, schneebedeckte Felsen und Berge malerisch interpretiert werden, vielleicht weil der Schnee auch in diesem Jahr so selten fällt und bleibt: Beispielsweise Gustav Fjæstads Mondschein im Winter (1895), Harald Sohlbergs Winternacht in den Bergen (1901), Edvard Munchs Nächtliche Schneelandschaft (1925/26) oder auch Verschneit (1915) von J.E.H. Macdonald. Nur das Phänomen Nordlicht mit Ölfarbe auf die Leinwand zu bringen, scheint etwas vom Schwierigeren. Anna Boberg, die einzige Malerin bei der Wanderausstellung zeitgenössischer skandinavischer Kunst 1912/1913 hat es in vielen Studien realisiert.
Anna Boberg: Nordlichter. Studie aus Nordnorwegen, undatiert. Nationalmuseum Stockholm. Foto: R.+ E. Bühler
Die Nordlichter-Schau reiht sich in die grossen, meist südlich oder in den Alpen angesiedelten Landschafts-Ausstellungen der Fondation Beyeler ein, ist ein Fest für die Augen, ohne dass der Gedanke an die Gefährdung dieser Landschaften durch Klimawandel und gröbere Eingriffe des Menschen aussen vor bleibt.
Bis 25. Mai 2025
Titelbild: Akseli Gallen-Kallela: Frühlingsnacht, 1914. Lillehammer Art Museum. Foto: Camilla Damgård
Hier geht es direkt zur Live-Simulation Boreal Dreams von Jakob Kudsk Steensen, die während der Ausstellung Nordlichter im Park der Fondation Beyeler auf einem Screen gezeigt wird.
Hier gibt es Informationen für Ihren Besuch
Begleitpublikation: Nordlichter. hg. von Ulf Küster für die Fondation Beyeler. 2025. Beyeler Museum AG Riehen/Basel. Hatje Cantz Verlag, Berlin. ISBN 978-3-7757-5914-4 (deutsch), 978-3-7757-5915-1 (englisch)