Le Corbusier, einem der wichtigsten Protagonisten der Architektur des 20. Jahrhunderts, Maler, Schriftsteller und visionärem Vermittler seiner Ideen, im Jura aufgewachsen – ihm widmet das Zentrum Paul Klee in Bern eine umfassende Ausstellung.
Zum ersten Mal hörte ich in den 1960er Jahren als Schülerin in Freiburg im Breisgau von Le Corbusier. In der südbadischen Stadt diskutierte man leidenschaftlich über einen modernen Kirchenbau im ca. 120 km entfernten Ort in den französischen Südvogesen: Ronchamp. Dabei war die Kapelle Notre-Dame-du-Haut schon längst fertiggestellt. Le Corbusier hatte von 1950 bis 1955 daran gearbeitet. – Sakrale Bauten beschäftigten ihn in jener Phase seiner Tätigkeit als Architekt.
Le Corbusier (Charles-Edouard Jeanneret), Notre-Dame-du-Haut, Ronchamp, Holzmodell. Ausstellungsansicht René & Elisabeth Bühler
Geboren wurde Charles-Edouard Jeanneret (1887 – 1965) in La-Chaux-de-Fonds in eine Familie, die, künstlerisch und musisch veranlagt, in der Uhrenherstellung ihren Lebensunterhalt verdiente. Auch der junge Charles-Edouard hätte wie sein Vater im Bereich der Gestaltung von Uhren arbeiten sollen. Sein Lehrer an der Kunstgewerbeschule in La-Chaux-de-Fonds war der als Maler des Jura sehr geschätzte Charles L’Eplattenier. Dieser weckte die künstlerische Begabung und das Interesse des jungen Mannes für damals aktuelle Kunstrichtungen. – Den Künstlernamen Le Corbusier nahm er erst später an, indem er den Namen seiner Grossmutter ein wenig anpasste und mit dem französischen Begriff für Rabe corbeau verknüpfte.
«Die Ordnung der Dinge» lautet der Untertitel der gegenwärtigen Ausstellung, in diesem Rahmen die erste seit ca. 40 Jahren. Kurator Martin Waldmeier erklärt, dass Ordnung für Le Corbusier ein zentraler Begriff seines Denkens gewesen sei: «Malerei versteht Le Corbusier als eine ‘Anordnung der Dinge’. Ordnung sieht er als Grundlage der Strukturen seit Jahrtausenden. Ordnung betrachtet er als Voraussetzung für die freie Entfaltung der Kreativität. Ordnung bietet dafür die notwendige Ruhe und Schutz.»
Kurz gesagt: Le Corbusier nimmt sich die Freiheit, Kunst und Architektur in einer neuen Ordnung zu denken.
Ausstellungsansicht René & Elisabeth Bühler
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht Le Corbusiers künstlerisches, experimentelles, idealistisches Verständnis von Kunst, für ihn ein unerschöpfliches ästhetisches Labor von Formen und Farben. Dabei bricht er mit Traditionen, sucht Inspiration in der Antike und in nicht-westlichen Kulturen. Nach dem 1. Weltkrieg ist Le Corbusier Teil der Avantgarde, macht sich mit ihnen auf die Suche nach einem neuen Lebensgefühl und entwirft Ideen zur Synthese aller Künste, womit die Grenzen der Künste überschritten bzw. zerstört werden.
Schon früh darf der junge Mann auf Vermittlung von L’Eplattenier in seiner Heimatstadt ein erstes Gebäude entwerfen: die Villa Fallet. Als 20jähriger erhält er die Chance, verschiedene Studienreisen zu unternehmen, in den Mittelmeerraum einschliesslich Balkan, für ihn wichtige kulturhistorische Eindrücke und Erfahrungen. – Die Inspiration des Reisens schätzte er wohl, solange es ihm gesundheitlich möglich war. – Später arbeitet er in Paris für Auguste Perret, einen Pionier des damals absolut modernen Baus mit Stahlbeton.
Ein Blick auf Zeichnungen, die zum Teil während Vorträgen entstanden sind (Ausstellungsansicht René & Elisabeth Bühler)
Anschliessend in Deutschland ist er für einen Industriearchitekten tätig und entdeckt die Bewegung des deutschen Kunstgewerbes. Darüber schreibt er sein erstes Buch. – Denn seine Ideen in schriftlicher Form zu verbreiten, reizt Le Corbusier auch. Er vollendet in seinem Leben achtzig Bauwerke und vierzig Bücher!
Le Corbusier (Charles-Edouard Jeanneret), 1930er Jahre, Fotograf unbekannt © 2025 FLC/ProLitteris Zurich
Vielseitigkeit und ein scharfes Auge für Neues, zuweilen gar Revolutionäres prägt ihn. Le Corbusier ist kein Denker im stillen Kämmerlein: Er liebt es, seine Ideen in Vorträgen publik zu machen. Und da hinein legte er wohl seinen ganzen Enthusiasmus, denn er hatte immensen Erfolg, die Tafelbilder, die Skizzen und graphischen Erklärungen, die er dabei anfertigte, wurden ihm vom begeisterten Publikum aus der Hand gerissen, erzählt Martin Waldmeier.
Diese Materialien, die Le Corbusiers work in progress zeigen, seine Pläne, Zeichnungen als Mittel zu Entwürfen, auch seine Postkarten- und Kuriositätensammlung, das alles zeigt die Ausstellung in der Mitte des luftigen Saales in Renzo Pianos Museumsbau. Rechts, vom Eingang aus gesehen, werden seine architektonischen Arbeiten gezeigt; links seine Gemälde, von denen viele wenig bekannt sind. Dort erkennen wir, dass Le Corbusier sich vom Kubismus inspirieren liess; mit Fernand Léger war er befreundet.
Ausstellungsansicht René & Elisabeth Bühler
Nach dem 1. Weltkrieg verlegt Le Corbusier seinen Lebensmittelpunkt nach Paris. Er wird für den Rest seines Lebens seinen Wohnsitz in Frankreich haben und sogar die französische Staatsbürgerschaft annehmen. 1923 veröffentlicht er sein Manifest Vers une architecture, das programmatisch seine Ideen und Theorien zum Ausdruck bringt. Oft gibt es Architekturprojekte, in denen er diese umsetzen kann. Aber er muss auch Widerstand und Unverständnis hinnehmen, als er 1925 einen Plan vorlegt: Plan Voisin, der den Abriss kleinräumiger Pariser Stadtviertel vorsieht, um Platz für breite Strassen, Bäume und Hochhäuser zu schaffen. – Quasi ein Baron Haussmann des 20. Jahrhunderts. Damit kann er die Pariser nicht überzeugen.
Le Corbusier war Idealist, das ist unbestritten. Dass er sich zuweilen in seinen Ideen zu einer modernen Gesellschaft wohl verfangen hatte und zerstörerische Tendenzen nicht erkannte, zeigt seine Haltung zu Faschismus und Nationalsozialismus. Auch das ist in der Ausstellung dokumentiert.
Le Corbusier (Charles-Edouard Jeanneret), Unité d’Habitation Marseille, o.D., Holzmodell 111x101x48cm. Fondation Le Corbusier, Paris. © 2025 FLC/ProLitteris Zurich
Seine grössten Erfolge verzeichnet er nach dem Ende des 2. Weltkriegs: In der Unité d’Habitation in Marseille kann er seine Vorstellungen einer modernen Wohnsiedlung realisieren – und das wirkt wegweisend. Internationalen Ruhm erwirbt sich Le Corbusier durch die Planung von Chandigarh, der neuen Hauptstadt des indischen Bundesstaates Punjab. In der Ausstellung sehen wir dazu Fotografien des renommierten Fotografen Richard Pare.
Seit 2016 gehören siebzehn von Le Corbusier geschaffene Bauwerke in sieben Ländern zum UNESCO-Welterbe.
Le Corbusier. Die Ordnung der Dinge.
Ausstellung im Zentrum Paul Klee, Bern, bis 22. Juni 2025
Titelbild: Le Corbusier (Charles-Edouard Jeanneret), Studie für Tapisserie des Gerichtsgebäudes von Chandigarh, 1961 Gouache auf Heliografie, 49x122cm. Fondation Le Corbusier, Paris. © 2025 FLC/ProLitteris Zurich