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Die Sonne und der Philosoph

Das Collegium generale der Universität Bern, für alle Interessierten zugänglich, veranstaltet aktuell eine Reihe von Vorlesungen zum Thema «Licht und Dunkel». Aus verschiedenen Perspektiven wird aufgezeigt, wie tief beide Phänomene in Wissenschaft und Leben verwurzelt sind.

«Wie Philosophie sich in die Sonne verliebte. Licht und Dunkel als Denkfiguren der Theorie» – diesen romantischen Titel setzte Benno Wirz über seinen Vortrag, den ersten dieser Reihe. Der in Zürich als Kulturwissenschaftler tätige Referent begann spektakulär mit einem kurzen Ausschnitt aus dem Beginn von Stanley Kubricks 2001 Space Odyssey. Seit dieser Film existiert, symbolisiert er vieles, einen Neuanfang etwa oder den Beginn der Macht der Technik. Die unterlegte Musik (nach Richard Strauss, Also sprach Zarathustra) unterstreicht die filmische Umsetzung des Sonnenaufgangs im Weltall so wirkungsvoll, dass sie längst – wie der Film selbst – zur Ikone geworden ist.

Zur Entstehung des Lichts aus der Dunkelheit zieht Wirz eine weitere Berühmtheit zu Rate, Platon (*428/427 v. Chr. in Athen oder Aigina; †348/347 v. Chr. in Athen), den Urvater der europäischen Philosophie, und seine drei Gleichnisse über das Licht aus seinem Dialog politeia. Am bekanntesten ist das dritte Gleichnis, das Höhlengleichnis. Wir erinnern uns: Die Menschen befinden sich in einer unterirdischen Höhle, umgeben von den vergänglichen Dingen, die mit den fünf Sinnen wahrnehmbar sind. Die wahren Dinge, die unwandelbaren Ideen, sind nur im Licht zu erkennen, für diejenigen, die die Höhle verlassen und in die Welt des reinen Geistes treten.

Von der Dunkelheit ins Licht

Diese Sehnsucht aller denkenden Menschen, die Wahrheit, das Licht der Wahrheit zu erkennen, vergleicht Benno Wirz mit einer unendlichen Liebesgeschichte, die Sonne als Liebesobjekt der Philosophie. Die Liebe zum Licht wird zum «springenden Funken» der Philosophie, eine Initialzündung für eine lange und fruchtbare Liebesgeschichte, die bis in die Aufklärung führt und in Mozarts Zauberflöte zu finden ist. – Auf Französisch heisst die Epoche der Aufklärung bekanntlich siècle des lumières. – Auch in der Botanik kennt man diesen Drang zum Licht: Es gibt die Pflanzengattung der Heliotropen, die sich der Sonne zuwenden, die Sonnenblume (Helianthus) sei hier genannt.

Ein Sonnenaufgang. (Foto: Ramon Perucho / pixabay.com)

Denkfiguren

Benno Wirz benutzt für seine Argumentation den Begriff Denkfigur, in Abgrenzung zu Metapher und Symbol. Denkfiguren dienen ihm dazu, das Konzept einer philosophischen Erörterung zu untermauern und anschaulich zu machen. Das Licht bzw. die Sonne als Ziel philosophischen Denkens zeigt uns, wohin der Weg geht. Licht entsteht nämlich nicht aus sich selbst, es braucht eine Quelle, also die Sonne. In Analogie dazu definiert Platon: Die Idee, das reine Denken, entspricht dem Licht, dem Prozess des Erkennens. «Vom Sonnenlicht durchwirktes Denken» bedeutet «sehendes Denken» bzw. «denkendes Sehen».

Platon scheint fast blind auf das Sonnenlicht zu vertrauen. Eine Wolke vor der Sonne, wie sie überall vorkommt, auch im sonnenreichen Griechenland, symbolisiert die Kehrseite, die Dunkelheit. Wir kennen dafür die Redewendung «Wir tappen im Dunkel».

Licht und Dunkelheit

Die Liebesgeschichte ist auch eine Gewaltgeschichte, erklärt Benno Wirz, ein Machtgefälle zwischen Licht und Dunkel, dem Mangel an Sonnenlicht. Ebenso bestehen verschiedenste Graduierungen von Hell und Dunkel. Die Sonne gilt dafür als Massstab, – das Dunkle ist das Abnormale, obwohl wir es nicht ignorieren dürfen. Trotzdem gilt: Dunkelheit muss überwunden werden, «Es werde Licht» heisst es in der Bibel (Gen. 1:3). Zuvor herrschte das Tohuwabohu – das Wort kennen wir heute so gut wie vor Jahrtausenden.

Der Vollmond erhellt uns die Nacht nur, weil ihn das Sonnenlicht zum Leuchten bringt. (Foto mp)

Auch im Denken kann Gewalt herrschen: Das Denken der Negativität wird nämlich zuweilen mit Gewalt unterdrückt. – Als Gegenpol zu Platons Denken ist die Metaphysik zu nennen. Hesiod (griech. Philosoph um 700 v. Chr.) spricht von der Ur-Dunkelheit, dem Chaos. Daraus werden Gaia und Eros geboren, die Kinder der Nacht. Sie bringen Heil und Verderben zugleich. Es entsteht ein rhythmisches Wechselspiel Hell – Dunkel / Tag – Nacht. Nie wird das Dunkel endgültig überwunden werden.

Im Reichtum von Licht und Dunkel entstehen im Laufe der Geschichte neue Denkfiguren, hören wir vom Referenten. Er erläutert es an weiteren Beispielen. Das Ende seines Vortrages ist ebenso eindrucksvoll wie der Anfang: Es ist der Vorspann zu 2001 – Odyssee im Weltraum: Wir sehen auf der Leinwand NICHTS und hören eine minimalistische Komposition von György Ligeti. – Die Zuhörerinnen und Zuhörer lauschten voller Faszination bis zum Schluss.

Das weitere Programm der Ringvorlesungen

Auf naturwissenschaftlicher Ebene ist Licht eine essenzielle Energiequelle, die das Leben auf der Erde ermöglicht und die Grundlage für zahlreiche Technologien und medizinische Anwendungen bildet. Diese Entwicklungen – die künstliche Beleuchtung oder die optogenetische Forschung – verdeutlichen, wie Licht auch als Instrument des Fortschritts dient. Auf sozial- und kulturwissenschaftlicher Ebene hat Licht eine enge Verbindung zu religiösen Praktiken, z. B. als Symbol göttlicher Erleuchtung oder als Aufklärung schlechthin.

Dunkelheit wird oftmals als Abwesenheit von Licht verstanden, doch sie spielt eine zentrale Rolle für natürliche Rhythmen, für Wohlbefinden und Gesundheit. Dunkelheit ist häufig negativ konnotiert, oft assoziiert mit Gefahr, Depression oder Unklarheit. Doch Dunkelheit besitzt auch eine transformative Kraft – sei es in ihrer Bedeutung für die menschliche Psyche oder in der symbolischen Rolle, die sie in Kunst und Architektur einnimmt. Dunkelheit ist das notwendige Gegenstück zum Licht und schafft Raum für Reflexion, Intimität und das Unbewusste.

Die Vorlesungen werden nach Möglichkeit als Videopodcasts aufgezeichnet und laufend auf der Website veröffentlicht. Sie finden jeweils mittwochs 18:15 bis 19:45 Uhr im Hauptgebäude der Universität statt (vom HB Bern aus mit dem Lift erreichbar).

Collegium generale Uni Bern Ringvorlesung Frühjahrssemester 2025

Webseite Benno Wirz

Titelbild: Sonnenlicht (Foto: Marion Wellmann / pixabay.com)

 

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3 Kommentare

  1. Sehr guter Text.
    Doch leider leben wir in einer Zeit, die man wohl «die Verdunkelung der Vernunft» nennen darf.
    Also – alles wie schon gehabt.

    • Danke, Herr Alvo, für Ihren Kommentar!
      Da sprechen Sie den Widerspruch an, dem wir stets ausgesetzt sind. «Die Verdunkelung der Vernunft» ist ein Problem seit eh und je!
      Denken Sie daran, dass Sokrates, auf den sich Platon stets bezieht, den Schierlingsbecher nehmen musste, weil seine bohrenden Fragen den Herrschenden nicht gefielen.
      Und die Philosophie bleibt Idealen verpflichtet, die wir als Ziel ins Auge fassen können, bei der Verwirklichung aber schnell einmal scheitern. – Die Wahrheit, das Licht, ist ein Ideal, das auch andere Weltanschauungen kennen, in Asien z.B… Auch dort sind sie in der irdischen Wirklichkeit nicht gänzlich zu verwirklichen.
      Trotzdem: «Nid lugg la gwünnt.»

  2. Licht und Dunkel, Gegensätze die elementar zu unserem Leben gehören. Was es mit Menschen und der Natur macht, wenn die Sonne viel oder wenig scheint, wenn es im Laufe des Jahres mehrheitlich hell oder dunkel, kalt oder heiss ist, beeinflusst nachhaltig das Leben. Wir, die wir (noch) in den gemässigten Klimazonen leben, können uns schlecht in Menschen einfühlen, die das eine oder das andere Extrem aushalten müssen. Philosophieren kann helfen.

    Die einstündige Sendung des SRF1, Sternstunde Philosophie, jeweils Sonntags um 11 Uhr gehört, seit den Anfängen und zu meiner Freude zu meinem Fix Date, sofern mich das Thema interessiert. Ich «versorge» dann jeweils meine liebsten Menschen mit dem Hinweis auf die Sendung weil ich überzeugt bin, dass man nicht genug über unser Dasein und unser Handeln nachdenken kann und bis auf wenige Ausnahmen, auch nicht Akademiker:in sein muss, um den Inhalt der Gespräche zu verstehen.

    Profitieren kann man auch vom letzten Sternstundegespräch zwischen der Historikerin Anne Applebaum und ihrem neuen Buch über wehrhafte Demokratien und ihre neuen Feinde, das Wolfram Eilenberger einmal mehr gekonnt und einfühlsam führen konnte. Hell und dunkel in der (Geo)Politik, da kann man einiges dazu lernen.

    https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-philosophie/video/anne-applebaum—die-westlichen-demokratien-und-ihre-neuen-feinde?urn=urn:srf:video:e2d2c1d6-5a1f-4829-baff-8211ddf1036f

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