Das Kunsthaus Baselland positioniert sich mit einer Ausstellung junger Kunstschaffender eindrucksvoll zwischen materiellen Zwängen, verantwortungsvollem Handeln und ästhetischen Freiheiten: «Activating! Handlungsvorstellung als Werk».
Zwischen Warenlagern, internationalen Transportunternehmen und Autovertretungen verirrt sich die Besucherin erst mal, ehe sie das neue Kunsthaus findet. Gegenwartskunst wird dort gezeigt, auf unsere – vom Bruttosozialprodukt bestimmte – Wirtschaft und Lebensweise bezogen, doch gleichzeitig ausgerichtet auf unsere emotionalen und ästhetischen Bedürfnisse und die Notwendigkeit, Natur und Umwelt zu bewahren. Das Kunsthaus Baselland, 2024 nach Münchenstein umgezogen, nimmt all das in den Blick und lädt dazu auch die Studierenden der benachbarten Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) ein. – Was wir sehen, ist in vielerlei Hinsicht interessant, mehr noch: Es berührt!
Ausstellungsansicht. «Doing Fashion». Blick auf die individuell gestalteten Banner der Studierenden der Hochschule für Gestaltung und Kunst.
Die lichterfüllten, hohen Ausstellungsräume auf zwei Stockwerken öffnen sich wie selbstverständlich für grosszügige Installationen. Videos auf grossen Bildschirmen wirken anders als in kleinen dunklen Boxen, die zuweilen in Museen eine Nische erhalten. Während im unteren Stock mehrere Künstlerinnen, Künstler und Studierende der HGK, zum Teil schon mit Ausstellungserfahrung, ihre Werke zeigen, erhält im ersten Stock Leonardo Bürgi Tenorio seinen Platz als Solo Position, eine Initiative der Abteilung Kulturförderung Basel-Landschaft.
Leonardo Bürgi Tenorio, Ausschnitt aus seiner Installation «The paths we walk»
The paths we walk (Die Pfade, auf denen wir gehen) lautet der Titel dieser ersten grossen Einzelausstellung von Leonardo Bürgi Tenorio (*1994), der an der HGK und im Ausland studiert hat. Den Weg durch die drei Säle versteht der Künstler ganz wörtlich als Gang durch ungewöhnliche, doch aufschlussreiche Arrangements. Es beginnt mit grossen dunklen Gestalten, weder Mann noch Frau, eine empfängt mich, als wollte sie mir etwas mitteilen, einen Gruss oder eine Mahnung, eher keine Drohung, denn trotz ihrer Ungeschlachtheit wirkt sie freundlich.
Die verwendeten Materialien: Erde, Kleister, Metall, Orchideen, Holzwolle, Zedernrinde, sagen auch etwas aus über die Intentionen des Künstlers: Es geht um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur, um Kultur und unser Verhältnis zu Heimat und Exotik. Neben den Gestalten steht ein Holzgestell mit Orchideen. Im dritten Raum sind es weitere Blumen und Pflanzen aus fernen Ländern, mit denen wir gern unsere Wohnungen schmücken. Diese sind in Glasbehälter – Vivarien – gepflanzt und stehen auf oder in Kartons. – Die Assoziation (Post-)Kolonialismus, Welthandel, Versandhandel, alles ist käuflich, drängt sich auf.
Leonardo Bürgi Tenorio, Raum 3; Ausstellungsansicht
Leonardo Bürgi Tenorio sagt dazu: «Als Sohn einer mexikanischen Mutter und eines Schweizer Vaters bin ich fast ein Neo-Mestize. Ich denke, dass die Identität und die Realität von Menschen mit gemischten ethnischen Hintergründen auf dieser Welt die Komplexität des Kolonialismus widerspiegeln.» In der Ausstellung weist der Künstler ganz simpel auf diesen Zusammenhang hin, indem er auf einem Regal ein paar Bücher aus den Zeiten der Entdecker im 19. Jahrhundert platziert, etwa von Alexander von Humboldt oder «Colonial Botany».
Leonardo Bürgi Tenorio, Gemälde; links kleine Räucherpyramiden, die auch hinter der Gemäldewand aufgestellt sind. Ausstellungsansicht
Im mittleren Raum wird mein Blick eingefangen von einem übergrossen Gemälde, einer tropischen Landschaft mit Vulkanen, Meer und grüner Vegetation, wiederum eine Anspielung an Humboldt. Leonardo Bürgi Tenorio erklärt, es sei sein humoristischer Kommentar zu einem ursprünglichen Kupferstich von Humboldt. Die seltsamen weissen kugeligen Formen seien Quallen, die aktuell als Indikatoren für die befürchtete Erwärmung der Meere gelten, sagt der Künstler, Quallen seien ambivalente Wesen, zugleich sehr elegant und zutiefst mysteriös in ihrer gallertartigen Struktur. – Darin liegt vielleicht seine Kunst: Bürgi Tenorio findet Formen, die unsere Realität in ihrer Komplexität aufzeigen und zugleich unmittelbar verständlich sind.
Franz Erhard Walther: Nürnberger Raum. 2017
In der unteren Etage füllen die Studierenden einen Saal mit witzigen Werbebannern aus bunten Stoffen, die sich dann bewegen, wenn ein Ventilator läuft. Zum Thema Textilien, Stoffe, Mode sehen wir Arbeiten eines Pioniers der Textilkunst: Von Franz Erhard Walther (*1939, lebt in Fulda) wurde sein Nürnberger Raum aus dem Jahre 2017 wieder eingerichtet, 19 Stücke; Baumwollstoffe, die an den Wänden hängen. Sie mögen an Gegenstände, an Kleidungsstücke erinnern oder auch nicht. Ich verstehe sie als Einladung, meine eigene Vorstellungskraft einzusetzen. Jedes Stück Stoff, unterschiedlich in Form und Farbe, ist Einzelwerk und Teil eines vielstimmigen Ganzen mit mehreren überraschenden Aussagen.
Juliette Uzor, Kulisse (corporate fantasy) 2023. Ausstellungsansicht
Von grosser poetischer Kraft ist die Installation von Juliette Uzor (*1992). Riesige Stoffdrucke, die so an der Decke hängen, dass sie sich überlagern können, dazu ein Perlenvorhang, der sich im Laufe der Ausstellungsmonate langsam verschiebt. Dazu führt die Künstlerin zu gewissen Zeiten eine Performance auf, in der sie Ausschnitte aus Heinrich von Kleist, Über das Marionettentheater, vorliest. Juliette Uzor hat für diese Arbeit 2023 den Manor Kunstpreis in St. Gallen erhalten. Im Kunsthaus Baselland stellt sie das Werk zum dritten Mal aus. «Eine solche Präsentation kann nie fertig sein», sagt die Künstlerin, «spannend ist, vom Museums- in den Theaterraum und wieder in den Museumsraum zu wechseln. Jeder Raum ist aufgeladen und enthält eigene Geschichten.»
Die Ausstellung «Activating! Handlungsvorstellung als Werk» im Kunsthaus Baselland wird noch bis 23. März 2025 gezeigt.
Titelbild: Ausstellungsansicht: Leonardo Bürgi Tenorio: From Shadow to Soil. 2025. (Alle Fotos: mp)
Über den Umzug des Kunsthauses nach Münchenstein schrieb Eva Caflisch:
Leuchtturm der Kunst im Dreispitz