3 KommentareEU-Vereinbarung: «Mit Argumenten gegen Worthülsen» - Seniorweb Schweiz
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EU-Vereinbarung: «Mit Argumenten gegen Worthülsen»

«Erfolgreiche Schweiz» ist eine überparteiliche Initiative, welche den konstruktiven Dialog mit der Europäischen Union fördern will. Insbesondere will sie die Bedeutung der Bilateralen Verträge III für die Zukunft der Schweiz unterstreichen und ein Gegenwicht zu den EU-Gegnern schaffen. Seniorweb sprach mit Andreas Zivy (Bild), einem der besorgten Wirtschaftsvertretern und Mitinitianten der Aktion «Erfolgreiche Schweiz».

Herr Andreas Zivy, Sie stehen der Ameropa Holding AG, einem weltweit tätigen Unternehmen als VR-Präsident vor. Daneben sind Sie schon 2001 öffentlich als Förderer von Entwicklungsprojekten im Bereich der Bildung vor allem in Brasilien und auch in Uganda hervorgetreten. Jetzt führen Sie die Aktion «Erfolgreiche Schweiz» mit an. Zuerst im Ausland nun in der Schweiz?

Andreas Zivy: Die Aktion «Erfolgreiche Schweiz» hat nichts mit meinem Beruf und unserer Firma zu tun. Ich habe mich privat auch früher politisch engagiert, war jahrelang FDP-Mitglied und 8 Jahre im Vorstand der Sektion Binningen der FDP.

Zuerst Entwicklungsprojekte im Ausland. Nun eine höchst politische Aktion in der Schweiz. Warum?

Hauptsächlich, weil ich mit einer Gruppe gleichgesinnter Befürworter der Bilateralen Verträge letztes Jahr Unterschriften gesammelt habe für die kantonale Volksinitiative «Zämme in Europa» und uns dabei aufgefallen ist, wie wenig man von den Befürwortern hört und wieviel von den Gegnern.

In einem offenen Brief geht Ihre Aktion auf die Argumente der EU-Gegner ein: «Fremde Richter urteilen über unsere Zukunft!», «Die EU ist ein Bürokratie-Moloch!», «Brüssel bedroht unsere Souveränität!» und schreiben : «Diese Haltung ist gefährlich und kurzsichtig». Weshalb kommen Sie zu dieser prononcierten Einschätzung? 

Das sind ja die Schlagwörter, die die Gegner der Bilateralen Verträge täglich brauchen. Aber es sind leere Worthülsen. Dank den Bilateralen ist die Schweiz wirtschaftlich so erfolgreich. Dank den Bilateralen decken wir unseren Bedarf an Fachkräften mit Menschen aus dem benachbarten Europa statt, wie England, aus Afrika und Asien. Dank den Bilateralen haben wir das Studentenaustausch-Programm Erasmus und das internationale Forschungsprogramm Horizon. Dank Schengen, das mit den Bilateralen verknüpft ist, können wir ohne Einschränkungen reisen. Dank Schengen nimmt aber auch unsere Polizei am Schengen-Informationssystem teil, das sie täglich 100`000-mal befragt. Das alles aufs Spiel zu setzen, finden wir wirklich gefährlich und kurzsichtig.

Nach Ihnen sind die bilateralen Verträge für die Schweiz eine Erfolgsgeschichte. Sie würden unseren Wohlstand sichern, Arbeitsplätze garantieren, Innovationen erleichtern, das Bildungssystem stärken, die subventionierte Landwirtschaft bewahren und die Vielfalt fördern. Das tönt tatsächlich sehr gut. Lassen sich diese Argumente mit Zahlen belegen?

Ja absolut. Avenir Suisse hat errechnet, dass 2/3 des Wachstums der Schweizer Wirtschaft zwischen 1990 und 2017 auf die Bilateralen I zurückzuführen sind. Ecoplan, ein anderes Forschungsinstitut, das auch von den Gegnern zitiert wird, hat errechnet, dass das Bruttoinlandprodukt der Schweiz bis 2035 ohne die Bilateralen Verträge um 460-630 Milliarden tiefer ausfallen würde, das entspricht ungefähr einem Jahres-BIP. Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie in Auftrag gegeben, die zeigt, dass die Schweiz von allen Ländern – also auch den EU-Ländern selbst – am meisten vom EU-Markt profitiert. Man kann es auch umgekehrt sagen: die englischen Exporte in die EU sind seit dem Brexit um 6,4% gefallen, für kleine englische Firmen sogar um 30%, und 20.000 kleine englische Firmen haben den Export in die EU aufgegeben, weil es zu kompliziert ist.

Die Partner des SMI-Unternehmens «Partners Group» Alfred Gantner, Urs Wiedlisbach und Marcel Erni kämpfen mit ihrem «Komitee Kompass Europa» im Gegensatz zu Ihnen gegen ein EU-Rahmenabkommen. Die EU habe grosse wirtschaftliche Probleme – allen voran Frankreich und Deutschland. Als Hauptgrund führen Sie an, dass Brüssel «fast alles» reguliere und so die Schweiz quasi voll und ganz unter EU-Recht stelle. Kann diese Gefahr ausgeschlossen werden?

Das sind vollständig leere Behauptungen. Es geht ja um den Marktzugang, nicht darum, der EU beizutreten. Und bei der Bürokratie sollten wir einmal bei uns selbst anfangen – bei der Mehrwertsteuer, bei den Bauvorschriften, oder bei der kürzlich nötigen Umprogrammierung aller Migros- und Coop-Waagen, weil die 1 oder 2 Gramm Verpackung plötzlich nicht mehr verrechnet werden dürfen. Und wie sollen wir die 53% unserer Exporte, die in die EU gehen, ersetzen? Mit den USA? Mit China? Da sehen wir ja gerade, wie willkürlich dort der Marktzugang ist.

Die Komitee Kompass Schweiz strebt eine Volksinitiative an, mit der ein EU-Rahmenvertrag in einer Abstimmung dem Volk und den Ständen zu unterbreiten sei. Die Initianten hoffen, dass vor allem die kleinen, die ländlichen Kantone zu einem Nein beitragen würden. Die grossen, urbanen Kantone könnten so überstimmt werden. Wie steht Ihre Gruppe zu dieser Initiative?

Das Komitee will mit allen Mitteln die Bilateralen III verhindern, dazu ist ihm jedes Mittel recht, auch der sachfremde Umbau der Verfassung.

Was sehen Sie vor ? Wie wollen Sie das Schweizer Stimmvolk von Ihrem Weg hin zu Europa überzeugen?

Es hat ja schon viele Abstimmungen zu den Bilateralen gegeben, und mit einer Ausnahme sind sie immer zugunsten der Bilateralen ausgegangen. Umfragen zeigen auch, dass die Mehrheit der Stimmbürger für die Bilateralen ist. Die meisten verstehen, dass ein jeder von uns ganz konkret von diesem Marktzugang profitiert. Und die Bilateralen III bringen der Schweiz nochmals eine gewaltige Verbesserung in wichtigen Bereichen.

Öffnen wir das Visier. Sie haben als globaltätiger Unternehmer einen weltweiten Blick auf die Ereignisse auf dieser Welt, auf den Angriffskrieg Putins in die Ukraine, auf den Kampf Israels gegen die Hamas, auf den bizarren Schlagabtausch zwischen Trump/Vance und Selenski. Wie soll sich die Schweiz verhalten?

Mich überzeugen die Argumente von Fachleuten wie René Rhinow und Thomas Cottier zur Neutralität der Schweiz und ich habe wie viele andere das Manifest Neutralität 21 unterschrieben. Ich würde mir auch wünschen, dass das Parlament nach 3 Jahren Krieg in der Ukraine endlich das Waffenausfuhrgesetzt dahingehend ändert, dass Kunden der Schweiz wie Deutschland die bei uns gekaufte Munition unter gewissen Bedingungen reexportieren dürfen.

Sie haben selbst als Unternehmer leidvolle Erfahrungen mit Russland, verloren eine Firma Ihrer Holding im Reich Putins. Wie beurteilen Sie die Lage? Was könnte auf uns zukommen?

Leider halten sich Diktaturen wie Russland, China, Iran und Nordkorea immer weniger an bisher gültige internationale Spielregeln. Russland überfällt ohne Grund die Ukraine und begeht dort, in Syrien und in Afrika, die gröbsten Verbrechen, die man sich vorstellen kann. China steigert laufend den Druck auf Taiwan. Nordkorea macht mehr Atombombentests denn je, und Iran rüstet die Huthi, die Hamas, den Hisbollah, aber auch Russland mit Waffen aus, die dann auch eingesetzt werden. Und die USA verrät plötzlich die Demokratie und knickt vor all diesen Diktaturen ein.

Sie stehen einem grossen Unternehmen vor, tragen grosse Verantwortung, Sie führen eine Stiftung, die soziale gemeinnützige Projekt unterstützt. Jetzt sorgen Sie sich, um die Schweiz, um ihre Zukunft.  Das Interview erscheint auf seniorweb.ch. Sie sind selbst Senior. Welche Perspektive geben Sie sich selbst und Ihrem Unternehme?

Ich wünschte, ich könnte zuversichtlich in die Zukunft schauen. Stattdessen habe ich Angst, dass es zwar für mich noch gut gehen wird, da ich nicht mehr so lange zu leben habe, aber für meine Kinder und Grosskinder nicht mehr so gut. Und ich meine damit nicht die Wirtschaft, ich bin überzeugt, dass diese auch weiterhin für Wohlstand sorgen könnte, ganz wie auch unsere Firma noch lange überleben kann. Ich bin auch überzeugt, dass wir mit dem Klimawandel fertig werden können. Aber wenn wir die Demokratie  an alle -ismen – Populismus, Faschismus, Totalitarismus, Nationalismus – verlieren und Krieg wieder als Mittel der Macht eingesetzt wird, dann gute Nacht.

Was geben Sie unserer Nutzerinnen und Nutzer auf den Weg in einer Welt der sozialen Medien, der Künstlichen Intelligenz KI?

Es ist erwiesen, dass die sozialen Medien die Polarisierung in unserer Gesellschaft fördern, bei jungen Menschen psychische Probleme auslösen und süchtig machen. Wir müssen sie unbedingt regulieren, wie wir ja auch Medikamente, Autos, Alkohol, Zigaretten und vieles andere regulierenAuch die künstliche Intelligenz dürfen wir nicht unreguliert einigen grossen Firmen überlassen, sondern müssen sicherstellen, dass die Gesellschaft als Ganzes davon profitiert.

Und die letzte Frage: Wie beurteilen Sie die aktuell doch recht angespannte Weltlage, das Verhältnis zwischen den USA, China, Russland und Europa, mittendrin die Schweiz?

Meine Generation hat unglaubliches Glück gehabt, weil wir in Freiheit, Frieden und Wohlstand gelebt haben. Was jetzt passiert, der Populismus bei uns und die aggressive Haltung der Diktaturen auf der ganzen Welt, ist eine grosse Bedrohung für diese einzigartigen Werte. Und wo sie untergehen, ist der Krieg nicht weit, mit all seinen entsetzlichen Folgen für die Menschen. Es macht mir Sorgen, dass wir nicht energisch genug dagegen ankämpfen. Ich sehe zu viele Chamberlains und keine Churchills.

Interessiert an der Initiative: info@erfolgreicheschweiz.ch


Andreas Henry Zivy (70), ist am 19.10.1955 in Basel geboren, besuchte 1962-1966 die Primarschule Bruderholz, 1966-1974 das Humanistisches Gymnasium Basel, A–Matur 1974. Im gleichen Jahr absolvierte er die Rekrutenschule in Wangen an der Aare. 1975-1978: Studium am Institut d’Etudes Politiques de Paris‘, Sektion Wirtschaft und Finanzen, Diplomabschluss ‚Lauréat‘ (entspricht  Summa cum laude), 1975-1977: 2 Jahre Parallelstudium in französischer Literatur an der Sorbonne, Paris.

Die beruflichen Stationen: 1978-1979 Sambra do Brasil, Sao Paulo, Brasilien (Bunge Group), 1980: Eintritt in die von seinem Vater Felix Marc Zivy 1948 gegründete Ameropa AG/ Ameropa Holding AG (heutiger Name), Basel/Binningen vor, wo er diverse Funktionen in Frankreich, Österreich und der Schweiz innehatte. 1995 Ernennung zum Mitglied und Delegierten des Verwaltungsrates der Ameropa AG sowie Ernennung zum Mitglied des Verwaltungsrates der Ameropa Holding AG und CEO der Ameropa-Gruppe. Heute: Präsident des Verwaltungsrates der Ameropa Holding AG, einem Handels-Unternehmen, das einen Umsatz von gegen 10 Milliarden Franken erzielt. Daneben ist er schon 2001 öffentlich als Förderer von Bildungsprojekten in Brasilien und in Afrika aktiv gewesen.

Politisch war er 2006-2014 Mitglied des Vorstandes der Sektion Binningen der FDP; verantwortlich für die Wahlkämpfe im Kreis und in der Gemeinde. 2001-2018: Mitglied des Stiftungsrates der Ameropa Foundation. Seit 2025: Präsident der Demokratie Stiftung Basel. Er ist verheiratet mit Evelyn Zivy-Gottschalk, von Scarsdale/N.Y./USA. Und hat drei erwachsene Kinder,

 

 

 

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3 Kommentare

  1. Keine Bilateralen Verträge mit der EU wäre nicht nur ausgesprochen dumm sondern setzt grobfahrlässig die Beziehungen mit unseren Nachbarn aufs Spiel.
    Solidarisch wäre ein offizielles Mitgehen mit dem einzigen Länderverbund Europas nach dem zweiten Weltkrieg, besonders in der Krise und der Bedrohung unseres Heimatkontinents durch Russland sowie die verlorene Unterstützung durch die USA. Meine Meinung.

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