Seit anderthalb Jahren leitet Elena Shchapova den Kirchenchor Frutigen. Bereits in ihrer Heimat, in Russland, hatte sich die studierte Pianistin auf Chormusik spezialisiert. In Bern erwarb sie zusätzlich ein Diplom im Orchesterdirigieren. Seniorweb hat die Berufsmusikerin zu Hause besucht.
Ein schmuckes Wohnzimmer, eine Küchenecke, ein Büro, ein Schlaf- und ein Musikzimmer: Die Russin und ihr Ehemann, Igor Petrov, sind einfach, aber zweckmässig eingerichtet. Wir nehmen im Musikzimmer Platz, in dem ein Elektropiano steht. Elena Shchapova beginnt zu spielen und zu erzählen.
Geboren wurde die 54-Jährige 1970 in der sibirischen Kleinstadt Sussuman. Nach der Matura absolvierte sie ein Musikstudium (Klavier, Chorgesang, Musikgeschichte, Musiktheorie) und spezialisierte sich an der Kunsthochschule Magadan im Fachbereich Chorleitung. In Krasnojarsk lernte sie das Dirigieren und war am dortigen Opernhaus als Chorleiterin tätig.
Elena Shchapova.
2003 zog sie nach Moskau, wo sie als Leiterin eines Vokalensembles tätig war. 2006 wurde sie stellvertretende Leiterin des Tschaikowsky-Sinfonieorchesters, 2009 Vizerektorin für Konzerttätigkeit an der Moskauer Akademie für Chorkunst und später Leiterin der Kulturprojekte bei der «Kaiserliche Russischen Musikgesellschaft». An der Moskauer Chor-Akademie promovierte sie mit einer Dissertation über Chormusik in Russland.
In die Schweiz übersiedelte Elena Shchapova im Jahr 2011 zusammen mit ihrem Mann. 2021 erwarb sie an der Hochschule für Künste ein CAS in Grundlagen des Orchesterdirigierens und war als Musiklehrerin an der russischen Schule tätig.
Mit offenen Armen empfangen
Da sie bei ihrer Ankunft in der Schweiz noch kein Deutsch sprach, fühlte sie sich verloren. «Also ging ich in die erste Kirche, deren Tür offenstand. Wie durch ein Wunder stellte sich heraus, dass der Priester eine Mutter aus dem Baltikum hatte und Russisch sprach. In der Kirche gab es auch einen Chor. Ich wurde mit offenen Armen aufgenommen», erzählt sie.
Die Sprache und die neue Kultur waren für die junge Frau aus Russland die beiden grossen Herausforderungen. Um Kontakt mit Gleichgesinnten zu finden, wurde sie Mitglied von drei Chören und beteiligte sich aktiv an Proben, Gottesdiensten sowie Konzerten. «Die Praxis ist die beste Schule. Ab 2017 sang ich bei der ESG Berner Kantorei. Die enge Zusammenarbeit mit Kantor Johannes Günther ermöglichte es mir, die Schweizer Laienchor-Mentalität kennenzulernen», erinnert sich die 53-Jährige.
Wie sie nach Frutigen kam
Der Kontakt zum Chor der reformierten Kirche Frutigen entstand durch einen Zufall: Im Jahr 2023 suchte der Kirchenchor Thun-Strättligen einen Partnerchor. Ein Vorstandsmitglied empfahl den Kirchenchor Frutigen. So gaben die beiden Chöre mit über dreissig Gastsängerinnen und -sängern, einem Musikerquintett des Berner Symphonieorchesters sowie renommierten regionalen Interpreten zwischen August und November 2023 drei Konzerte: in der Kirche Amsoldingen, in der Johanneskirche Thun und in Frutigen.
Nach diesem Projekt wurde Elena eingeladen, ständige Dirigentin des Frutiger Kirchenchores zu werden. «Es hat mich tief berührt, dass die Sängerinnen und Sänger sogar bereit waren, den Probentag von Mittwoch auf Freitag sowie die Uhrzeit zu verschieben, um meinem Terminkalender gerecht zu werden», betont sie.
Eine grosse musikalische Familie
Am Kirchenchor schätzt sie die enge Gemeinschaft, in der sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen. «Ich sehe, wie sie gemeinsam Erfolge feiern und Herausforderungen bewältigen, wie sie während den Aufführungen zu einer kreativen Einheit verschmelzen. Das inspiriert mich sehr. Bei jeder Probe habe ich das Gefühl, Teil einer grossen musikalischen Familie zu sein, die durch eine gemeinsame Idee verbunden ist und nach Perfektion strebt», beschreibt Elena ihre Eindrücke.
Im Musikzimmer am Elektropiano.
Ein Chormitglied hat einen besonders tiefen Eindruck in ihrem Herz hinterlassen. Während der Vorbereitungen für ein Konzert im Jahr 2023 fiel ihr ein älterer Bass auf. Er konnte nicht mehr lange stehen und bat darum, sowohl bei den Proben als auch bei den Konzerten sitzend singen zu dürfen. Sein Name war Paul von Känel. Das geschätzte Chormitglied ist leider im Februar 2024 verstorben.
Die Frage nach dem Glauben
An der Kirchenmusik fasziniert Elena die Möglichkeit, «etwas Grösserem, einer höheren Idee zu begegnen». «Ich habe selbst geistliche Musik komponiert und arbeite gerne mit geistlichen Gesängen. Ein sakrales Musikstück ist für mich eine Art <Opfergabe>, der ich mit besonderer Ehrfurcht begegne.» Auf die Frage, ob sie ein gläubiger Mensch sei, antwortet sie mit einem Bild: «Ich habe in meinem Leben viele Stürme erlebt. Während eines Sturms gibt es auf einem Schiff keine Ungläubigen.» Ihre Familie war nicht besonders religiös. Kirche gab es in ihrer Kleinstadt keine. Die Grossmutter allerdings bewahrte eine Ikone des <Heiligen Nikolaus> auf und betete jeden Abend davor. Dieses Ritual beeindruckte Elena sehr.
Dank der Kirchenmusik konnte auch sie später ihre spirituellen Gefühle ordnen und zum Glauben finden. Anlässlich eines Konzerts in Wladiwostok liess sich die junge Musikerin spontan taufen. Mit Überzeugung sagt die Russin: «In der Kirche fühle ich mich heute zu Hause.» In der Schweiz offenbar auch. Denn Elena verbringt einen Grossteil ihrer Freizeit mit ihrem Mann in der freien Natur. Der Bielersee, das Berner Oberland, spezielle die Engstligenfälle sowie die Zugstrecke zwischen Thun und Spiez haben es ihr angetan.
Gefragt nach ihrer Lebensphilosophie antwortet die Chorleiterin: «Die Vergangenheit loslassen, um der Zukunft Raum zu geben.» In der Tat: Vielleicht hat gerade dieses Lebensmotto der begabten Musikerin aus Sibirien den Weg geebnet, in der Schweiz Fuss zu fassen und im Frutigland neue Erfahrungen zu sammeln.
Seit 2021 leitet Elena Shchapova mehrere Chöre, darunter den Kirchenchor Thun-Strättligen, zwei Gospel-Chöre im bernischen Oberaargau, den Kirchenchor der römisch-katholischen Kirchgemeinde Thun und den Chor der reformierten Kirche Frutigen.
Titelbild: Als Vorbereitung auf die Chorproben studiert Elena Shchapova intensiv Partituren, hier auf dem Balkon ihrer Berner Wohung. Fotos PS
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Wie stolz ich auf Dich bin,liebe Elena!
Du bist so talentiert, fleissig, aufmerksam, umfassend, intellektuell und hast ein freundliches, offenes Herz!
Du schenkst den Menschen Freude und grenzenlose Liebe!
Von ganzen Herzen wünsche ich Dir Kreativität, Gesundheit und Erfolg bei all Deinen Ideen!!
LG Olga
Ich habe mehrere Jahre lang unter Elenas Anleitung in einem Chor gesungen und es war wunderbar. Ich möchte ihre hohe Professionalität, Freundlichkeit, aufmerksame Haltung, Sensibilität und Verantwortung hervorheben. Ich bin immer wie auf Flügeln zum Unterricht geflogen! Ich empfehle sie auf jeden Fall weiter!
Sehr interessanter Bericht über eine gelungene Integration – wenn man will und nicht aufgibt geht es! Ich wünsche Ihnen für die Zukunft viel Erfog und Erfüllung in Ihren Tätigkeiten. Vielleicht schaffe ich es einmal ein Konzert zu besuchen.