Der Schweizer Autor Peter Bichsel ist am Samstag 89jährig in einem Altersheim in Zuchwil (SO) verstorben. Im Kanton Solothurn hatte er gelebt. Als Mitglied der Akademie der Künste in Berlin war er ein Meister des Erzählens, ein Spezialist für Kurzgeschichten, der sich auch politisch exponierte.
Im Februar 2025 gab er der Zeitung seines Heimtatkantons noch ein Interview. «Ich sterbe gerne, das macht mir keine Schwierigkeiten», sagte er nach Angaben der «Solothurner Zeitung». Zuletzt veröffentlichte Bichsel die Erzählbände «Die schöne Schwester Langeweile» (2023) und «Im Winter muss mit Bananenbäumen etwas geschehen» (2021).
Der Schriftsteller arbeitete zunächst als Lehrer. Ab 1968 schrieb er neben seinen Kurzgeschichten-Bänden jahrzehntelang Kolumnen, etwa für die Wochenzeitung «Die Weltwoche» oder für das Magazin des «Tages-Anzeigers». Der Autor habe die Welt mit Bonmots beschenkt, schrieb die Zeitung in einem Nachruf: «Nichts langweilt mich weniger als das Nichtstun: dasitzen und sein», soll er einmal gesagt haben.
Peter Bichsel im Mai 2011 auf dem Amthausplatz in Solothurn. Foto: Gestumblindi / Wikikpedia
In den siebziger und achtziger Jahren war Bichsel Gastdozent an verschiedenen amerikanischen Universitäten, ebenso wie an der Universität Essen. Zuletzt lebte er in Bellach. In seiner Heimatstadt gründete er 1978 die Solothurner Literaturtage, die jedes Jahr an Pfingsten Autoren, Verlage und Publikum zusammenbringen.
Bekannt wurde Bichsel 1964 mit seinem Erzählband «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen». Der Suhrkamp-Verlag hat ihn gerade in einer erweiterten Neuausgabe wieder herausgebracht.
Peter Bichsel beschrieb die Schweizer Gesellschaft in seinen Texten mit einer Mischung aus Ehrlichkeit, Melancholie und subtiler Kritik. Er thematisierte oft die Kleinbürgerlichkeit und die Selbstzufriedenheit der Schweizer, die er als „Volk von Herrenmenschen“ bezeichnete. Dabei verzichtete er auf Moralisierung und setzte stattdessen auf präzise Beobachtungen des Alltags, auf Gewohnheiten und Absurditäten des menschlichen Lebens.
Mit Sensibilität und Tiefgang
Bichsel behandelte die Thematik der Einsamkeit mit besonderer Sensibilität und Tiefgang. Seine Figuren sind oft anonymisiert, ohne klare Identität, und leben in einer Welt der Sprachlosigkeit und Isolation. In der Kurzgeschichte “San Salvador” etwa zeigt er die innere Zerrissenheit eines Mannes, der unfähig ist, seine Gefühle auszudrücken oder seine Lebenssituation zu ändern. Die Handlung spiegelt die stille Einsamkeit und das Scheitern von Kommunikation wider.
Seine Texte waren oft melancholisch, aber auch humorvoll und von absurden Wendungen geprägt. Foto: Alchetron.com
In seinen Geschichten porträtierte er Menschen, die sich mit ihrer Einsamkeit arrangieren oder versuchen, der Unabänderlichkeit des Lebens zu entfliehen. Diese Figuren stellen Fragen, wagen kleine, oft vergebliche Schritte gegen die Isolation und zeigen damit die Tragik und Schönheit des menschlichen Daseins. Bichsels klare Sprache und die bewusst gesetzten Auslassungen geben den Lesenden Raum für Reflexion und Empathie.
Philosophisch und politisch
In seinen Kolumnen und Kurzgeschichten schuf der Autor philosophische Reflexionen über scheinbar banale Themen, wie etwa das Wetter oder einen kränkelnden Avocadostrauch, und verband sie mit universellen Fragen über Vergänglichkeit und Freiheit. Seine Texte waren oft melancholisch, aber auch humorvoll und von absurden Wendungen geprägt, was ihn zu einem einzigartigen Kritiker der Schweizer Gesellschaft machte.
Ab 1957 war Bichsel Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (SP) und wirkte als politischer Intellektueller sowie Ghostwriter für seinen Freund, Bundesrat Willy Ritschard. 1995 kam es zum Bruch mit der eigenen Partei. Der Grund: Die solothurnische SP zog mit dem Slogan «Kussecht und vogelfrei» in den Wahlkampf. Bichsel: «Mein Austritt hat nichts mit ästhetischen Gründen zu tun, sondern mit meiner sozialdemokratischen Überzeugung – ich mag kein Sauglattist sein», sagte er.
Nun ist Peter Bichsel, der Mann mit der näselnden Stimme, kurz vor seinem 90. Geburtstag verstorben. Er hat sich einfach «weggeschlichen», wie er einmal sagte. Eine kritische Stimme weniger im Chor der Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
Titelbild: Peter Bichsel, geb. am 24. März 1935 in Luzern, gest. am 15. März 2025 in Zuchwil. Foto: Alchetron.com
Eine literarische Legende. Unvergessen seine Kurzgeschichten, wie z.B. «das Brot», wo ein altes Ehepaar in seiner Langeweile plötzlich anfängt, die alltäglichen Dinge umzubenennen, bis es nicht mehr weiss, dass das Brot eigentlich ein Brot ist und kein Messer und das Messer keine Gabel usw. Amüsant, kurzweilig und zum Nachdenken anregend. Aber als Schulkind (aus den 1970ern) checkt man das natürlich nicht.
Dass Peter Bichsel ein politischer Intellektueller gewesen sein soll, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Denn nach dem Milchmann und dem Cherubin kam ja nicht mehr viel Gescheites. Und in seinen unzähligenGeschichten
wurde meist genörgelt, kritisiert, gegrantelt und manche Banalität von vielen Lesern zur Philosophie hoch stilisiert.
Ihre Kindheit ist schon lange her, nicht wahr Herr Hübscher, vielleicht sogar vergessen? Peter Bichsel hatte eine Gabe, den Menschen und seine Verhaltensweisen klar zu erkennen und mit seiner kindlichen, wachen Wahrnehmung und seiner intellektuellen Ausdrucksweise in einem ganzheitlichen Kontext zum Ausdruck zu bringen.
Mag sein, dass das Nörgelnde seine Texte manchmal dominierte, doch ich lese aus seinen Texten einen Menschenfreund, der manchmal an sich selbst verzweifelte.