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Atomkraft – nein danke

Atomkraft, nein danke! Das sagten Zehntausende vor fünfzig Jahren. Und verhinderten ein Atomkraftwerk (AKW) in Kaiseraugst.

Am 1. April 1975 sollte in Kaiseraugst (AG) der Bau eines AKWs beginnen. Jugendliche besetzten jedoch die Bagger. Und die frohe Botschaft verbreitete sich im Nu. Hunderte strömten herbei, bauten Zelte und später Hütten auf. Früh und mit etwas mulmigem Gefühl sass auch ich am ersten Morgen auf dem Bagger. Zunächst sogar mit unserer Tochter Anja. Das würde ich heute nicht mehr tun. Besetzen schon, aber ohne kleines Kind. Erfreut zogen wir dann, die ganze Familie und Wohngemeinschaft, an die Kundgebung vom Sonntag, 6. April 1975. 15‘000 Personen kamen; auch der Direktor der Landwirtschaftlichen Schule in Sissach. Er war in der SVP, lehnte aber das AKW ab.

Die Besetzung dauerte elf Wochen. Der Bundesrat schützte lange die Investoren, obwohl die Bevölkerung von Kaiseraugst 1972 das AKW verworfen hatte. Auch die Aargauer Regierung, das Verwaltungs- und Bundesgericht übergingen das klare Nein. Endlich bewog der Protest jedoch die Motor Columbus AG in Baden dazu, auf den Bau zu verzichten. Und das eidgenössische Parlament begrub 1989 das AKW. Drei Jahre nach dem Reaktor-Gau von Tschernobyl und der Chemie-Katastrophe von Schweizerhalle! Der Energie-Konzern erhielt 350 Millionen Franken Steuergelder.

Am Samstag, 4. April 2025 feierten mehrere hundert Ehemalige und Nachkommen in der Basler Markthalle die Besetzung. Die NWA Schweiz (Nie wieder Atomkraftwerke) lud dazu ein. Sie koordinierte 1975 den Widerstand. Zusammen mit der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK), Aktiven der JUSO, der trotzkistischen RML, der POCH, der SP, Grünen sowie Umweltbewegten aus bürgerlichen Kreisen.

Am Jubiläum erinnerte Florianne Koechlin an lebendige Debatten. Die Biologin politisierte damals für die Progressiven Organisationen (POCH). An Vollversammlungen warnte sie vor Verhandlungen mit dem Bundesrat, der die Bewegung vereinnahmen wolle. Die Besetzung habe ihr aber auch immer mehr gezeigt, wie wichtig breite Allianzen sind.

Verhaltenen Applaus erhielt auch Hanspeter Gysin, ehemaliger Vertreter der Revolutionären Marxistischen Liga (RML). Er würdigte das Sprengen des «Lügenpavillons», den die Motor Columbus auf dem freiwillig geräumten Gelände errichtet hatte. Giorgio Bellini (1945–2024) bekannte sich 2021 zur Tat. Der Politaktivist reagierte damit auf das Ablehnen der Atomschutzinitiative (1979). Er äusserte sich auch im eindrücklichen Dok-Film Kaiseraugst. Revolution in der Energiepolitik dazu, den das Schweizer Fernsehen am 3. April 2025 über die Besetzung ausstrahlte. Vielleicht sei diese Sprengung, so Bellini, doch nicht ganz so nötig gewesen. Die NWA distanzierte sich stets entschieden davon.

Kaiseraugst bewirkte ein Umdenken bezüglich der Atomenergie. Zu Beginn der 1970er-Jahre sprachen sich noch, nebst den meisten Bürgerlichen, einige SP- und PdA-Mitglieder für Atomenergie aus. Aber das änderte bald. Davon zeugte die stark gewachsene, heterogene Ablehnung des AKW Kaiseraugst. Etlichen imponierte das gewaltfreie Selbstverständnis der Bewegung. Diese mobilisierte so viel Solidarität. Zudem verknüpfte sie lebensweltliche und politische Anliegen. Im Sinne von Leben statt Profit. Das half.

Seit Ende der 1970er-Jahre verzichten die Kantone Basel-Land und Basel-Stadt gesetzlich auf AKW. 1990 beschlossen die Stimmberechtigten der Schweiz ein zehnjähriges Moratorium für AKW. Und nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima entschied der Bundesrat 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie. Das Parlament folgte ihm. Somit sind neue AKW untersagt. Aber viel Arbeit steht bevor. Dies auch deshalb, weil geldgetriebene Kreise und selbst SVP-Energieminister Albert Rösti diese Beschlüsse aufweichen wollen.

Die NWA setzt sich hingegen weiter dafür ein, den Ausstieg baldmöglichst zu verwirklichen, konsequent erneuerbare Energie zu fördern und die Umwelt zu schonen. Dabei drängen sich tragfähige Bündnisse mit der Klima- und Friedensbewegung auf. Mehr Druck ist bitter nötig. Im Sinne von: Atomkraft, nein danke!

Porträt Ueli Mäder, Foto: © Christian Jaeggi

 

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7 Kommentare

  1. Ich bedaure ausserordentlich, dass das Kraftwerk Kaiseraugst nicht gebaut werden konnte. Gerade in der Schweiz sind wir auf genügend und stabilen Strom angewiesen. Und solcher kann meines Erachtens nebst der Wasserkraft nur in AKWs produziert werden.

    • Unglaublich, dass es immer noch Verfechter:innen eines Atomkraftwerk-Neubaus gibt! Wohin in aller Welt will man mit den Abfällen, die über mehrere 100’000 Jahre die Umwelt verstrahlen – in einer Welt, die dann ganz anders aussehen wird (wie sah das Gebiet der Schweiz vor 100’000 Jahren aus?) ? Zudem: kein Elektrounternehmen will heute aus finanziellen Überlegungen ein AKW bauen, das vielleicht in 30 oder 40 Jahren in Betrieb genommen werden könnte, zu Strompreisen, die mehrfach höher wären als diejenigen der mit Solar- und Windkraft erstellten? Es bleibt dabei: «Atomkraft – nein danke!»

      • Herr Burckhart, die Endlagerung der radioaktiven Abfälle ist- im Gegensatz zu vielen chemischen Abfällen- technisch gelöst, siehe Nagra oder die Tiefenlager zB in Finnland. Was die finanziellen Aspekte betrifft, sollen die Elektrtizitätsunternehmen selber entscheiden, und sich nicht das von Ideologen vorschreiben zu lassen, die ausser 50 Jahre Nachbeten von «Atomkraft-nein Danke» nichts dazu kompetent sagen können.

  2. Der Artikel spricht wieder einmal in einer unbelehrbaren Ideologie. Mit einem solchen Scheuklappendenken können wir die Anforderungen an unsere zukünftige Energieversorung und den Anforderungen des Klimawandels nicht erfüllen. Wir müssen hier abseits von Ideologien und «Siegesbewusstsein» ergebnisoffen die besten Lösungen diskutieren.

    • Die Techniken der Endlagerung atomarer Abfälle verlangen volles Vertrauen; man kann ja auch Albert Rösti vertrauen, blind vertrauen. Zudem, aktuell ist keines der Elektrizitätsunternehmen bereit, die Planung neuer AKW überhaupt nur zu erwägen, ohne die finanzielle Unterstützung durch den Bund. Und die wird an der grossen Ablehnung durch die Bürgerinnen und Bürger scheitern.
      «Unbelehrbarkeit und Scheuklappendenken» sind schlechte Argumente, um eine ergebnisoffene Diskussion zu führen. Soweit ich mich entsinne, 1968, Svoboda heisst zu Deutsch Freiheit. Die Meinungsfreiheit ist garantiert, auch die Ihre.

  3. Unglaublich, wie schnell der Mensch vergisst. An dieser Kundgebung vom 6. April 1975 nutzte ein gewisser Christof Blocher das Momentum zu Gunsten seiner politischen Karriere und ist als AKW-Gegner mitmarschiert.

  4. Wieso nicht technologieoffen bleiben? Darum sollten wir das Bauverbot für Kernkraftwerke wieder aus dem Gesetz streichen. Ob je wieder eines gebaut wird, in welcher Form auch immer, wird sich zeigen. Immerhin haben wir an der ETH ein begehrtes Studienfach Nuclear Engineering, welches von Professorin Annalisa Manera geleitet wird.

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