In allen Religionen spielt der Glaube eine tragende Rolle. Oft ist er Anlass zu Zweifel. Die Zürcher Autorin Michelle de Oliveira führte Gespräche mit 14 Personen über Religion, Glaube und Spiritualität, zusammengefasst im Buch «Ich glaube, mir fehlt der Glaube».
Vor kurzem war in den aktuellen Medien zu vernehmen, dass die Zahl der Kirchenaustritte, bei den Reformierten ebenso wie bei den Katholiken, drastisch gestiegen sei. Es hiess sogar, dass sich aktuell ein gutes Drittel aller Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz als konfessionslos bezeichnet.
Der in Zürich aufgewachsenen Journalistin Michelle de Oliveira (geb. 1985) ging es nicht um die Gründe, weshalb Menschen ihre bisherige Glaubensgemeinschaft verlassen, sondern grundsätzlich darum, was Glaube, was Religion heute in unserer sehr komplexen Welt bedeuten. Im Vorwort beschreibt sie ihre Unsicherheit, die sie überfordert. Sie beschreibt, wie sie einen klar erkennbaren Weg für ihr Leben vermisst. Sie beschreibt ihre Suche nach dem Sinn des Lebens und, was sie schon versucht hat: Meditation und Yoga, spirituelle Praktiken; Verschiedenes, was unter dem Begriff «Spiritualität» angepriesen wird.
Als sie sich eingesteht, dass ihre Suche nicht enden will, beginnt sie mit der Arbeit an diesem Buch: Es «soll eine Auseinandersetzung mit Glaube, Religion, Spiritualität sein», schreibt sie. Und dann: «Ich möchte mich inspirieren, berühren und auch überraschen lassen.»
Kaleidoskop von Glaubensvorstellungen
Entstanden ist eine Sammlung von vierzehn Gesprächen mit Menschen ihrer Generation, aber auch mit älteren Menschen, die über ihre Erfahrungen mit ihrem Glauben berichten. Es sind stets individuelle Unterhaltungen; einige Gespräche wurden zusammengefasst und in der Ich-Form niedergeschrieben. Jede Person wird mit ihrem vollen Namen, einem ganzseitigen Foto und einigen kurzen Angaben zu ihrem Leben vorgestellt. Eine angenehme Präsentation – so erhalten die Interviewten ganz konkret ein Gesicht.
Blick in die Oberkirche San Francesco in Assisi
Am Anfang begegnen wir dem Pfarrer der Citykirche Offener St. Jakob in Zürich. Auf dem Weg zu seiner jetzigen Wirkungsstätte finden sich ein Aufenthalt in einem Kloster, die Beschäftigung mit Zen-Meditation, Fastenwochen. Prägend war für ihn das Vikariat bei einem Pfarrer, dessen Offenheit und Spiritualität ihm ein Vorbild wurden. Nun sagt er: «Für mich ist der Glaube ein Vertrauen, das wächst. Durch die Theologie fand ich eine Sprache für dieses Gefühl.» Nach seinen Erfahrungen in der Offenen Kirche ist er der Überzeugung, dass «alle Wege gleich wertvoll» sind, aber man müsse sie eine längere Zeit gehen, denn «es ist ein Gewinn, wenn man dranbleibt.» – Wie in einer Beziehung.
Glaube ist etwas Persönliches
Bei allen Gesprächen beeindruckt die Offenheit der Interviewten. Es ging ja keineswegs darum, die Lesenden von einem einzigen Glaubensverständnis zu überzeugen, im Gegenteil, durch die Vielfalt der Erfahrungen erhalten wir als Lesende Einblick in andere Lebenswege und Glaubenshaltungen, denen wir nicht unbedingt persönlich begegnet wären.
Fresco in der (älteren) Unterkirche San Francesco
Da ist der aus dem Wallis stammende Lehrer, der schon in der Schule in Konflikt mit der katholischen Kirche geriet, so dass er sich als Gymnasiast vom Religionsunterricht – im Wallis nur als katholische Unterweisung angeboten – dispensieren liess und als Student für sich entschied: «Religion und Gott, das ist nicht meins.» Konflikte schien er nicht zu scheuen. Später verlor er seine Stelle als Lehrer, weil er sich weigerte, im Schulzimmer ein Kruzifix aufzuhängen. Heute ist er u.a. Vizepräsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz. Am Schluss des Gesprächs sagt er: «Ich glaube nicht an über- oder widernatürliche Dinge, keine Göttinnen, keine Götter. Ich lebe wunderbar in der Annahme, dass es in diesem Universum mit rechten Dingen zugeht.»
Prägende Jugendjahre
Ganz andere Lebensumstände finden wir bei einer Zürcher Yogalehrerin. Sie hat eine jüdische Mutter, hat aber Beziehungen zu unterschiedlichsten Menschen. Ihre Mutter schickte das heranwachsende Mädchen in den jüdischen Jugendbund. «Ich bin darin aufgegangen und meine jüdische Identität hat sich dadurch gefestigt», sagt sie, und später: «Für mich sind die spirituellsten oder religiösesten Momente jene, wenn ich spüre, dass ich Teil der Welt bin», nicht nur «zu Besuch». – Yoga und ihr Glauben ergänzen sich, stellt sie fest, denn: «Tu die richtigen Sachen, dann wirst du immer wieder Momente der Erleuchtung erleben.»
Eremo delle Carceri, eine kleine Einsiedelei ausserhalb von Assisi. Eine Gruppe von Schwestern des Klarissinnen-Ordens im Innenhof
Michelle de Oliveira spricht unter anderem auch mit einer buddhistischen Nonne, mit einer queeren Pfarrerin, mit einer Astrologin, mit einem Grafiker, dessen spirituelle Erfahrungen besonders zu Herzen gehen, mit einem Zen-Lehrer, mit einer Islamwissenschaftlerin, die als Spitalseelsorgerin arbeitet – und zuletzt mit Kathrin Altwegg, der Doyenne der Schweizer Astrophysik. Finden wir Gott im Weltall?
Auf die Frage, ob es ausserhalb des unvorstellbar grossen Weltalls noch etwas gebe, antwortet Altwegg: «. . . ich glaube schon, dass es eine weitere Dimension gibt, die wir nicht verstehen. Ich stelle mir Gott nicht personell vor, sondern als eine göttliche, alles umschliessende Dimension.» Und weiter: «Wenn es eine höhere Macht – einen Gott – gibt, entzieht er sich unseren Messmethoden. Gott lässt sich nicht festmachen.»
Legen Sie das Buch nicht weg, bevor Sie nicht das ganze Interview mit dieser klugen Frau gelesen haben.
Michelle de Oliveira: Ich glaube, mir fehlt der Glaube. Theologischer Verlag Pano, 2024. 232 Seiten. ISBN 978-3-290-22071-6
Titelbild: Eine moderne Skulptur: Bettelmönch im (freien) Yoga-Sitz nahe S. Damiano bei Assisi
Nachwort: Zur Illustration dieses Artikels habe ich nur Fotos von meiner Reise nach Assisi 2012 ausgesucht. Franz von Assisi war Gottsucher und Zweifler, bis er seinen Weg gefunden hatte und sich in Assisi niederliess. Pomp und «in Stein gemeisselte» Religion lehnte er ab.
Die heutigen Kirchen und Klöster entstanden erst nach seinem Tod. Seine Spiritualität ist noch spürbar, vor allem an ruhigen Orten.
Besonders beeindruckt hat mich damals eine Gruppe schwarz gekleideter Klarissinnen aus Sizilien auf einer Reise zu San Francesco und Santa Chiara. So vergnügt hatte ich Nonnen noch nie singen und erzählen erlebt.
Jorge Mario Bergoglio, der verstorbene Papst, hatte seinen Namen ohne Zweifel ganz bewusst gewählt.
Matthäus 24:35 Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.
Daher: Warum es nicht mit der Bibel versuchen? Der Einzige der vom Vater im Himmel kam, der de Tod gesehen hat und auferstanden ist, ist Jesus Christus. Warum wolle wir Ihm nicht glauben?