StartseiteMagazinKulturEine K-Welle flutet die Welt

Eine K-Welle flutet die Welt

Das Museum Rietberg zeigt mit „Hallyu! Die koreanische Welle“ wie sich die südkoreanische Popkultur – Musik, Film, Comic, Mode – über die ganze Welt ausbreitet und verortet dieses Phänomen in der Geschichte Koreas.

Kennen Sie den K-Pop-Hit Gangnam Style? Lernen Sie den Tanz und den Song kennen, vorgeführt vom Personal des Museums Rietberg auf einem Video: Kuratorin Khanh Trinh entsteigt im goldenglitzernden Jäckchen einem Auto auf dem Museumsvorplatz, wo schon alle Kolleginnen und Kollegen sie erwarten, dann wird getanzt, was zuvor tüchtig geübt worden war. Regie: Albert Lutz, Kamera: Albert Lutz, Schnitt: Albert Lutz. Der frühere Direktor des Museums ist ein passionierter Filmemacher.

Installationsansicht: Mode und Schönheit © Museum Rietberg, Patrik Fuchs

Die Ausstellung bietet informierten jüngeren Menschen, die den K-Pop, die Filme und Serien aus Seoul kennen, vieles. Der älteren Generation ist Hallyu ein Augenöffner für Phänomene, denen sie verständnislos begegnet ist, auch wenn sie dessen Boten als Samsung-Handy oder LG-Computer und Hyundai-Auto längst kennt.

Diese grossen Industriemarken gehen auf Familienbetriebe zurück, die sich nach dem 2. Weltkrieg etablierten und später, erst recht nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur massiv gefördert und exportiert wurden. Den Film Parasite, der 2020 vier Oscars, darunter den für den besten Film, gewonnen hat, haben Kinogänger auch hierzulande nicht verpasst.

Szenenbild aus der Netflix-Serie Squid Game. © 2021 Netflix. All Rights Reserved

Aber nochmals zurück auf Feld eins im Museum Rietberg: Zusätzlich zur grossen, von Rosalie Kim im Victoria and Albert Museum London kuratierten Ausstellung Hallyu hat Kuratorin Khanh Trinh eine kleine Galerie aus der hauseigenen Sammlung aufgebaut, denn die koreanische Welle wurzelt in der konfuzianischen Tradition, im Schamanismus, im Buddhismus und in der traditionellen Volkskunst.

Wandschirm mit Büchern und Objekten in einem Gelehrtenzimmer. Unbekannter Künstler, 19. Jahrhundert. Privatsammlung

Wir treten durch die vergrösserte Kopie eines im Original gezeigten antiken Wandschirms mit gemalten Büchern und Pflanzen in einen Tanzsaal und in die laute Welt des K-Pop. An einer Werkzeugwand blinken bunt und rhythmisch so genannte Light Sticks verschiedener Popgruppen, die bei Konzerten, statt Feuerzeuge wie einst oder Handylichter wie heute, zentral gesteuert werden können.

Vom Acker Gangnam aus Blick auf die Hyundai-Wohnsiedlung. Photo Jun Min Cho, courtesy Museum of Contemporary History of Korea

Mit Oppa Gangnam Style hat der Sänger PSY den koreanischen Pop 2012 globalisiert, ohne dass die Sozialsatire mitgereist wäre: Gangnam ist ein wohlhabender Stadtteil von Seoul, hochgezogen in dramatischem Tempo auf einer Brache, wo es auch Landwirtschaft gab, wie ein Schwarzweissfoto belegt. Der Songtext parodiert jene, die dem Luxus von Gangnam nacheifern.

Kyungah Ham: What you see is the unseen / Chandeliers for Five Cities © Kyungah Ham. Courtesy of the artist and Kukje Gallery. Foto: Chunho An

Korea, ein uraltes Königreich war von 1910 bis 1945 japanische Kolonie und wurde im kalten Krieg von den fünf Siegermächten geteilt. Die Künstlerin Ham Kyungah hat diese Trennung des koreanischen Volks in ein konzeptuelles Kunstwerk eingebracht: Fünf Kronleuchter hat die Künstlerin in Südkorea gebaut und mit Seidenstickereien, ausgeführt in Nordkorea, bespannt. Einer davon ist in der Ausstellung zu sehen: Der herabgestürzte Kronleuchter ist zugleich ein politisches Statement und ein schönes Objekt. Der Leuchter verkörpert den Entstehungsprozess: Den Kontakt zu den anonymen Stickerinnen in Nordkorea, deren 1000 Stunden Arbeit, die Angst dass die Gemeinschaftsarbeit auffliegt, die Bestechung von Zwischenhändlern, denn man kann nicht einfach ein Muster und Material aus Südkorea in den Norden senden, oder die fertig gestickten Teile in den Süden zurück.

Produktionslinie von Samsung-Fernsehern in den 1970er Jahren. Courtesy of the Samsung Innovation Museum

Während Nordkorea das Volk unterdrückt und der Diktator das Heil in der Aufrüstung sucht, erobert Südkorea die Welt mit wirtschaftlicher und kultureller Innovation. Technologie- und Exportförderung setzen schon unter der Militärdiktatur ein. In den späten 60er Jahren gab es genug Grundnahrungsmittel und Werkstoffe für technologische Entwicklung: Fernsehen für alle und ein Boom der Unterhaltungsindustrie folgten. Zu den olympischen Spielen 1988 war Südkorea ein demokratischer Staat. Einen Durchlauf dieser Gechichte zeigt die Ausstellung mit Fotos und Objekten aus Industrie und Gewerbe. Und mit einem Triumphbogen aus Monitoren von Nam June Paik: Fernsehen wird die Massenkultur prägen.

Ausstellungsansicht mit der Videoskulptur «Passage» von Nam June Paik © Museum Rietberg, Patrik Fuchs

Die Regierung investierte massiv in den technologischen Fortschritt. In Südkorea wurden der erste MP3-Player, das erste klappbare Mobiltelefon, der erste Touchscreen erfunden und massentauglich gemacht. Massiv gefördert wird in den Nullerjahren die Kultur und die Unterhaltungsindustrie. Die Folge: Populäre Serien erobern zunächst China und Asien, später die ganze Welt: Die Netflix-Serie Squid Game bricht im Lockdown alle Rekorde. Crash Landing on You, die erste Serie, die eine romantische Liebe zwischen Nord- und Südkorea erzählt, führt Hundertschaften von Wallfahrern aus Asien und Amerika für ein Selfie zum Steg in Iseltwald am Brienzersee, aufs Jungfraujoch und an weitere Drehorte in der Schweiz. Und aus dem oscarpreisgekrönten Film Parasite steht das berühmte Badezimmer als Nachbau im Museum Rietberg.

Eine Wand voll Handwerkszeug fürs Konzertpublikum © Museum Rietberg, Patrik Fuchs

Der Exportartikel K-Pop hat nach Asien und Amerika auch Europa und die Schweiz erreicht. Das durch Streaming angefixte Publikum wartet drauf und füllt Säle und Stadien. K-Pop-Gruppen sind kaum zu übertreffen, was Präzision in der Performance, in Styling und Choreographie angeht. Das sei mit der konfuzianischen Prägung der Gesellschaft erklärbar: Der Weg eines Teenagers ist sehr beschwerlich und voller Zuchtmeister, wenn er oder sie die erste Hürde, den Talentwettbewerb überhaupt schafft und von einem Produzenten gefördert wird.

Die Gruppe BoyNextDoor bei einem Festival in Japan 2024. Zu beachten: das koreanische Fingerherz, welches stilisiert das Ausstellungssignet ist. Foto: Wikicommons

Gangnam Style war unübersehbar, so dass auch ich den Hit kenne. Aber was ist aktueller K-Pop? Hier mein Eindruck nach einer Youtube-Session: Streetware, kurze Faltenjupes niedliche Kleidchen, bei Buben oft Kampfsportgestik, aber auch der süsse Junge ist beliebt, bei Mädels unerlässlich ist langes Haar in allen denkbaren Farben, das Ganze mit perfektem Gesang und vollendet choreographiertem Tanz vorgeführt. Makellos geschminkt sind alle, die Jungen und die Mädchen. Die Schönheitsindustrie, parallel ebenfalls ein Exportschlager, erwächst auch der konfuzianischen Tradition: Gepflegt aussehen ist wichtig, das kommt überall gut an.

Links: Der Moon Jar Dress, Blue by Minju Kim. Seoul, 2021 © Minju Kim, Photo Sangmi An. Rechts: Der antike Moon Jar (Mondkrug), ein Neuzugang im Museum Rietberg

Die Videos sind in einem Höllentempo geschnitten, sie erzählen Geschichten, die von der u20-Jugend spontan kapiert werden, den ü70-Alten jedoch rätselhaft bleiben, selbst wenn die Stücke englisch gesungen sind. Also im Rietberg dazulernen. Dafür hat das Museum Rietberg einen Dance Room eingerichtet, wo unter Anleitung von bekannten Choreografen K-Pop-Moves gelernt werden können. Mode ist ebenfalls ein Exportschlager des fernöstlichen Staats.

Saekdong designed von Darcygom. Photo Jihoon Jung courtesy Darcygom

Modedesigner stylen Popstars und kreieren neue Kleidung, ohne die Tradition zu vergessen: Der Hanbok, das bodenlange Frauengewand wird neu interpretiert, alte Seidenstoffe werden in modisch geschnittenen Hosen wiederbelebt. Wie wohl überall auf der Welt, sind die Stars Botschafter für Luxusmarken und engagieren sich offiziell nicht für politische Werbung, aber sehr wohl für das Klima, gegen Rassismus oder sie werden Unicef-Botschafter.

Die Begleitpublikation Hallyu! The Korean Wave. hg von Rosalie Kim, V&A Publishing, London 2022, liegt nur englisch vor, bietet jedoch einen umfassenden Einblick in das Thema. Das Museum Rietberg ist die einzige Institution auf dem europäischen Kontinent, welche diese Ausstellung zeigt.

Titelbild: Aespa ist eine südkoreanische Girlgroup der vierten K-Pop-Generation © SM Entertainment
Bis 17. August
Informationen zu Ihrem Besuch gibt es hier

 

Spenden

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, Sie zum Denken angeregt, gar herausgefordert hat, sind wir um Ihre Unterstützung sehr dankbar. Unsere Mitarbeiter:innen sind alle ehrenamtlich tätig.
Mit Ihrem Beitrag ermöglichen Sie uns, die Website laufend zu optimieren, Sie auf dem neusten Stand zu halten. Seniorweb dankt Ihnen herzlich.

IBAN CH15 0483 5099 1604 4100 0

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-