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Was weisse Haare und Weisheit gemeinsam haben

«Alt und (k)ein bisschen weise? Mythen und Fakten zur Altersweisheit» betitelte Pasqualina Perrig-Chiello ihren Vortrag, den letzten im Frühlingssemester 2025 der Seniorenuniversität Bern.

 

Sollen wir Seniorinnen und Senioren stolz sein auf unsere ‘Altersweisheit’ oder ist dieses Klischee so viel wert wie das von der lieben, strickenden Oma? Klischees vereinfachen die Welt, sind schnell gesagt, aber fast nie hinterfragt und auch nicht bewiesen. – Mit einem kleinen Schmunzeln begann die erfahrene Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello ihre Ausführungen.

Prof. em. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello, Psychologin und Psychotherapeutin. Sie lehrte und forschte lange an der Universität Bern. Seit kurzem unterstützt sie Seniorweb als Mitglied des Stiftungsrates.

Weisheit gilt seit Urzeiten als hoher Wert, in der griechischen Philosophie gar als Kardinaltugend. Sokrates (469 v.Chr.-399 v.Chr.), der zweifelnde Philosoph, fügte die Demut hinzu. Er sagte nämlich, weise sei, wer seine eigene Begrenztheit erkenne. Sophia, wie wir bei Platon und Aristoteles lesen, bedeutet nicht nur Wissen, sondern Streben nach Einsicht. Vorausgesetzt, wir führen ein massvolles Leben, erlangen wir durch Sophia unser Seelenheil.

Weisheit stärkt Charakter und Seele

Vom Heiligen Martin von Tours (um 316-397), dem Bischof, der voller Mitgefühl seinen Mantel mit einem Armen teilte, lernen wir, dass wir, um wirklich im Alter zu Weisheit zu gelangen, schon früh mit der Suche und der Pflege der Weisheit beginnen müssen. – Im Mittelalter erhält Weisheit eine religiöse Prägung.

Das neuere Verständnis fusst auf Immanuel Kant (1724-1804): Er erkennt Weisheit als eine Pflichteigenschaft des Menschen. Paul B. Baltes (1939-2006), drückt es etwas moderner aus: Weisheit, so definiert er, ist Expertenwissen in Bezug auf die fundamentalen Tatsachen des Lebens.

Büste des Sokrates, römische Kopie eines griechischen Originals, 1. Jahrhundert, Louvre, Paris (commons.wikimedia.org)

Nicht übersehen dürfen wir, dass Weisheit verschiedene Arten von Wissen umfassen kann, u.a. Faktenwissen und Erfahrungswissen – dazu gehören auch die Lebenserfahrungen. Weisheit verlangt zudem die Erkenntnis, dass verschiedene Kulturen bzw. Religionen unterschiedliche Werte hochhalten. Und stets sollte uns bewusst sein, dass alles, was uns begegnet, ein ungewisses Ende nehmen kann. Um das annehmen zu können, brauchen wir Gelassenheit.

Kurz gesagt: Weisheit ist eine zentrale menschliche Tugend. Die typischen Charakterstärken weiser Menschen sind Kreativität, Neugier, geistige Offenheit, Liebe zum Lernen sowie die Fähigkeit, die Perspektive anderer Menschen einzunehmen – d.h. Mitgefühl zu entwickeln.

Mythen und Fakten

Dass Weisheit sich nicht völlig eindeutig, sondern nur bedingt messen lässt, zeigt uns Perrig-Chiello an einigen Beispielen. In kollektiven Kulturen, verglichen mit individualistischen, wird Weisheit stärker gepflegt und höher geschätzt. Wir kennen die banale Aussage: «Weisheit kommt mit dem Alter» – und dann zeigt uns die Referentin eine Reihe Porträts alter Männer. Die erinnern uns an Phrasen über «alte weisse Männer» versus «alte weise Männer».

Machig Labdrön (1055-1149), tibetische Yogini, die auf dem Weg zu Weisheit hilft (commons.wikimedia.org)

Lange Jahre sah die Wissenschaft in statistischen Untersuchungen keinen Zusammenhang zwischen Weisheit und Alter. Neue Forschungen behaupten nun das Gegenteil. Pasqualina Perrig-Chiello merkt dazu an, dass die jungen Forschenden zuweilen ihrer Lust an der Entmystifizierung frönen, und folgert: Weisheit und Alter, das bleibt eine offene Frage, abhängig vom Messinstrument und von der Fragestellung. Nicht zu vernachlässigen ist die allseits anerkannte Tatsache, dass im Alter das psychische Wohlbefinden steigt.

Hildegard von Bingen. Eine der wenigen Frauen, denen allseits Weisheit zugesprochen wurde. Miniatur aus dem Rupertsberger Codex des Liber Scivias: Hildegard von Bingen empfängt eine göttliche Inspiration und gibt sie an ihren Schreiber weiter. (commons.wikimedia.org)

Weisheit ist keine Frage des Geschlechts, obwohl in der Geschichte «weibliche Weisheit» anders bewertet wurde als «männliche Weisheit». – Aber Hebammen (franz.: sages femmes) verhalfen früher allen Kindern ins Leben! Wahrsagerinnen, das Orakel von Delphi, Gesundheitskundige, Hexen, sie alle wurden um Rat gefragt, verehrt oder gefürchtet.

Feine Unterschiede zwischen Frauen und Männern lassen sich allerdings erkennen: Bei Untersuchungen zu Empathie werden bei Frauen bessere Werte als bei Männern festgestellt. Worauf sind die zurückzuführen, fragt sich die Schreibende, ist es eventuell eine Frage der Erziehung?

Ist Weisheit überhaupt erstrebenswert?

Sollten wir uns Weisheit als Ziel setzen? – Eine Frage, die ernsthaft oder humorvoll beantwortet werden kann, denken Sie an Curd Jürgens «60 und kein bisschen weise». Unser Verständnis von Weisheit ist assoziiert mit körperlicher, psychischer und kognitiver Gesundheit. Es herrscht wohl allgemeiner Konsens, dass Weisheit uns den Weg zum guten Leben zeigt, dass sie uns selbst nützt und den Umgang mit unseren Mitmenschen verbessert.

St. Martin in der Kirche Veules-les-Roses, 16. Jahrhundert (commons.wikimedia.org)

Mit zunehmendem Alter lernen wir, mit unseren Stärken und Schwächen effizienter umzugehen. – Ältere Frauen schneiden dabei besser ab als ältere Männer, und es scheint auch, dass Frauen eher bereit sind, ihre Lebensumstände etwas positiver einzuschätzen. Mit dem Alter wird unsere Wahrnehmung differenzierter und wir lernen, unsere Gefühle genauer auszudrücken. Hilfreich ist es, den Anspruch aufzugeben, alles unter Kontrolle halten zu wollen.

Kritische Lebensereignisse sind nicht einfach «Schicksalsschläge», sondern sie dienen als Katalysatoren zur Entwicklung von Weisheit. Mit dem Älterwerden lernen wir, Lebensumstände anzunehmen, statt zu hadern. Wir lernen, eigene Fehler zu erkennen; es gelingt uns besser zu akzeptieren, wenn es uns schlecht geht, und uns unserer Stärken bewusst zu werden. Empathie spielt dabei eine wichtige Rolle, wie schon erwähnt, sie kann zu einer vertieften Beschäftigung mit Spiritualität führen. Neue Möglichkeit der Lebensgestaltung zu erkennen und wahrzunehmen, bereichern diese Phase unseres Lebens.

Charakterstärken sind Altersstärken

Weisheit zeigt sich in der Fähigkeit, die eigenen Einstellungen und Verhaltensmuster zu reflektieren. – Das gelingt eher mit wachsender Lebenserfahrung. Es gilt ebenfalls für das Gleichgewicht von rationalem Handeln und Intuition. Mit zunehmendem Alter erkennen wir, dass Handeln in gewissen Momenten dem Abwarten vorzuziehen ist. Die passive Haltung «Das kommt dann schon» ist nur dann eine weisere Entscheidung, wenn wir das Kommende voraussehen. Dazu gehört auch, Spannungen oder Ungewissheiten aushalten zu können, auch wenn es uns im Alter nicht leichter erscheint als jungen Menschen.

Ganesha, der indische Gott der Weisheit (pixabay)

Im Alter können wir uns keine Oberflächlichkeit mehr leisten! Aber weiter lernen wollen, weiter kreativ sein, das erhält uns lebendig. Dazu gehört auch die Fähigkeit und manchmal der Mut zum Querdenken, sagt die Referentin.

«Nichts ist selbstverständlich», das anzunehmen verlangt eine offene, staunende Haltung allem Neuen gegenüber. Und schliesslich obliegt es uns Seniorinnen und Senioren, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, so lange wir noch aktiv sind, das eine oder andere zu schaffen, das uns überdauert. – Und wenn damit nichts als eine Erinnerung der Jüngeren an uns lebendig bleibt.

Um all diese klugen Bemerkungen aufnehmen zu können, empfiehlt uns Pasqualina Perrig-Chiello eine Prise Humor, mit einem Zitat von Loriot:  «Humorlose wirken älter. Der Humor erhält vielleicht nicht jung, aber wach.»

Alle Informationen zu den Angeboten der Seniorenuniversität Bern finden Sie auf der Webseite.
Pasqualina Perrig-Chiello
Auch anderen Schweizer Hochschulen sind Seniorenuniversitäten angegliedert.

Titelbild: Zwischen Buchseiten lässt sich vieles über Weisheit lesen – aber erfahren lässt sie sich nur im wirklichen Leben. (Foto:pixabay)

 

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4 Kommentare

  1. Sehr geehrte Frau Perrig, danke für den schönen Artikel, freue mich immer über die interessanten Artikeln vom Seniorenweb! Doch da frage ich mich: Weisheit zu unserer Zeit 2025……wird leider von vielen Jüngeren nicht mehr gefragt, geachtet, warum wohl: uns wird immer des Besseren Belehrt; sei es durch das Internet KI und unsere Leute um uns herum, sie zeigen uns wie man heute Zeitung liest wie man ein Natel benützt wie man Zugbillete einlösen wie man mit KI jede Frage gelöst bekommt! Früher war ich heilfroh über den guten Rat meiner Schwiegermutter, wenn ich nachfragte was ich tun soll die Kinder haben hohes Fieber oder wie flicke ich die Jeans meiner Kinder oder ein gutes Rezept…..heute werden die Grosseltern zum Hüten mit offenen Armen gebraucht, man sieht sich jede Woche was uns auch sehr erfreut, aber man fragt uns selten nach einem Rat….im Gegenteil, wir werden korrigiert, das Vieles sich geändert hat und man dies und das nicht mehr gleich macht und das man man sich alles aus dem Internet an Informationen holen kann, jedes Medi, jeden Rat etc.etc……also die alte Weissheit…..tragen wir nur noch in unserem INNEREN tragen es nicht heraus…geben selten etwas weiter, den kleinen Kindern ja gerne, solange sie nicht die Schule besuchen, aber dann nein sogar auf dem Tablet wird uns gezeigt, was heutzutage viel besser ist!!!!! Wenn wir mal nicht mehr Einkaufen können, kein Problem im Internet bestellen wird geliefert, wenn du mal nicht mehr Rasenmähen kannst kein Problem Roboter-Rasenmäher kaufen etc.etc. SMS anstatt telefonieren, und am Wochenende viel viel Sport, ja Vieles was ätere Menschen ab 75 vielleicht nicht mehr machen können, haben täglich Schmerzen oder so, und ja ich bin 77 habe einen guten Kontakt zu meinen Söhnen und hüte wochentlich, habe mein Humor nicht verloren, doch auch dieser hat sich verändert, die Jungen verstehen unser Humor nicht mehr!!!!Und meine Weisheiten braucht niemand, heute ist alles anders……..nicht mal einen Nachbar….der hat auch das Internet!! Wünsche Allen einen wunderschönen Tag, geniessen wir jeden Moment in der Natur denn die ist auch kostbar……wie lange noch……..freundliche Grüsse aus dem Seeland

  2. Nur eine kleine Korrektur: der Song stammt von Udo Jürgens, nicht Curd.
    Ich sehe mich sehr gut in Ihren Ausführungen, vielen Dank.

  3. Liebe Frau Pospischil
    «Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an» ist ein Lied von Udo Jürgens (Sänger und Entertainer) aus dem Jahr 1977. Davon war im Vortrag NICHT die Rede.
    Frau Prof. Perrig-Chiello zitierte in ihrem Vortrag Curd Jürgens (Schauspieler), der seine Autobiografie «… und kein bisschen weise» betitelte. (erschienen bei Droemer Knaur, München 1976)

  4. Wie immer ein Hoch-Vergnügen, etwas aus der Feder von Frau Professor Pasqualina Perrig-Chiello zu lesen. Gerne erinnere ich mich, an ihren Vortrag anlässlich der Exposenio März 2024 in Baden im Trafo-Saal! Wenn man sich ihre Worte nur besser merken könnte! Es gilt: Gehört, begeistert, genossen, vergessen. Genau um dieses Thema ging es: Gehirntraining im Alter! Sie hat ihre Zuhörer fasziniert, jedoch zur Heilung reichte es nicht. Den heutigen Beitrag habe ich mir erlaubt zu kopieren. Mit bestem Dank!

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