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Generationenmodell «Wohnen für Hilfe»

Jung und Alt leben unter einem Dach: Das ist die Grundidee von «Wohnen für Hilfe». So richtig Fuss fassen konnte dieses Generationenmodell in der Schweiz aber bislang noch nicht, abgesehen vom Kanton Zürich.

Eine ältere Person hat (zu)viel Platz in ihrem Haus und schätzt den Kontakt mit Jungen. Ein Student oder eine Studentin sucht ein Zimmer und ist froh, sich mit einer älteren Person austauschen zu können. Das sind gute Voraussetzungen für eine generationenübergreifende Wohnpartnerschaft, vor allem dann, wenn man sich persönlich auch noch sehr gut versteht.

Seinen Ursprung hat «Wohnen für Hilfe» Anfang der 1970er Jahre in den USA. Rund 20 Jahre später entstanden verschiedene Nachahmungen in Europa und auch in der Schweiz. Im Kern sieht dieses Projekt vor, dass die Studierenden keine Miete bezahlen, hingegen gewisse Leistungen erbringen, die individuell mit dem älteren Wohnpartner oder der Wohnpartnerin vereinbart werden. Das können Einkäufe oder kleinere Reparaturen sein, ebenso Begleitungen zu Veranstaltungen, Gartenarbeiten oder hie und da Kochen. Denkbar ist auch eine Unterstützung beim Gebrauch digitaler Medien oder die Begleitung zu kulturellen Anlässen, nicht jedoch pflegerische Leistungen. Für Menschen mit Demenz eignet sich diese Wohnform nicht.

35 Vereinbarungen in Zürich

Nach Angaben von Monica Flückiger, Abteilungsleiterin Marketing und Kommunikation sowie Mitglied der Geschäftsleitung von Pro Senectute Kanton Zürich, gibt es im Kanton Zürich aktuell 35 solcher bilateraler Wohnverhältnisse. Pro Jahr würden etwa 18 neue Vereinbarungen abgeschlossen. «Im Durchschnitt leben Jung und Alt ein bis drei Jahre zusammen». Um die geeigneten Charaktere zusammen zu bringen, gehe man beim vorgängigen «Matching» entsprechend sorgfältig vor. Vorteilhaft ist sicher, wenn gewisse Interessen und Wertvorstellungen einigermassen übereinstimmen.

Doch nicht jeder interessierte Kandidat oder Kandidatin, die sich bei Pro Senectute in Zürich melden, wird auch automatisch vermittelt. Studierende, welche bloss gratis wohnen wollen, werden nicht sonderlich geschätzt. Man müsse spüren, dass eine verbindliche Bereitschaft da sei, sich auch zu engagieren.

Ein Vertragswerk regelt wichtige Punkte. Als Faustregel gilt etwa, dass pro Quadratmeter Wohnraum eine Stunde Hilfe pro Monat geleistet wird. Auch Versicherungsfragen sind unter anderem Bestandteile dieses Papiers. Aufgrund rechtlicher Regelungen können nur Studierende aus der Schweiz und der EU berücksichtigt werden.

«Leben und Leben lassen»

Vor ein paar Jahren habe ich im Zürcher Oberland einmal ein solches Jung-Alt-Paar in einer Wohngemeinschaft kennengelernt, die beide einen äusserst zufriedenen Eindruck machten. Was braucht es eigentlich, damit ein solches Tandem gut harmoniert? «Leben und Leben lassen», lautete ihre Devise. Wenn man sich gut verstehe, gehe man auch nicht kleinlich mit dem anderen um und rechne jede Stunde an.

Die junge Frau von knapp 25 Jahren war froh, im teuren Kanton Zürich endlich ein Zimmer in einem Haus gefunden zu haben. Sie schätzte am 88-jährigen Senior unter anderem, dass sie mit ihm, manchmal noch mehr als mit Jungen, über gewisse Themen diskutieren und von seinen Erfahrungen profitieren konnte. Der ältere Herr wiederum liebte die Geselligkeit und wusste die Hilfe der jungen Frau ebenfalls sehr zu schätzen. Als ehemaliger Elektroingenieur hatte er zwar ein technisches Flair. «Aber wie ein Smartphone funktioniert, ist mir manchmal immer noch ein Rätsel.»

Toleranz unabdingbar

Das generationenübergreifende Wohnen bringt Generationen zusammen und eröffnet Jung und Alt neue Sichtweisen. «Damit das Zusammenleben gut funktioniert, braucht es allerdings Toleranz von beiden Seiten», betont Monica Flückiger. Probleme könne es geben, wenn die Vorstellungen manchmal auseinanderdrifteten. Die ältere Person wünsche sich zum Beispiel eine längere Anwesenheit der Studierenden. Oder der oder die Studentin fühle sich kontrolliert.

Abbrüche seien jedoch selten der Fall und wenn, habe das meist andere Gründe. «Manchmal brechen Studierende ihre Ausbildung ab, oder die private Situation ändert sich mit einer neuen Partnerschaft.»

Kaum populär an anderen Orten

Während diese neue Wohnform im Kanton Zürich einen gewissen Anklang findet, scheint es andernorts in der Schweiz zu harzen. Im Kanton Bern beispielsweise wurde das Projekt im Jahre 2018 gross angekündigt und sogar von einem Ausbau gesprochen. Die Stadt führte eine eigene Koordinationsstelle «Wohnen für Hilfe Bern» ein. Doch kaum ein Jahr später war Schluss. Auf der Homepage ist heute zu lesen: «Das Pilotprojekt Wohnen für Hilfe wurde Ende 2019 eingestellt. Obwohl das Projekt positiv aufgenommen wurde und zu Anfragen führte, kamen nur sehr wenige Vermittlungen zustande.»

Auch in Basel scheint es seit längerer Zeit nicht mehr vorwärtszugehen. 1990 hatte der Verein «Zimmerbörse» und sein Rechtsnachfolger, der «Verein für Studentisches Wohnen» Studierende im Raum Basel an private Vermieter – sogenannte «Schlummermütter» oder «Schlummerväter» vermittelt. Dieses Modell sollte später zusammen unter anderem mit dem Kanton Basel-Stadt und diversen Gemeinden «erheblich» ausgebaut werden. Doch die aktuellste Meldung über «Wohnen für Hilfe» im Netz stammt aus dem Jahre 2016. Was in der Theorie einfach und gut klingt und auch Sinn macht, ist in der Praxis eben nicht immer so leicht umsetzbar.

Gründe für Zurückhaltung

Erfahrungen im Ausland haben gezeigt, dass Seniorinnen und Senioren nach einer längeren Zeit des Alleinlebens manchmal Mühe bekunden, ihre Privatsphäre mit einer fremden Person zu teilen. Wie in jeder WG gibt es zudem Konfliktpotenzial, etwa bei Themen wie Musik (Lärmpegel!), Sauberkeit oder die Häufigkeit von Besuchen.

Wenn die Chemie aber stimmt und sich Probleme in gutem Einvernehmen lösen lassen, kann das Zusammenleben unterschiedlicher Generationen eine sehr wertvolle Erfahrung mit schönen Erlebnissen für Jung und Alt sein.

Kontakt

Erste Informationen sowie je ein Fragebogen für Wohnraumanbietende und Wohnraumsuchende im Kanton Zürich sind online unter www.pszh.ch/wfh abrufbar. Telefonischer Kontakt: 058 451 50 26.

Fotos: Stefan Müller

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2 Kommentare

  1. Liebes seniorweb-Team
    Herzlichen Dank, dass ihr auf dieses wichtige und innovative Projekt aufmerksam macht!
    Eine kleine Ergänzung unsererseits: Auch in der Westschweiz findet dieses Generationenmodell Anklang – zum Beispiel mit Projekten wie Elderli (https://intergeneration.ch/de/projekte/elderli-la-colocation-intergenerationnelle-innovante-de/) oder 1h par m² (https://intergeneration.ch/de/projekte/1h-par-m2-une-etudiante-sous-mon-toit/) in Genf.

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