Ja, ich verstehe. Es gibt Wörter, die heute kaum mehr gebraucht werden. Wie sollten da junge Journalisten noch den Rank finden? Vielleicht kommen gewisse Ausdrücke jetzt, wo wir bereits anfangs Juli über die Sommerhitze stöhnen, wieder in Mode. «Pflanzen, die dörr aussehen, haben viel zu wenig Wasser bekommen» ist so ein Beispiel. Die Dörranlagen, die in vielen Gemeinden zum festen Bestand der Infrastruktur gehörten – dahin brachten die Gartenbesitzerinnen ihre Bohnen, Apfelringli oder halbierten Birnen, ja eben, zum Dörren – werden allenthalben geschlossen. Rentieren nicht mehr, heute wird eingefroren.
Wenn die Ernte aus dem Garten dann aber in den grossen Anlagen gedörrt war, dann waren die Produkte – dürr. So, wie die Pflanzen, die nicht gegossen werden. Dass es auch Menschen gibt, die dürr sind, heisst allerdings nicht, dass sie gedörrt wurden oder verdurstet sind …
Bleiben wir bei der Hitze: «Etwas temperierter drückte sich der nächste Redner aus …» Offenbar war er nicht so heissblütig wie seine Vorrednerinnen, hatte vielleicht auch nicht so viel Temperament – oder der/die Schreibende hat etwas Mühe mit Fremdwörtern. Prononcierter, moderater oder gemässigter wären Vorschläge, die nicht von der Aussentemperatur abhängig sind und mit denen man sich am Rednerpult nicht blamiert.
Denn allzu heissblütig sollte nicht debattiert werden. Sonst: «Diese Politik hat viele vor den Kopf geschlagen». Also anständig wäre so eine Diskussion nicht. Man schlägt doch keinen vor den Kopf, auf den Kopf auch nicht, an den Kopf noch weniger – das wäre ja eine Ohrfeige! Und später in der Presse eine Schlagzeile. Aber vor den Kopf stossen, das kann ein Votum natürlich schon. Und das tut nicht weh.
Aber vielleicht wäre ja so ein politischer Schlagabtausch noch spannend? «Die Faszination nahm die Bevölkerung in Bann» heisst es dann in der Zeitung. Ja, gebannt schauten die die Leute dieser Faszination wohl schon zu – wo die wohl war? An der Wand, ganz weit oben, glänzend oder farbig? – aber wahrscheinlich wurde das Publikum in Bann gezogen und nicht genommen. Ist ein kleiner Unterschied. Ziehen und nehmen sind zwei Paar Stiefel. Diese kann man anziehen oder in der Tasche mitnehmen. Tee kann ziehen, bevor man ihn zu sich nimmt. Und in der Lotterie muss man zuerst ein Los ziehen, bevor man den Hauptgewinn mit sich nach Hause nehmen kann. Ich bin sicher, Ihnen kommen noch mehr Beispiele in den Sinn.