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Zur Philosophie des Fussballs

Fussball fasziniert die Menschen und lockt sie auf die Zuschauerränge. Ich selber bin inzwischen ein Fernseh-Fussball-Liebhaber, kein euphorischer, freute mich aber sehr am Spiel der Schweizerinnen. Letzthin begegnete ich einem Bekannten und wollte mit ihm über Fussball sprechen und er sagte, es interessiere ihn nicht. Nun möchte ich ihm begründen, warum das Spiel Millionen Menschen zu begeistern vermag. Es sind Grundphänomene* des Daseins, die das Spiel prägen.

Der Mensch ist ein homo ludens, ein spielerisches Wesen. Das Spielerische macht ihn lebendig. Er ist nie so sehr Mensch, wie wenn er spielt, sagt Friedrich Schiller. Im intelligenten Spiel kann sich seine Phantasie entfalten. Mannschaften, die das Spielerische pflegen, wie etwa die Spanierinnen, entfachen Begeisterung.

Ein Spiel ohne Kampfgeist verdient Kritik. Ohne Kampf gelingt es selten, ein befriedigendes Resultat zu erlangen. Wenn sich das Spielerische mit dem Kämpferischen verbindet, fasziniert der Fussball.

Zum Spiel gehört auch Taktik. Diese muss hart erarbeitet werden. Das bedeutet strenges Üben und wieder Üben. Geniale Fussballer, denen scheinbar alles gelingt, haben von klein auf leidenschaftlich trainiert, so dass sie sich jeder Taktik anpassen können.

Ein weiteres Element ist die Liebe zum Spiel. Es ist das soziale Element. Ein Fussballspiel, in dem die Mannschaft nicht zusammenhält, gelingt nicht. Ohne dass einer für alle und alle für einen kämpfen, erreicht die Mannschaft als Gesamtes nicht den gewünschten Erfolg. Das individuelle Können muss im Dienst der ganzen Mannschaft stehen.

Das Spiel verlangt zudem die Fähigkeit zu leiden und wenn nötig, einem Ersatzspielerin Platz zu machen. Es ist wie Stirb und Werde**. Die Spielerin wird ausgewechselt, muss das Leid ertragen und darf nicht resignieren.

Diese fünf Grundphänomene zeichnen das gute Fussballspiel aus. Vielleicht fasziniert das Spiel, weil diese Elemente unbewusst auch sonst für ein erfolgreiches Leben zählen. Beim Fussball steht über allem das Spielerische. Es gibt dem Spiel die besondere Würze. Mannschaften, die den Kampf dem Spielerischen vorziehen, können siegen, aber die Freude des Zuschauens ist geringer, wenn es an Spielwitz und Spielfreude fehlt.

Wenn ich mir ein Urteil zu den Spielen im gegenwärtigen Wettkampf erlauben darf, erlebte ich die Spanierinnen als die Spielfreudigsten. Sie verfolgten eine besondere Strategie, sie rücken gruppenweise vor. Keine Spielerin wartete auf ihrem Posten einfach auf den Ball. Sie waren immer anspielbar. Diese Taktik verfolgten auch die Schweizerinnen und begeisterten. Sie demonstrierten sie am schönsten in der ersten Halbzeit gegen Norwegen und zeigten, was in ihnen steckt. So spielten sie auch gegen die Spanierinnen. Sie waren nur leider nicht ganz so wendig und schnell wie jene.

Die Strategie der beiden Mannschaften nenne ich Schwarmtaktik. Die Taktik des stehenden Wartens auf den Ball führt zu Weitschüssen und dauernden Ballverlusten und hemmt den Spielfluss. Dass die Spanierinnen den Schweizerinnen nach dem hart erkämpften Sieg am Schluss aus Respekt eine Gasse wie für ein Hochzeitspaar bildeten, zeigt, dass sie ihnen Respekt für ihre kämpferische Gegenwehr zollten.

* Eugen Fink: Grundphänomene des Daseins. Freiburg 1979.

**Johann Wolfgang Goethe im Gedicht «Selige Sehnsucht»: Und so lang du das nicht hast / Dieses: Stirb und Werde! / Bist du nur ein trüber Gast / Auf der dunklen Erde.

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3 Kommentare

  1. Nachwort «Zur Philosophie des Fussballs» von Andreas Iten

    Dass im Seniorweb ein Ereignis, das die einen zwar nicht interessiert, Millionen andere, junge und alte, Männer und vor allem Frauen begeistert, mit einer Kolumne kommentiert, hat mich erfreut. Dies nicht in der Form des Sportjournalismus, sondern mit dem Anspruch, etwas Fundamentales «Zur Philosophie des Fussballs» beizutragen, hat mich doppelt gefreut.

    Denn was Andreas Iten in seiner Kolumne schreibt, ist verwandt mit der mehrheitlich französischen Literatur, die den Alltag, d.h. alle Tage, ernst nimmt und nach seinen Tiefen und Gründen befragt. Vielleicht stösst er dem einen oder der anderen vor den Kopf, hilft wiederum anderen, Neues davon zu erfahren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dafür danke ich Andreas.

    PS: das Ereignis

    Was in den letzten Wochen im Rahmen der Europameisterschaft des Frauenfussballs sich ereignet hat, war für mich ein exzeptionelles Highlight, waren nicht einfach Fussballspiele, sondern mehr, viel mehr. Was hat so viele Millionen Menschen zum Feiern zusammengeführt? Wir haben gewartet, uns vorausgefreut, gefiebert, gelitten, gejubelt, die Spiele der Kommunikation und der Eleganz, der Schönheit und der Kraft, des Staunens und des Jubelns erlebt und genossen. Wofür Menschen im Hintergrund gearbeitet haben, bis die unerwartet grosse, rundum gelungenen Fussball-Europameisterschaft der Frauen Wirklichkeit wurde. Es war ein «Ereignis»! Zusätzlich zu den in der Kolumne herausgearbeiteten Eigenschaften als «Grundphänomen des Daseins».

    Den Text von Andreas ergänze ich mit dem obigen PS zum «Ereignis»und den nachfolgend 2 Fussnoten.

    Fussnote 1: Ähnlich können wir auch nach dem ESC, dem Euro Song Contest, sinnieren und weiterdenken, was ich gemacht habe. Auch hier hat sich etwas ereignet, das zwar vielen naserümpfend missfiel, Millionen und Milliarden von Menschen jedoch bewegte. Nach dessen Grund und Wert nachzufragen lohnt sich in meinen Augen. In meiner Besprechung des Films »One To One: John & Yoko» habe ich es versucht.

    Fussnote 2: Diese kommt aus meinem Innersten und erschüttert mich gleichzeitig zutiefst: Ich denke, wir können, dürfen, sollen uns freuen und das Leben feiern bei diesen beiden Ereignissen: der Fussball-Europameisterschaft der Frauen und dem Eurovision Song Contest ̶ obwohl oder vielleicht gerade weil wir in unserer Welt so ungeheuer viel Leiden, Trauer, Hunger, Durst, Chaos, Wertezerfall und Verzweiflung erleben, geschaffen von bodenlosen Idioten, machtbesessenen Männern, blinden Nachläufern. Wenn wir feiern, dann verdrängen und leugnen wir es nicht, dass die Welt zugleich wunderbar und furchtbar ist! Ich weiss, dass mein Vorschlag sich nicht als Abschluss eignet, doch vielleicht als Anfang: zum Weiter-Denken, Weiter-Hoffen, Weiter-Handeln…

    • Ganz sicher Herr Stalder, wir müssen weiter denken. Der ESC hat uns gezeigt, wie vielfältig und kreativ wir Menschen sind und dass es unser Leben bereichert und unseren Horizont erweitert.
      Die Europameisterschaft 2025 des Frauenfussballs wird in die Geschichte eingehen, weil Frauen den Beweis lieferten, dass Fussball keine «Männersache» sein muss. Die Fussballerinnen haben mit ihrem Spiel Freudenstürme im Publikum ausgelöst, weil es um lustvolles Spielen und Solidarität unter einander und mit dem Publikum ging und nicht nur ums Gewinnen. Die Macht des Geldes hinter solchen grossen Sportanlässen jedoch bleibt wohl noch länger in Männerhand und das ist die Schattenseite des Fussballs.

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