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Angst vor Würdeverlust

Wer möchte nicht in Würde altern? Woher kommt die Angst vor einem Würdeverlust im hohen Alter? Was bedeutet «Würde» überhaupt? Darüber referierte letzte Woche Heinz Rüegger an der Veranstaltung «Würdevoll leben – auch im fragilen Alter» an der ZHAW in Winterthur.

Nach Heinz Rüegger kann bei hochaltrigen Menschen Angst vor Würdeverlust aufsteigen, wenn sie an Selbständigkeit und Selbstbestimmung verlieren, von fremder Hilfe abhängig werden, gebrechlich oder dement werden oder wenn sie ihren sozialen Status und ihre gesellschaftliche Rolle verlieren. Um diese Angst zu verstehen, schlägt Rüegger vor, vier Bedeutungen von Würde zu unterscheiden:

  1. Menschenwürde im Alter

Nach Artikel 1 der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen» von 1948 sind «alle Menschen gleich an Würde und Rechten geboren.» Darauf basieren die Menschenrechte, die allen Menschen zustehen. Auch die Schweizerische Bundesverfassung hält in Art. 7 fest. «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.» Dieses normative Verständnis von Würde gilt unbedingt für alle Menschen, ist unverlierbar und muss nicht durch irgendwelche Leistungen verdient werden.

So gesehen können auch hochbetagten Menschen ihre Würde nicht verlieren, weder durch starke physische Beeinträchtigungen, Demenz oder andere «Mängel». Es besteht so gesehen kein Grund zur Angst, da jeder Mensch, dadurch dass er Mensch ist, diese Würde nicht verlieren kann und auch nichts dafür tun muss, um sie zu erhalten.

Heinz Rüegger während seines Referats (Foto bs)

2. Würdige Behandlung alter Menschen

Aus dem normativen Würdebegriff folgt, dass Leib und Leben eines jeden Menschen geschützt sind und alle Menschenrechte für sie gelten. Doch wenn physische und geistige Kräfte im Alter abnehmen, können Zweifel aufkommen, ob man bei Pflegebedürftigkeit als «Pflegefall» oder als Mensch würdevoll behandelt wird.

Erlauben die gesellschaftlichen und pflegerischen Rahmenbedingungen einen würdevollen Umgang mit Pflegebedürftigen? Wenn nicht, ist diese Angst berechtigt und es muss gesamtgesellschaftlich und vor Ort das Nötige getan werden, dass weder Altersdiskriminierung, Vernachlässigung oder Respektlosigkeit Raum greifen können, wenn jemand Hilfe braucht. Ist der Zugang zu sinnvollen Therapien und Pflege-/Betreuungsangeboten gewährleistet? Werden gebrechliche Menschen unter Wahrung grösstmöglicher Selbstbestimmung mit Verständnis, Empathie und Geduld begleitet und gestärkt?

  1. Würde im Alter durch Lebenskunst

Neben der jedem Menschen zukommenden Würde kann im Alter eine spezielle Alterswürde erworben werden, etwa wenn sich Hochbetagte durch Altersweisheit auszeichnen, indem sie überlegt urteilen und Rat wissen, wenn sie gelassen mit Widerfahrnissen des Alterns umgehen und die Endlichkeit bejahen, wenn sie auch bei Altersleiden jeden Tag noch mit Sinn und Lebensfreude bereichern, wenn sie Hilfe zulassen, wenn sie ein weites, liebendes Herz haben, wenn sie ihr manchmal auch schwieriges Leben dankbar beenden können.

  1. Würde als Übereinstimmung mit eigenen Idealvorstellungen

Einige haben Angst, ihren eigenen Ansprüchen an ein gelingendes Leben nicht genügen zu können, andere jammern bei zunehmender Pflegebedürftigkeit, Kräfte- und Kontrollverlust, andere werden wütend, enttäuscht oder depressiv. Sie sind entmutigt, wenn sie sehen, dass sie ihren eigenen Vorstellungen von sich selbst nicht genügen und hadern mit sich … und der Welt. Das Schicksal habe es nicht gut gemeint mit ihnen, klagen sie vielleicht.

Diskrepanzen zwischen Idealvorstellungen und aktueller Situation müssen akzeptiert werden. (Foto aus Pixabay)

Da hilft es, die Diskrepanz zwischen der aktuellen Situation und seinen Idealvorstellungen auszuhalten und zu akzeptieren, etwa indem ein narzisstischer  Kern der Idealvorstellungen entlarvt wird. Es hilft, gelassen auch Unvollkommenheiten anzunehmen, Idealvorstellungen  sein zu lassen, sich in seiner Realität und Lebenssituation zu bejahen und Verletzlichkeit und Sterblichkeit anzunehmen. Denn auch das gehört zum menschlichen Leben und ist nicht entwürdigend.

Fazit

Heinz Rüegger schlägt vor, Würde im Alter ernst zu nehmen und im Umgang mit andern und mit sich selbst die vier Perspektiven von Würde zu unterscheiden und auf deren spezielle Bedeutung grundsätzlich und im Alltag zu achten.

Titelbild: Ältere Frau auf der Suche nach sich selbst und der Welt (Foto von pixabay)

Dr. Heinz Rüegger MAE hat Theologe und Ethik studiert, ist  freier Mitarbeiter im Institut Neumünster (Zollikerberg) und assoziiertes Mitglied des Zentrums für Gerontologie der Universität Zürich. Ethische Herausforderungen in der Pflege und Betreuung im Alter erläutert Heinz Rüegger in der Broschüre «Würde und Autonomie im Alter

 

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5 Kommentare

  1. In diesem Zusammenhang kann ich den Film «Tereza, o ultimo Azul» allen empfehlen. In Bern läuft er im Rex-Kino.
    Tereza muss ins Altersheim, das von der Regierung ab 75 für alle obligatorisch ist. (Brasilien als Zukunftslabor für alte Leute) Wie sich die Arbeiterin Tereza zu wehren weiss, ist amüsant aber auch denkwürdig. Mir hat der Film sehr gefallen: realistisch was das Umfeld Terezas betrifft, am Anfang des Films, dann aber ins absurde, phantasievolle und positive umgedeutet werden kann. Sehenswert.

  2. Menschenwürdiges Leben im Alter? Eine Selbstverständlichkeit, nicht wahr? Leider zeigt die menschliche Entwicklung in Gesellschaft und Politik in eine andere Richtung. Grenzen werden hüben wie drüben immer mehr verletzt und das Zusammenleben wird schwieriger, der Umgangston wird rauher.
    Eigentlich kennen wir das ja seit Jahren, nur wer attraktiv, produktiv und angepasst ist, hat Erfolg. Umso wichtiger scheint mir, bei sich selbst anzufangen. Wie rede ich über andere? Mit welchen Worten und welchem Verhalten setze ich mich gegen Widerstände durch? Entspricht das noch meinen eigenen Vorstellungen und den Erwartungen anderen gegenüber? Der erwähnte Film über Tereza ist ein mögliches Szenario wie wir Alten unser Denken und Handeln reformieren können.

  3. Liselotte Lüscher VASOS: Punkt drei funktioniert grösstenteils nur, wenn die Leute nicht allein oder einsam sind.

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