StartseiteMagazinKulturBrüche hinter schillernden Fassaden

Brüche hinter schillernden Fassaden

Malaysia vor ca. hundert Jahren, ein tropisches Paradies und ein Vielvölkerstaat unter englischer Kolonialherrschaft. Auf diesem Hintergrund entwickelt Tan Twan Eng seinen Roman «Das Haus der Türen», das Bild einer humanen, aber zerbröckelnden Gesellschaft.

Ein üppiger Garten rund ums Haus, ein paar Schritte zum breiten, wenig besuchten Strand, so leben Lesley und Robert Hamlyn mit ihren zwei Söhnen auf Penang, einer grossen Insel direkt vor dem malaiischen Festland, ein gutes Stück nördlich von Kuala Lumpur. Lesley spielt Klavier und zeichnet gern. Mit ihrem Spiel ist sie als junge Frau dem deutlich älteren Robert aufgefallen. Robert ist Anwalt, hat in London studiert und dort den im 20. Jahrhundert verehrten Schriftsteller William Somerset Maugham (1874-1965) kennengelernt, dessen Werke auch im deutschen Sprachraum geschätzt wurden. Robert hat den reiselustigen Maugham in sein Haus eingeladen, wo dieser mit seinem Begleiter Gerald zwei Wochen verbringen wird.

Der Roman ist weitgehend Fiktion, ausser dem Engländer kommt Sun Yat-sen (1866-1925) nach Penang, chinesischer Revolutionär, dessen Bewegung Jahrzehnte später von Mao Tse-tung gestürzt und vertrieben wurde. Sun Yat-sen gilt als Gründer des modernen China, das in dieser Form nur noch auf Taiwan besteht. In Penang sammelt er hauptsächlich Spenden für seinen Kampf gegen das brüchige alte chinesische Kaiserreich.

Der Staat Malaysia entstand erst 1953, nach dem Ende der englischen Kolonialherrschaft. Der vorliegende Roman spielt im Jahre 1921 mit einem entscheidenden Kapitel, das einen zehn Jahre alten Gerichtsfall behandelt, und mit einem Prolog und Epilog aus dem Jahre 1947, ein raffinierter Aufbau, wie wir beim Lesen feststellen.

Die Schreibende kann es nicht leugnen: Dieses Buch bietet Lesegenuss pur. Ein raffiniert gestalteter Roman, fein gezeichnete Charaktere und klug ausgewählte Episoden aus der englischen Kolonialzeit in Südostasien – der Blick geht über das eigentliche Sultanat Malaya hinaus, schaut zum zerbrechenden chinesischen Kaiserreich, denn in Südasien, d.h. auch in Malaysia lebten damals viele Chinesen, Strait-Chinesen oder Baba-Nyonya genannt. Es waren Familien, deren Väter als Arbeiter nach Malaya gekommen waren und einheimische Frauen geheiratet hatten.

Hibiscus gilt in Malaysia als die «Nationalblüte».

Auch der Autor (geb. 1970) stammt aus Malaysia, aus Penang, studierte Jura in England, wo er anschliessend lange als Anwalt lebte. Der vorliegende Roman ist sein dritter, dieser und die vorherigen waren für die wichtigste englische Auszeichnung, den Booker Prize, nominiert. Tan Twan Eng lebt in Malaysia und teils in Südafrika. – Wie Lesley und Robert Hamlyn! Wir erfahren es schon im Prolog: Aus gesundheitlichen Gründen – Robert verträgt das feucht-heisse Klima nicht – zieht das Ehepaar in die trockene Steppe von Südafrika, wo ein Cousin ihnen ein Haus zur Verfügung stellt. Lesley hat sich lange gegen diesen Umzug gewehrt – sie liebt die Tropen. Nach der Abreise von Somerset Maugham ist ihr bewusst geworden, dass sich die Fäden, die sie in Penang gehalten hatten, aufgelöst haben und ebenso ihre Vorbehalte verschwunden sind.

Sie findet zu dieser Haltung, denn sie hat sich bewusst gemacht, was ihr im Innersten wichtig ist: Loyalität ihrer Familie und sich selbst gegenüber. Dazu hat ihr Somerset Maugham verholfen mit seinem Wunsch, Lesley möge ihm vom Leben in Penang erzählen. – Schon zu Lebzeiten des Engländers wussten alle seine Bekannten und Freunde, dass er Geschichten, die er erfuhr, in seine Erzählungen aufnahm, und dabei wohl meistens darauf achtete, dass nichts Anstössiges erwähnt wurde. Somerset Maugham liebte das Reisen und die Begegnungen mit Menschen, aber er suchte keine Skandale.

Wer übrigens diesen Schriftsteller gut kennt, wird die Hamlyns in einer seiner Erzählungen wiederfinden. Somerset Maugham benutzt ebenfalls einen Gerichtsfall, einen Mordprozess, als Gegenstand, der 1911 in Kuala Lumpur stattfand. Schockierend, dass ein Mitglied der besten Gesellschaft angeklagt wird, schockierender noch die Hintergründe. Davon erzählt ihm Lesley, die damals als Zeugin teilnehmen musste, denn des Mordes angeklagt war ihre beste Freundin. Im Nachwort erklärt Tan Twan Eng, dass er diesen Prozess um ein Jahr vorverlegt hat, «um ihn mit Sun Yat-sens längerem Aufenthalt zusammenfallen zu lassen.»

Die englische Gesellschaft wünscht keine Skandale

Lassen Sie sich nicht verwirren von diesem scheinbaren Durcheinander der Personen: Wir können es als listigen Trick von Tan Twan Eng nehmen, dass er neben historischen Personen auch Romanfiguren von Somerset Maugham einführt, diese bleiben literarische Figuren, wo immer sie erscheinen mögen.

Der Roman ist aus der Perspektive von Lesley erzählt. Nach dem Prolog folgen abwechselnd je ein Kapitel über Somerset Maugham, in der dritten Person geschrieben, und ein Kapitel, in dem Lesley selbst spricht. Diese scheinbar formale Kargheit reicht aus, um das ganze Spektrum der hauptsächlich kolonialen Gesellschaft und (teilweise) der chinesischen Minderheit auszubreiten.

Türen zwischen offenen und versteckten Beziehungen

Lesley ist nämlich von Sun Yat-sen fasziniert und wird im Verein seiner Unterstützer mitwirken. Dass sich daraus eine sentimentale Affäre entwickelt, beschreibt Tan Twan Eng sehr subtil. Der Titel «Das Haus der Türen» symbolisiert diesen Erzählstrang. Es ist nicht die einzige Episode, in der sich Brüche zwischen Menschen zeigen, zugleich Anzeichen des langsamen Zerbröckelns der Kolonialgesellschaft.

Die Kunst des Autors, stimmungsvoll zu erzählen, zeigt sich in vielen Szenen. Da lassen sich Somerset Maugham und Robert auf den Aussichtsberg der Insel tragen – in einem Korb, getragen von ächzenden und schwitzenden Männern! Zwei Männer in der Natur, sie bleiben jedoch nüchtern, nehmen den Luxustransport als selbstverständlich hin.

Eine andere Szene: Am Abschiedsabend sieht Lesley auf dem Meer bunte, flackernde Lichter. Sie führt Somerset Maugham an den Strand, lässt alle Kleider fallen, der zögernde Schriftsteller tut es ihr nach. Dann erleben sie im Wasser einen atemberaubenden Tanz farbig leuchtender Algen. Ein einmaliges, ästhetisches Phänomen, wunderbar beschrieben, ohne jegliche Anzüglichkeit.

Tan Twan Eng: Das Haus der Türen. Übersetzung: Michaela Grabinger.
DuMont Verlag, Köln 2025; 351 Seiten. ISBN 9783755800187

Alle Fotos: Stimmungen in und um Penang (Malaysia) / pixabay.com

 

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