Am Jubiläumsanlass der Vasos zum Thema «Das Alter neu denken» hielt der bekannte Altersforscher François Höpflinger einen rege diskutierten Vortrag. Die Präsidentin von Vasos, Bea Heim, berichtete bereits darüber. Seniorweb fragt nach.
Für François Höpflinger ist die bisherige Alterspolitik mit den Schwerpunkten Altersvorsorge und Pflegerischer Versorgung im Alter reformbedürftig. Denn die Armutsraten im Rentenalter wurden nicht reduziert (Einkommensschwache Altersrentnerinnen und -rentner im Jahre 1982 15%, im Jahre 2023 16%.). Und die pflegerische Versorgung in Alters- und Pflegeheimen wurde zwar ergänzt durch vermehrte ambulante Spitexdienste. Aber es herrscht zunehmend Personalmangel, so dass eine medizinische Betreuung unter Zeitdruck leidet, wodurch eine gute Beziehungsqualität zwischen Betreuenden und Betreuten immer wieder gefährdet wird und die Pflegequalität nicht immer dem entspricht, was bei besseren Rahmenbedingungen möglich wäre.
Erfreulich ist die längere gesunde Lebenserwartung und die hohe Aktivität von pensionierten Personen in den letzten Jahren. Nach Höpflinger beträgt der Marktwert der Freiwilligenarbeit von Pensionierten schätzungsweise 5-6 Mrd. Franken jährlich und 6-7 Mrd. Franken zusätzlich für die Enkelkinderbetreuung.
Ein gutes Leben im Alter sollte nach Höpflinger auf fünf Säulen stehen: Wirtschaftliche Sicherheit, gutes Gesundheitssystem und verbesserte Gesundheitsförderung, soziale Integration durch gute soziale Netzwerke, Offenheit für Neues und für nachkommende Generationen, selbstverantwortliches gesundes Verhalten.
Wer soll wieviel am Bau und Erhalt dieser Säulen beitragen? Nach Höpflinger sollten Ältere aufgrund ihres Alters weder diskriminiert noch privilegiert werden, aber deren Kompetenzen sind zum Wohl aller besser zu nutzen. Höpflinger macht dazu einige interessante Vorschläge, Seniorweb fragt nach:
Seniorweb: Um Kompetenzen im Alter zu fördern, fordern Sie eine nachberufliche Bildungs- und Weiterbildungspolitik. Wie stellen Sie sich das vor?
François Höpflinger: Eine bessere finanzielle Unterstützung der Seniorenuniversitäten und Volkshochschulen ist sinnvoll, weil damit vorhandene Angebote gestärkt werden. Zusätzlich könnten Bildungsgutscheine – eventuell finanziert über die AHV – die Teilnahme auch ärmerer Menschen an Bildungsangeboten erhöhen. Bildungsgutscheine würden zusätzlich auch Bildungsangebote von Senioren selbst stimulieren (etwa bezüglich gesundheitlicher Selbsthilfe, alltagspraktische Hinweise usw.).
Blick auf die Website der Volkshochschulen (VHS) der Schweiz mit einem reichhaltigen Angebot (Foto bs)
Soziale Kontakte sollen im Alter gefördert und Massnahmen gegen die Einsamkeit ergriffen werden. Genügen die vielen Vereine, Verwandtschafts- und Nachbarschaftskontakte und gesellschaftliche Aktivitäten im Quartier nicht?
Die Schweiz ist ein Land der Vereine und viele Gemeinden weisen gute Aktivitäten auf. Davon profitieren vor allem die gesunden und aktiven Rentner und Rentnerinnen. Lücken zeigen sich primär bei vulnerablen und sozial isolierten älteren und alten Menschen. Diese Menschen müssen gezielt angesprochen und begleitet werden. Freiwillige können hier beitragen, aber sie brauchen fachliche Unterstützung (etwa durch langfristig angestellte Altersbeauftragte). Soziale Kontakte – in der Nachbarschaft, im Quartier – langfristig zu pflegen, ist am ehesten möglich, wenn es sowohl genügend günstige Treffpunkte gibt als auch genügend finanziell entschädigte Sozialbegleiterinnen eingesetzt werden können.
Ältere sollen moderne Technologien etwa im Haushalt und digitale Kommunikationsformen vermehrt nutzen. Fehlt es da nicht oft an Geld und Know-how?
Die grosse Mehrheit der heutigen älteren Frauen und Männer nutzen die digitalen Kommunikationsformen. Lücken zeigen sich primär bei bildungsfernen Personen sowie bei Menschen mit wenig Geld. Wohlhabendere Rentner und Rentnerinnen nutzen zunehmend digitale Haushaltstechnologien, aber von dieser Entwicklung sind einkommensschwächere Personen ausgeschlossen. Die digitale Kluft verläuft immer weniger zwischen Jung und Alt als zwischen Reich und Arm.
Wie kann verhindert werden, dass Armut sich intergenerationell fortsetzt?
Eine zentrale Strategie, um Weitergabe von Armut über Generationen zu verhindern ist eine gezielte finanzielle Sicherung von Kindern. Aus meiner Sicht wünschenswert wäre eine Ausdehnung des Prinzips der Ergänzungsleistungen auf minderjährige Kinder (die dadurch nicht oder weniger durch Armut ihrer Eltern leiden würden). Gleiche Bildungschancen unabhängig von der finanziellen und sozialen Lage sind ebenfalls zentral (und in der Schweiz haben bis heute Kinder aus sozial benachteiligten Familien geringere Chancen eine gute Lehre oder eine Mittelschule zu besuchen als Kinder aus privilegierten Familien).
10-Jahr-Jubiläum des Berner Generationenhauses, ein Ort der Begegnung und des Dialogs zwischen den Generationen mit einer halben Million Besuchenden pro Jahr. (Foto zVg. Berner Generationenhaus)
Wie kann das Miteinander von Alt und Jung verbessert werden?
Ein erster Schritt ist immer, zuerst ein gutes Nebeneinander der Generationen (in der Arbeitswelt, in der Nachbarschaft) zu pflegen. Dies bedeutet auch, dass jede Generation (ob jung oder alt) eigene Ideen und Interessen einbringen kann. Ein gutes Nebeneinander kann anschliessend durch verstärkte Gespräche und Projekte in ein gutes Miteinander münden. Negativ wirkt sich aus, wenn ältere Menschen in Generationenprojekten dominieren und sie sich unverhältnismässig ins Leben junger Menschen einmischen.
Wie kann nachberufliches intra- und intergenerationelles Engagement noch stärker gefördert werden?
Am besten funktionieren erfahrungsgemäss konkrete Projekte, die für Menschen aus verschiedenen Generationen interessant sind (sei es die Organisation eines Sportanlasses, einer Theateraufführung, Bau einer Modelleisenbahnanlage, Aktionen gegen Waste Food usw.). Wenn junge und ältere Menschen gemeinsam ein Ziel haben und alle Generationen gleichberechtigt mitentscheiden, sind die Erfolgschancen am besten. Nur von älteren Personen initiierte Generationenprojekte scheitern meist.
Marktplatz 60plus 2025 in Luzern mit rund 40 Organisationen, die aufzeigen, wo Pensionierte sich engagieren und Unterstützung finden können (Foto zVg. Forum 60+ Luzern)
In der Alterspolitik zentraler wird immer mehr das Konzept ‘Senioren helfen Senioren’: eine gezielte Solidarität gesunder Altersrentnerinnen zu Gunsten hochaltriger Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Zentral ist aber auch das Vorhandensein einer guten kommunalen Infrastruktur (Begegnungsorte, kommunale Projektunterstützung usw.).
Ist die Vorstellung einer «alterslosen Gesellschaft», in der das Nacheinander von Ausbildung, Erwerbsarbeit und Pensionierung in ein lebenslanges Nebeneinander von Lernen, Arbeit und Freizeit umgewandelt wird, nicht nur ein schöner Traum?
Das heutige Nacheinander von Ausbildung, Erwerbsarbeit und Pensionierung wurde Ende des 19. Jh. entwickelt und in den Nachkriegsjahrzehnten sozialpolitisch verankert. Es entspricht immer weniger den Bedürfnissen und Anforderungen einer Gesellschaft langlebiger Menschen. Lebenslanges Nebeneinander von Lernen, Tätig-sein und Ruhezeiten wird in einer demografisch alternden Gesellschaft immer mehr zur Notwendigkeit. In der Schweiz (wie auch in Frankreich) stossen jedoch alle Bestrebungen, das aktuelle Rentensystem zu reformieren, auf heftigen Widerstand. Selbst kostenneutrale Vorschläge (AHV-finanzierte Ruhephasen oder Weiterbildung 45+ und sich dafür später zu pensionieren) finden kaum politische Unterstützung. Gleichzeitig zeigt sich ein Trend, dass sich die Zahl an Frauen und Männer erhöht, die auch nach 65 weiterarbeiten möchten oder aus finanziellen Gründen weiterarbeiten müssen.
François Höpflinger, besten Dank für das Gespräch.
Zum Titelbild: François Höpflinger, mit wachem Auge unterwegs. Prof. Dr. phil. François Höpflinger, geb. 1948, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder. Er studierte Soziologie an der Universität Zürich, forschte zu demografischen, familiensoziologischen und gerontologischen Themen. Von 1994 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2013 war er Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich. Seit 2009 bis heute widmet er sich selbständigen Forschungs- und Beratungstätigkeiten zu Alters- und Generationenfragen.
Links:
Website von Prof. François Höpflinger mit vielen Studien zu Altersfragen und Generationenbeziehungen
Artikel von Bea Heim im Seniorweb: Perspektiven einer modernen Alterspolitik


sehr informativer und in meinen augen richtige richtung für eine soziale, differenzierte alterspolitik. uns senioren würde gut anstehen, sich einzubringen, soweit möglich zu liefern, auf die menschen zuzugehen statt in starrer erwartungshaltung zu verharren. altersforscher otfried höffe weist auf 4 L hin, laufen, lernen, lieben und lachen. auch das ist ein ansatz.
Das Alter neu denken. Wir «Alten» haben ein enormes Potential an Wissen und Kompetenzen, setzen wir es ein für unsere Gemeinschaft aller Generationen. Nicht nur mit dem Stimmrecht, mit Taten. Weg vom Seniorenentertainment. Der Artikel trifft`s.