Die russische Sopranistin Anna Netrebko ist im Westen aus politischen Gründen umstritten. Vor dem Opernhaus Zürich kam es vor der Premiere von Verdis «La forza del destino» zu Protesten. Die Aufführung aber verlief ohne Störungen. Die Netrebko begeisterte mit ihrer herrlichen Stimme.
Seit Russland in der Ukraine Krieg führt, steht Anna Netrebko in der Kritik. Als einstige Anhängerin Putins bekam sie Schwierigkeiten, westliche Bühnen distanzierten sich von ihr. Doch Netrebko hat sich 2022 deutlich vom Ukrainekrieg distanziert und ist auch nicht mehr in Russland aufgetreten. Dem Intendanten Matthias Schulz für dieses Engagement moralische Vorwürfe zu machen, ist deshalb nicht in Ordnung.
Gewagtes Bühnenbild
Doch nicht nur der Auftritt von Netrebko sorgt für Gesprächsstoff. Die Regisseurin Valentina Carrasco wagt es, in ihrer Inszenierung Krieg und Zerstörung in den Vordergrund zu rücken. Tatsächlich lässt Verdi in «La forza del destino» («Die Macht des Schicksals») die tragische Liebesgeschichte von Leonora und Don Alvaro sehr konkret im Krieg spielen.
Düstere Kriegsbilder prägen die Szenerie. Die Regisseurin Valentina Carrasco bringt mit den Krieg in die Schweiz.
Doch damit nicht genug. Die Bühnenbilder von Carles Berga zeigen monumentale Schweizer Gebäude, die vom Krieg zerstört worden sind – KI machte das möglich. Damit will Valentina Carrasco den Menschen hier den Krieg möglichst nahebringen. Kein Zweifel: die Schweiz ist in dieser Inszenierung die Ukraine.
Das Bühnenbild ist wuchtig und üppig ausgestattet. Ein schweres Holzgerüst ist mit zertrümmerten Wandresten ausgestattet: Die Häuserfassade in einer Zürcher Strasse mit Schusslöchern, das Palais des Nations der UNO in Genf mit zahlreichen Fahnen, das WEF in Davos und die Ruinen einer Kirche. Das Gerüst steht auf der Drehbühne, die Vorderseite zeigt das Draussen, die Rückseite das Drinnen. Diese riesigen Bilder der Zerstörung in der Schweiz beeindrucken tatsächlich sehr.
Militäruniformen, soweit das Auge reicht
Und man ist überrascht, wie gut diese Szenerie zum Libretto passt: der Krieg ist auch da omnipräsent. Die Kostüme von Silvia Aymonino zeigen den Chor in zwei verschiedenen Militäruniformen: das eine Lager kämpft gegen das andere. Und die Zivilisten und Flüchtlinge sind alltäglich in heutigem Stil gekleidet.
Krieg der Völker und Krieg ganz privat: Don Alvaro (Yusif Eyvazov) und sein Widersacher Don Carlo (George Petean) im Kampf.
Auch Don Alvaro, der bei einem Handgemenge versehentlich Leonoras Vater erschossen hat, ist in den Krieg gezogen und trägt Uniform. Ebenso wie sein Widersacher, Leonoras Bruder Don Carlo. Dieser ist hasserfüllt und sucht seine Schwester, die als Einsiedlerin untergetaucht ist, und den vermeintlichen Mörder seines Vaters. Er will beide töten.
«La forza del destino» ist eine hochdramatische Oper. Zugespitzt wird dies vom Chefdirigenten Gianandrea Noseda, der das Orchester der Oper Zürich gerne laut und heftig aufspielen lässt. Damit treibt er auch die Sängerinnen und Sänger öfter an ihre stimmlichen Grenzen.
Eine Klasse für sich
Nicht so Anna Netrebko als Leonora. Dunkel und weich trägt sie ihre Stimme in den Raum, vom dramatischen Schmerz wechselt sie mühelos in die zartesten Töne. Und welche Kraft und Ausdauer in der höchsten Lage! Es gab nicht nur langen Szenenapplaus nach ihren Auftritten, der Schlussapplaus wollte für sie kein Ende nehmen. Leonora und Don Alvaro:
Leonora und Don Alvaro: Eine Liebe im Krieg.
An der Seite von Anna Netrebko gibt der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov den Liebhaber Don Alvaro. Mit seinem warmen Timbre, seinem stimmlichen Volumen und der innigen Hingabe an seine Rolle singt er sich direkt in die Herzen des Publikums. Dass die beiden in ihren Duetten so überzeugend auftreten, hat auch einen privaten Grund: Bis vor Kurzem waren sie noch verheiratet.
Der dritte im Bunde, George Petean, muss sich als Don Carlo in die Raserei des Rächers hineinsteigern. Petean beginnt bereits mit voller Stimme und wirkt zu Beginn noch etwas nervös. Doch im Laufe des Abends gewinnt seine Partie an Zwischentönen, auch ist seine heroische Ausstrahlung beeindruckend. Erwähnenswert ist zudem Annalisa Stroppa in der Rolle der kriegsbegeisterten Preziosilla. Sie singt und spielt diese Partie mit quirliger Stimme und viel Temperament.
Kriegselend ganz plastisch gezeigt. (Alle Bilder Opernhaus Zürich/Monika Rittershaus)
Eine wichtige Rolle kommt in dieser Oper dem Chor zu. Gut vorbereitet vom neuen Chorleiter Klaas-Jan de Groot, singt dieser mit präzisen Einsätzen und vielschichtigem Ausdruck. Gianandrea Noseda führt souverän und ausdrucksstark durch die Partitur, der Chor und das Orchester wirken sehr präsent. In dieser Zürcher Produktion sind nicht nur die Sängerpartien grossartig besetzt. Es ist auch interessant, für einmal kein abstraktes Bühnenbild zu sehen. Übrigens: Die fünf Vorstellungen, in denen Anna Netrebko die Leonora singt, sind ausverkauft.
Weitere Vorstellungen: 07 / 12 / 15 / 18 / 21 / 26 / 29 Nov; 17 / 21 Dez 2025


Ich verstehe wirklich nicht, wie man diese Künstlerin quasi reinwaschen und weiter Werbung für sie machen kann. Es ist einfach nicht richtig, dass wir ihr bei uns eine Auftrittsmöglichkeit geben. Nein, die Kunst hat definitiv nicht gesiegt.
Sie hat unangefochten eine grossartige, göttliche Stimme, die heute leider einen anderen «Klang» aufweist als noch vor einigen Jahren (meint Chronologie dieser propagandistisch vereinnahmten «Stimme»). Die szenisch konkrete kriegerische Inszenierung in aktuellen «Kulissen» schliesst den unseligen Kreis forciert. Was modisch gewagt erscheinen mag, lässt den ursprünglichen Raum vermutlich nicht mehr zu. Als würde man die originale Mona Lisa mit einem neuzeitlichen Graffiti übersprayen. Falsche Zeit, falscher Ort – wie ich meine… Ein wenig könnte dennoch sein, dass die Provokation gerade durch Netrebko in Sache Berührtwerden unweigerlich gelungen ist. Etliche werden hier nicht wegschauen können – nicht nur mit den Ohren. Ja, ich habe mir eben widersprochen.