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Zu Besuch bei Barb Streuli

Lebenslang lernen ist ihr wichtig- da darf es auch mal ein Sozialexperiment mit Fernsehbegleitung sein

Barb Streuli (72) begegne ich erstmals 2013 bei einem Kurs im Rahmen von Seniorweb. Es geht darum, unsere User über Surfen, Skypen und Mailen hinaus an weitere Arten der Internet-Nutzung heranzuführen. Barb versucht in ihrer Gruppe, ein Tool zum Buchschreiben auszuarbeiten, während unsere Gruppe sich mit einem Werkzeug zum Herstellen von Youtube-Filmen befasst. Zweifellos haben wir damals viel gelernt. Neues lernen wollen zieht sich wie der berühmte rote Faden durch Barb Streulis Leben.

Seniorweb: Was ist aus deiner Biographie geworden?

Barb Streuli: Mein Buch Mutsprung wurde in fünf Exemplaren für die Familie gedruckt, dennoch kam es wegen heiklen Passagen um ein Haar zum Gerichtsfall. Ich schreibe nun nochmals neu, lasse die kritisierten Sätze weg und aktualisiere den Text…

…also inklusive deines neuesten Streichs, deiner Beteiligung bei der SRF-Dokusoap Stutz um Stutz?

Information ist wichtig, eine angenehme Wohnung ebenfalls. Foto zVg

Gewiss doch. Ich fand die Ausschreibung auf dem Zürcher Portal Ron Orp. Für die Bewerbung, musste ich von mir ein Video machen, worin ich Fragen zu beantworten hatte. Ich will doch immer wieder etwas lernen, so ein Selfie-Filmli hatte ich noch nie gemacht. Zu meiner Überraschung wurde ich zum Casting eingeladen, und am Ende war ich dabei. Ich dachte, was du dir einbrockst, musst du halt auslöffeln.

Auch das ein Lebensmotto der lebhaften Barb Streuli, die sich durchbeisst, wenn es schwierig wird im Leben. Den ersten grossen Knick muss sie mit achtzehn verkraften, als die frisch ausgebildete Tänzerin erste Auftritte bei Ballettaufführungen im Opernhaus hat. Eine Knieoperation beendet die Tanzkarriere abrupt und Barb muss sich neu orientieren.

Wie viele ehemalige Tänzerinnen gründet und leitet sie eine Tanzschule, 40 Jahre lang mit Erfolg, bis ihre Tochter übernimmt und sie sich in neue Projekte stürzt: Sie lässt sich zur Kulturmanagerin ausbilden und hängt später noch Erwachsenenbildung und Coaching an. Seminare für arbeitslose Kaderleute oder für den Übergang vom Berufs- ins Rentnerleben erteilt sie – schon AHV-Rentnerin – bis vor zwei Jahren, im Auftrag von Pro Senectute.

Wie weiter? Job suchen und Essen bekommen, oder Essen kaufen? Barb Streuli bei einer Denkpause. Foto: SRF

Konntest du zurückgreifen auf dieses breite Wissen bei dem „Mutsprung“ beim SRF, nämlich mit 100 Franken, den Kleidern am Leib und der ID-Karte fünf Tage und Nächte in einer dir fremden Schweizer Stadt zu verbringen?

Wohin es geht, erfuhren wir kurz vor Beginn: St. Gallen kannte niemand von uns. Alle vier wurden je von einem VJ begleitet, einem Videojournalisten mit Kamera. Ich habe aus meinem Leben vor allem meine Fähigkeit, Menschen schnell richtig einzuschätzen, mitgebraucht, was in der Woche ohne Geld und Wohnsitz sehr hilfreich war.

Matthias, mein VJ, war sehr nett, filmte einfach, wie ich mich in der Stadt bewegte, wie ich mit Leuten redete, mir auch mal etwas kaufte, undsoweiter. Ich lernte, dass man als VJ unterschiedlich arbeiten kann. Einem Kollegen, der oft die gleichen Orte wie ich aufsuchte, meist etwas später als ich, begegnete ich ab und zu. Er fand seinen VJ auch nett, aber lästig dünkte ihn, dass er dasselbe oft zwei- oder dreimal wiederholen musste.

Wir trafen uns beispielsweise bei der Herberge für Obdachlose St. Galler, wurden aber ohne städtischen Wohnsitz nicht zugelassen. Immerhin bedeutete man uns, falls wir bis spät abends noch nichts hätten, nochmals vorbeizukommen. Da war filmen übrigens nicht erlaubt.

Und – hast du draussen übernachten müssen oder was gefunden?

Ich fragte in einer Kirche, ob ich in den Bänken schlafen dürfe, der Diakon und seine Frau nahmen mich auf, weil einige Gästebetten leer seien. Kurz darauf kam der Kollege, auch er durfte im Privathaus des Diakons nächtigen. Zwei Nächte waren wir gut aufgehoben. Auch danach fand ich ein Bett mit Komfort. Also immer so, dass ich auch duschen und meine Wäsche auswaschen konnte.

Und die Toilettenutensilien, die Zahnbürste?

Bei Pfarrers gab es eine Zahnbürste und ein Mustertübli, die ich mitnehmen durfte. Zunächst kämmte ich mich mit den Händen, aber dann fand ich doch, ich müsse einen Kamm kaufen, zugleich erwarb ich Wimperntusche.

Wenn man offen auf die Leute zugeht, funktioniert das meist. Klar, einige drehen sich auch um oder gehen weiter, manchmal auch weil sie den Kameramann sehen. Aber ich habe immer wieder lässige Leute kennengelernt. So kam ich auch zum zweiten Schlafplatz in einer Altersresidenz. Ich hab dann auch etwas geleistet für den Hotelservice, der mir geboten wurde, gesungen mit den alten Damen und Herren, mich um sie gekümmert. Einige wollten nicht aufs Bild, das hat der VJ sofort berücksichtigt und ihnen gesagt, wohin sie sich setzen sollten. Die Kamera kann Türen öffnen, aber auch schliessen, hab ich erfahren.

 Bisschen Geld verdienen: Barb Streulis Putzarbet hier ist ein Geschenk von einer Mutter an ihren Sohn. Foto SRF

Wie ging denn das mit dem Essen? Hast du da bezahlen müssen?

Unterschiedlich. Ich arbeitete auch in einem Kaffee und bekam Geld dafür. Aber es war nicht einfach, Arbeit zu finden, auch wenn ich gleich sagte, für mich müsse man keine AHV zahlen. Die beiden jüngeren in dem Experiment hatten es anscheinend leichter, eine Arbeit gegen Geld zu finden. Bei der Abschlussveranstaltung bekam der, der am meisten Geld im Sack hatte, alles, was die drei anderen zusammen noch hatten.

Ist das nicht etwas irritierend, wenn dem, der hat, noch gegeben wird? Für mich wirkt so eine Regel unsolidarisch.

Doch für uns ältere ist das schon eher seltsam, aber ich kannte die Regel und machte dennoch mit.

Wie übersteht man denn eine Woche ohne Wechselwäsche und den Kram im Badezimmer, den, zwar reduziert, jeder Jakobspilger dabei hat?

Ich bin rumgelaufen wie ein Hootsch, aber für das Treffen am Freitag wollte ich so gut wie möglich aussehen. Nach vier Tagen hatte ich gelernt, wie und wo man am ehesten etwas bekommt. In der Parfümerieabteilung des Warenhauses ging zur Chefin und erklärte ihr meinen Wunsch nach Make up. Ob sie wegen des Fernsehens zustimmte, weiss ich nicht, jedenfalls wurde ich schön zurechtgemacht. Nach diesem Erfolg versuchte ich es gleich noch bei einem Coiffeur. Jedenfalls fühlte ich mich sehr gut.

Und nach dem Abschluss? Fielst du in ein tiefes Loch oder warst du eher froh, die Woche überstanden zu haben?

Ich war einfach total erschöpft, mein Schatz holte mich zum Glück vom Zug ab, meine Füsse schmerzten so, dass ich kaum die Treppe hinauf kam. Zum Feiern war ich zu kaputt, wir bestellten eine Pizza nebenan, dann hab ich zum ersten mal wieder gut und lange geschlafen. Danach träumte mir mehrmals, ich stünde auf der Strasse und müsse ein Bett suchen, ein Albtraum. Etwas hat das Experiment auch noch gemacht mit mir: Wenn ich einkaufe, frage ich mich viel öfters: Brauche ich das wirklich?

Barb Streuli, immer auf der Suche nach Lerneinheiten empfiehlt, den Newsletter von SRF My School zu abonnieren. Sie hat ausserdem ihre Website aktualisiert.

Die Dokusoap „Stutz um Stutz“ startet am Donnerstag, 15. März um 21:05 Uhr auf SRF 1. Das Ziel der Fernsehmacher war, mit dem Sozialexperiment auszuloten, einerseits, „wie Herr und Frau Schweizer im Alltag mit Fremden umgehen“, andererseits, wie die Probanden – neben Barb Streuli sind es Andreas Klein, 62, Manuela Orlik, 49, und Luca Huber, 26 – sich ohne Netz über die Runden retten.

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