StartseiteMagazinKulturGlattfelder und die Geometrie

Glattfelder und die Geometrie

Gleich ein Doppelpack liefert Sabine Schaschl vom Haus Konstruktiv diesen Herbst aus: sie kuratiert die Retrospektive eines Konkreten und die Installation eines argentinischen Shooting Stars.

Hans Jörg Glattfelder war bereits „gesetzt“, als Sabine Schaschl Mitte Jahr die Direktion des Haus Konstruktiv in Zürich übernahm. So besuchte sie den einst mit Reliefs aus regelmässigen farbigen Pyramiden bekannt gewordenen Konkreten in seinem Pariser Atelier. Das Ergebnis hängt nun vielfältig an den Museumswänden. Auch für den zweiten Künstler brauchte es keine Suche: Adrián Villar Rojas (33) hat den Zurich Art Prize 2013 gewonnen – die Präsentation ist traditionell im Haus Konstruktiv.

Brockenhaus-Tische als Bildträger. Foto: Jörg Baumann

Der Argentinier baute mit der Preissumme von 80’000 Franken, unterstützt von seinem Projektteam, welches ihn um die halbe Welt begleitet, die Installation Films Before Revolutionin der grossen Halle auf: Holztische jeder Bauart stehen herum, dazu vier historische Kinoprojektoren. Die Tische – umgebaut, abgeschliffen, eingefärbt, ausgehöhlt – sind Träger von transparenten Zeichnungen, Aquarellen, Fotos unter farbigem Kirchenfenster-Glas, welche mit Neonröhren beleuchtet werden. Ausser den Zeichnungen wurde alles Material an Ort in Zürich gesucht und gefunden, in Brockenhäusern, da, wo Erinnerung entsorgt wird, die er wiederum als Erinnerungsarbeit simuliert. Diese Fundstücke wurden im Museum selber bearbeitet und schliesslich dieTräger der filigranen Zeichnungen und Aquarelle.

Selbstportrait

Der Künstler ist sein eigener Archivar, die Bilder sind Dokumente des Werkprozesses, in dem er permanent steht. Laufend zeichnet er während des Schaffens in sein Notizbuch, dokumentiert das, was er mit seinem Team erarbeitet. Wenn er Skulpturen macht, sind sie der Vergänglichkeit ausgesetzt: er braucht nicht gebrannten, also nicht witterungsbeständigen Lehm, er arbeitet immer dort, wo das Werk ausgestellt wird. So spiegelt er mit kreativer Kraft Werden und Zerstören, auch Unwirtlichkeit einer Welt, die um ihn ist. Als Inspirationsquellen nennt er Houellebecq, oder Kurt Cobain, destruktive Kreative mit messerscharfer Weltsicht. Jede neue Arbeit dokumentiert Villar Rojas, und die Zeichnungen, Fotos, Aquarelle werden wiederum Ausgangspunkt eines neuen Schaffensprozesses irgendwo in einem Kunst-Umfeld.

Inspiration vor Ort

Auch wenn sein Lebensmittelpunkt immer noch in Argentinien ist, zieht Adrián Villar Rojas von Kunst-Ort zu Kunst-Ort und schafft jeweils inspiriert vom Platz selber mit seinem Team ein Werk für den Platz. Bei der letzten Documenta in Kassel erarbeitete seine Werkstatt in 100 Tagen eine Serie von Skulpturen, 2011 füllte er in Venedig die Hallen des Arsenale mit Riesen-Objekten, bei der zweiten Biennale in Argentinien 2009 zerstörte ein Platzregen binnen Stunden seinen gigantischen Wal aus Lehm, welcher ihn in den Focus der besten Kuratoren schob.

Ein Aquarell-Inkjet-Bild aus der Serie «Return The World» im Bauch eines alten Flügels.
Foto:
 Eva Caflisch

Jetzt ist im Haus Konstruktiv zu sehen, was den halben Sommer über am Ort der Ausstellung entstanden ist. Da wurde gehämmert, gemalt, genagelt, geschliffen, dass den Museumswächtern hören und sehen verging. Ephemere Kunst zum erinnern – scheinbar weit weg vom Konstruktiven und Konkreten, und doch mit einem klaren konzeptuellen Ansatz wie die Konkreten.

In der Tradition des Hauses steht Hans Jörg Glattfelder (74) , oder besser, er ist vorangeschritten, hat Grenzen gesucht und neue Möglichkeiten der mathematisch-philosophisch verankerten Kunstrichtung entwickelt. Die nun gezeigten „Statements“ aus allen Schaffensphasen spiegeln Glattfelders Liebe zur Geometrie, zunächst mit rechten Winkeln, später nimmt er Abschied von der euklidischen Geometrie, wendet sich der Krümmung zu, versucht die Gesetze der konvergierenden Linien, die sich nie schneiden, in die Fläche zu übertragen, Relativitätstheorie als Inspiration, ausgeklügelte Rechen- und Planungsarbeit vor der Realisation mit Pinsel und Farbe.

Weg vom rechte Winkel 

Nein, ein Epigone von Lohse, Löwensberg oder Mondrian ist er nicht. Aber eine „Denkstätte für Mondrian“ hat er sich im Haus Konstruktiv geleistet. Mit senkrecht, waagrecht, den Grundfarben und – einem Augenzwinkern. „Das Abgebildete verweist auf nichts ausserhalb,“ erklärt der Künstler bei einer Führung, ihm geht es um das Sehen.

Hommage für Lohse 2002  neben Lohse-Original.
Foto: Stefan Altenburger

Einen tiefen Bruch musste er seinerzeit hinnehmen. Die Pyramidenreliefs – das grösste, das zur Kunstsammlung der UBS gehört, wurde für die Ausstellung restauriert – werden in den 60er Jahren begeistert aufgenommen, rund 500 lässt er produzieren, das bringt gutes Geld. Dann mag er nicht mehr, ändert seine Ziele und wird dafür „vom Kunstmarkt in die Wüste geschickt.“ Er nimmt Abschied vom rechten Winkel und geht weg vom Relief zurück in die Fläche, wobei sein Anliegen die Darstellbarkeit des Raums in der Fläche ist. „Was der Fall ist“, nennt Hans Jörg Glattfelder die Werkschau frei nach Ludwig Wittgensteins Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ Das jüngste Werk in der Ausstellung ist ein kinetisches Objekt, schwarze tropfenartige Körper auf einer weissen Fläche, die sich innert einer Stunde um sich selbst drehen; „Langsame Eier“, lautet der Übername der Arbeit. Im gleichen Raum seine Hommage an Richard Paul Lohse von 2002 gehängt neben das Original des Altmeisters.

Kein rechter Winkel:Neunmal abwesend, 2011.
Courtesy of the artist

Während der junge Argentinier Villar Rojas über das Machen von Kunst reflektiert, bei ihm die Vergänglichkeit und das Verschwinden zentral sind, will der um zwei Generationen ältere Glattfelder das Spannungsfeld zwischen dem Rationalen und dem Sinnlichen gestalten. Die permanente Veränderung des Konkreten wird in der Werkschau sichtbar gemacht, wogegen eine Retrospektive des Argentiniers allenfalls als Dokumentation längst zerstörter Arbeiten denkbar ist.

Hans Jörg Glattfelderund Museumsleiterin Sabine Schaschl vor Contiguità cromatiche, 1976. Foto: Eva Caflisch

Auf Einladung von Glattfelder ist im Haus Konstruktiv ein dritter Künstler zu Gast: Daniel Bisigs Videoarbeit Parallel steht in direkter Beziehung zu Glattfelders „nicht-euklidischen Metaphern“. Eine Computersimulation zeigt graphische Elemente in einer parallelen Fortbewegung. Tritt ein Besucher vor die Projektion, wird er von einer Kamera erfasst und als Masse in die Simulation überragen. Damit krümmt sich die Bildebene und die Parallelität in den Bewegungen löst sich auf.

Der promovierte Molekularbiologe Bisig arbeitet an der Schnittstelle zwischen Kunst (Neue Medien) und Wissenschaft (künstliche Intelligenz), also im Grunde ähnlich wie Glattfelder mit seiner Malerei, deren Grundlage in der Mathematik liegt.

Zu den beiden Ausstellungen sind umfangreiche Publikationen erschienen.
Titelfoto: Glattfelder: Pyr 13, 1976. Courtesy of the artist

https://www.hauskonstruktiv.ch/deCH/ausstellungen/vorschau/jahresprogramm-2019.htm

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