Im Fokus: Tel Aviv

Tel Aviv ist speziell. Die anregende Wirkung eines Aufenthalts dort hallt lange nach.

Worin besteht das Besondere dieser Stadt mit ihren knapp 400 000 Einwohnern? Es sind vor allem die Menschen dort, es ist ihre Offenheit gegenüber Fremden. Man kommt schnell ins Gespräch (englisch): Woher wir kommen? Die Schweiz hat ein gutes Image. Ob es den beiden Senioren in ihrer Stadt gefällt? Ihre Freude über das spontane Ja ist aufrichtig.

Sie machen einen multikulturellen und lebenslustigen Eindruck, die Tel Aviver. Trotz der fragilen Sicherheitslage ihres Landes wirken sie erstaunlich sorglos – vielleicht auch, weil sie jung sind. Das Durchschnittsalter für Tel Aviv wird mit 34 Jahren angegeben, für die 7,4 Millionen Einwohner des gesamten Landes (80 % Juden, 20 % Araber) mit  28,3 Jahren.

Erdbeeren zur Begrüssung

Als Erstes kommen wir auf dem Bahnhof beim Flughafen mit einer Seniorin ins Gespräch. Von ihr erfahren wir, dass man sich möglichst schnell mit seinem Koffer in den Zug hineindrängen muss und dass die Station, an der wir uns ebenso energisch hinauszwängen müssen, «Schalom» heisst. Ein Taxi befördert uns zu der Privatadresse, die wir über «Airbnb» (Suchadresse für Bed and Breakfast) gebucht haben. Vor dem Haus erwartet uns eine erste Klippe: Wo klingeln, wenn die Namensschilder auf Hebräisch angeschrieben sind? Ein Passant eilt zu Hilfe, und ein sympathisches Paar in den mittleren Jahren begrüsst uns herzlich. Im Zimmer stehen Erdbeeren und selbst gebackene Guetzli. Wir erhalten einen Wohnungsschlüssel, den Code für die Haustüre, Ratschläge, welche Restaurants und Ausflüge zu empfehlen sind.

Blick aus dem Fenster des Bed and Breakfast

Schnell hat man das Gefühl, bei Freunden zu wohnen. Der erste Schreck über die Mulde vor dem Haus und die Bauarbeiter, die in einer anderen Wohnung im Haus herumbohren, legt sich. In den nächsten zehn Tagen werden wir sowieso zunehmend resistent gegenüber Verkehrslärm, Autohupen, Polizeisirenen, lauten Stimmen, schreienden Katzen und bellenden Hunden. Dazu tragen die Sonne und die Aussentemperatur, die im Februar schon um die 18 Grad pendelt, bei.

Auch unsere Wirtsleute freuen sich, dass es uns gefällt. Aber sie staunen, dass der Fokus unserer Reise auf Tel Aviv liegt – trotz diverser Exkursionen, von denen hier aber nicht die Rede sein soll. «Für Touristen mag es hier ja schön sein», räumen sie dann ein. Aber das Leben sei nicht einfach. Wohnen sei fast unbezahlbar, Arbeitsstellen seien gefährdet. Wir hören von einem Streik beim Fernsehen, wo ein öffentlich-rechtlicher Kanal wegen mangelnder Einschaltquote privatisiert wird. 1000 Mitarbeiter würden bald auf der Strasse stehen. Auch eine Demo gegen die Privatisierung  von Spitälern lässt soziale Spannungen vermuten. Die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 14 und 15 Prozent. Trotzdem ziehen viele Jugendliche aus allen Landesteilen jedes Jahr nach Tel Aviv, in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden.

Alte Fassaden im Bauhausstil

Breites Meinungsspektrum

Ein Mann um die 20 hat soeben seinen dreijährigen Militärdienst beendet. Er macht einen melancholischen Eindruck und träumt von der grossen Freiheit in Kanada – möglichst weit weg von Israel. Erst später will er eine Ausbildung beginnen. Israelische Jugendliche sind vergleichsweise alt, wenn sie ins Arbeitsleben einsteigen. «Viele junge Menschen sind durch den Militärdienst traumatisiert», erklärt man uns, «denn sie haben gegenüber anderen Menschen Dinge tun müssen, die gegen ihr Gewissen verstossen.»

«Ich wäre zu jedem Übereinkommen mit den Palästinensern bereit, wenn wir nur endlich Frieden hätten», gesteht unser Landlord. Aber er glaubt nicht mehr an eine Lösung. Und wenn die Schweizer Senioren von ihren Reisen über die Grenzen nach Österreich, Italien, Frankreich oder Deutschland berichten, bekommen die israelischen Gastgeber träumerische Augen.

Selbstironische Installation der jüdischen Befindlichkeit an einer Hausfassade

Ein weiterer junger Mann um dieDreissig siedelt sich politisch bei der Likud-Partei an, berichtet er in einem Café. Er ist stolz auf sein Land und bereit, es jederzeit verteidigen.

Im Yarkon Park werben zwei junge Leute am Sabbat für gesundes Hundefutter. Als «Ex-Hündeler» geraten wir ins Fachsimpeln. Auf dem politischen Kanal jedoch sind die beiden taub. Ihre Devise lautet: Lebe und geniesse jetzt!

Mit Gebetsriemen auf belebtem Platz

Mit Vertretern der Ultraorthodoxen («Charedim») kommen wir nicht ins Gespräch. Beim historischen Zentrum Neve Tsedek jedoch wurde missioniert. Bärtige Männer mit schwarzen Hüten verteilten Literatur, legten einem hoch gewachsenen Mann Gebetsriemen an, gaben ihm einen heiligen Text in die Hände, und dieser versank im Gebet – mitten in der Menschenmenge! Vermutlich ging es bei der Werbeaktion auch um das neue Gesetz zur Wehrpflicht für ultraorthodoxe Juden, gegen das am Tag unserer Abreise  in Jerusalem mehrere Hunderttausend demonstrierten.

Bei der Staatsgründung 1948 waren etwa 400 Religionsstudenten vom Militärdienst befreit worden. Mittlerweile beträgt ihre Zahl weit über 60 000. Ultraorthodoxe Männer widmen sich ausschliesslich dem Studium der heiligen Schriften, leben von Sozialhilfe und erregen zunehmend den Unwillen der traditionell laizistischen Gesellschaft.

Jaffa ist viel älter

In Tel Aviv steht die charakteristische schwarze Silhouette der Ultraorthodoxen in seltsamem Gegensatz zu der modernen Stadt, die vor kaum mehr als 100 Jahren auf Wüstensand gebaut wurde. Jaffa ist älter. Der heute südlichste Stadtteil war bereits 3500 Jahre vor unserer Zeitrechnung besiedelt und durch seinen Hafen ein wichtiges Handelszentrum. Alle sind hier durchgezogen: Phönizier, Makkabäer, Römer, Kreuzfahrer, Osmanen, Napoleons Truppen, Engländer. Bis 1948 war Jaffa eine arabische Stadt. Dann wurde sie von jüdischen Truppen besetzt. Ein grosser Teil der Araber floh.

Heute promenieren dort am Sabbat – in scheinbarer Eintracht – arabische Grossfamilien, israelische Yuppies und Touristen. Jogger und e-Bikes flitzen vorbei. In Jaffa besichtigt man historische Sehenswürdigkeiten, geht essen, heiratet und lässt sich –festlich gewandet –in den malerischen Gassen fotografieren.

Hochhäuser am Ufer des Mittelmeeres

Tel Aviv – eine grüne Stadt

Tel Aviv ist weniger schön. Viele Fassaden sind renovierungsbedürftig. Darunter leider auch zahlreiche Gebäude der «weissen Stadt», jener etwa 4000 Gebäude, die von deutschstämmigen Emigranten in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Bauhaus-Stil errichtet wurden. Zwischen den Altbauten schiessen Hochhäuser scheinbar unmotiviert empor. Die Trottoirs sind uneben und voller eiliger Fussgänger. Gleichzeitig umkurven unzählige Velofahrer die Fussgänger auf den Trottoirs,  denn auf den Strassen rollt unablässig ein gefährlicher Verkehr.

Der Eindruck über den schlechten Zustand der Gebäude wird durch erstaunlich viele Bäume, Büsche und Rasenflächen gemildert. Diese Begrünung geht auf den Regionalplaner für Palästina Richard Kauffmann und den schottischen Stadtplaner Sir Patrick Geddes Anfang der zwanziger Jahre zurück. Bewusst wurden die Wohnhäuser mit Grünflächen aufgelockert, es entstanden öffentliche Gärten. Doch überall, wo es grünt, ragen Bewässerungsschläuche aus dem Boden. Die Wüste lässt grüssen.

Implosion am Sabbat

Sabbat am Habima-Platz

Ein unerwartetes Erlebnis ist der Sabbat. Bei Sonnenuntergang am Freitag implodiert die Stadt. Die Busse fahren nicht mehr. Der Verkehr stirbt. Der Lärm legt sich. Restaurants schliessen. Die Bevölkerung drängt zur Strandpromenade. Junge Frauen am Strand rauchen Wasserpfeife (siehe Titelbild) und schauen in die untergehende Sonne. Am darauffolgenden Samstag sitzen ganze Familien mit ihren Sprösslingen am Habima-Platz auf den holzverkleideten Stufen rund um eine Vertiefung mit bepflanzten Beeten und Grünflächen. Kleinkinder buddeln auf Sandflächen. Von unterhalb der Stufen ertönt dezent klassische Musik. Eine fast unwirkliche Harmonie prägt die Szenerie. – Man möchte diesen Menschen wünschen, dass es immer so friedlich bliebe.

Fotos: Christine Kaiser

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