Cecilia Bartoli und die Salzburger „Norma“ gilt seit 2013 vielen als „Offenbarung“ einer authentisch neuen Lesart. Nun gastiert sie im Opernhaus Zürich und wird frenetisch umjubelt.
Vor genau 40 Jahren stand Nikolaus Harnoncourt am Pult der Zürcher Oper und hob Monteverdis „Orfeo“ aus der Taufe. Es war eine Sensation, so hatte man Monteverdi noch nie gehört. Alsbald balgten sich die Lager der „Traditionalisten“ und der Anhänger authentischer Aufführungspraxis um das Erbgut Monteverdis. Exakt 40 Jahre später gehen die Wogen wieder hoch. Diesmal geht es um die Frage, ob Vincenzo Bellinis Primadonnenoper „Norma“ so gesungen und auf alten Instrumenten gespielt werden darf oder nicht. Man vergisst, dass Bellini (1801-1835) ein Zeitgenosse Schuberts war (1797-1828) und es heute als selbstverständlich gilt, sich in seinen Werken der historischen Praxis zu bedienen. Weshalb also nicht auch bei Bellini?
Mitglieder des Coro della Radiotelevisione Svizzera Italiana
Der Geist Nikolaus Harnoncourts
Wenn Cecilia Bartoli aufs Ganze geht und sich nicht damit begnügt, der Interpretation einer Maria Malibran, einer Maria Callas oder Dutzenden von späteren Heroinen einfach eine weitere, beliebig kulinarische hinzuzufügen, dann zeigt sie sich als Sachwalterin Harnoncourts, der ohne intensives Quellenstudium und Hinterfragung von oft gedankenlosen Gewohnheiten nie ans Dirigentenpult tritt. Nun hat sie 40 Jahre später Giovanni Antonini davon überzeugen können, die Partitur unters Brennglas zu legen und mit ihm die Neuedition der von Maurizio Biondi und Riccardo Minasi verantworteten quellenkritischen Norma-Partitur exakt auszuloten. In der Tat schrieb Bellini die Titelpartie nicht für einen dramatischen Koloratursopran, sondern für die Mezzolage von Guiditta Pasta. Damit verändert sich das Klangkolorit und die stimmliche Temperierung massgeblich.
Cecilia Bartoli als Norma und John Osborn als Pollione. (Bilder: Hans Jörg Michel).
Wer die Bravourarie „Casta diva“ der Callas in den Ohren hat, muss radikal umdenken. Aus dem irisierenden Heldenglanz wird bei Bartoli eine fast brüchige, verinnerlichte Trauerode. Das geht nicht ohne eine gehörige Portion Mut, denn diese Arie ist ein begehrter Wunschkonzertklassiker. Cecilia Bartoli verschreibt sich dieser Partie mit fesselnder Eindringlichkeit und geht auch physisch bis zur Verausgabung an die Grenzen. Dass sie in der Schauspielerin Anna Magnani ein Vorbild sieht, erstaunt nicht. Das ist aber nicht Selbstzweck, sondern in der Charakteristik der Musik in jeder Phrase und Note Bellinis festgehalten. Es geht unter die Haut, wie Antonini mit dem Solistenensemble und dem Chor diese Authentizität beseelt.
Eine verschworene Gemeinschaft
Wer den Musiker und Dirigenten Giovanni Antonini einfach dem Nähmaschinenbarock zuordnet, tut ihm Unrecht. Wie er das einheimische Originalklang-Ensemble La Scintilla im frühromantischen Umfeld mit beredter Gestik antreibt und dem Furiosum dieser hochdramatischen Partitur aussetzt, versetzt einen ins Schwärmen. Davon nicht auszunehmen ist der Coro della Radiotelevisione Svizzera Italiana von Diego Fasolis und Gianluca Capuano. Er singt und artikuliert exzellent und ist auf Cecilia Bartoli auch in anderen Produktionen eingeschworen.
Im gleichen Atemzug ist das in Zürich bestens bekannte Regiegespann von Moshe Leiser und Patrice Caurier zu nennen. Über die Verlegung der Handlung in eine Partisanenbrigade des Zweiten Weltkriegs mag man geteilter Meinung sein, aber die Deutung nimmt dem Stoff etwas von der allzu abgehobenen und rührseligen Antiken-Tragödie. Die Solisten mit Rebeca Olvera als Adalgisa, John Osborn (Pollione), Peter Kalman (Oroveso), Liliana Nikiteanu (Clotilde) und Reinaldo Macias (Flavio) werden den hohen Ansprüchen allesamt gerecht. Cecilia Bartoli singt und spielt sie nicht an die Wand, auch wenn sie natürlich die prägende Gestalt des Abends ist.
Es ist selten geworden, dass ein Ensemble mit Haut und Haar zu einer derart verschworenen Gemeinschaft zusammenwächst. Wann hat man in Zürich das letzte Mal einen solch begeisterten Applaus mit stehendem Parkett vernommen? Es ist Intendant Homoki zu danken, dass er trotz eigener „Norma“-Inszenierung von Robert Wilson dieses Salzburg-Gastspiel eingeladen hat. Es ist eine wichtige Wegmarke für die Limmatstadt. Und nochmals Harnoncourt: «Wenn das Publikum eine Vorstellung gleich verlässt, wie es sie angetreten hat, dann haben wir Künstler etwas falsch gemacht.» In unser aller Ohr.
Weitere Aufführungen: 13., 15., 18. Oktober