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Wunderwerk eines Aussenseiters

Die Fondation Beyeler eröffnet das Jahr mit „Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft“

Statt des langen Sofas erwarten im Foyer der Fondation Beyeler eine amorphe weisse Sitzlandschaft, schwebende „Drachen“ und eine Coucou-Bazar-Figur von Jean Dubuffet das Publikum. Die Retrospektive für den Maler, der nach dem Ursprung der Kreativität suchte und die Natur fokussierte, um eine ganz neue Kunst zu erfinden, ist eine grossartige Bilderschau über vier Jahrzehnte Arbeit eines Aussenseiters. Dieser Aussenseiter hatte jedoch bald weltweiten Erfolg, Dubuffets Einfluss zeigt sich bis heute, beispielsweise bei Keith Haring, Jean-Michel Basquiat oder in der Street Art. Er sagte: „Die wirkliche Kunst ist immer dort, wo man sie nicht erwartet! Wo niemand an sie denkt noch ihren Namen nennt. Die Kunst verabscheut es, erkannt und mit Namen angesprochen zu werden. Sonst macht sie sich alsbald davon. Die Kunst ist eine Person, die leidenschaftlich an ihrem Inkognito hängt. Sobald es fällt und man mit dem Finger auf sie zeigt, macht sie sich davon und hinterläßt an ihrer Stelle jemanden mit Lorbeerkranz und einem Schild mit der Aufschrift KUNST auf dem Rücken. Jeder besprengt ihn mit Champagner und die Veranstaltungsredner führen ihn an einem Ring durch die Nase von Stadt zu Stadt. Das ist die falsche Kunst.“

Dubuffets Arbeitsweise war intuitiv, direkt, schöpferisch, Ideen seien da fehl am Platz, erklärte der Intellektuelle, aber als solcher reflektiert er seinen Kunstbegriff dennoch in theoretischen Schriften oder Briefwechseln (mit Céline und Claude Simon beispielsweise). So impulsiv er in seiner malerischen Arbeit war, so akkurat ging er beim Katalogisieren seiner Werke vor.

Gardes du corps, 1943, und Bocal à vache, 1943 (beide Bilder aus Privatkollektionen) © 2015, ProLitteris, Zürich

Der 1901 in Le Havre geborene Sohn eines Weinhändlers brach die Kunstschule zunächst enttäuscht ab und wandte sich selber dem Weinhandel zu, begann dann in den 30er Jahren nebenbei wieder zu malen, aber um sein Geschäft vor dem Bankrott zu bewahren, liess er es bald wieder sein, bis er 1942 seine Passion zur Hauptsache machte. Die Kriegsjahre mit der Besetzung von Paris hatten seinem Weinhandel genug Profit für ein sorgenfreies Leben gebracht. Mit 41 konnte er im Experiment seine neue, radikal andere Kunst entwickeln. Gewiss, er war nicht der erste und wird nicht der letzte sein, der sich einen neuen Kunstbegriff zurechtlegt. Das taten beispielsweise auch die Dadaisten vor hundert Jahren.

Detailansicht aus: Natura genitrix, 1952, Sammlung J. Boulois, Frankreich

Dubuffet sucht das Authentische; Inspirationsquellen sind ihm Kinder mit ihren Kritzeleien, Kranke, deren Bilder er in Schweizer Psychiatrischen Anstalten kennen lernt und sammelt, sowie der Karneval für seine animierten Figuren des Coucou Bazar. Den Begriff Art brut, den er für die urtümliche Kinderzeichnung und die archaischen Krankenbilder erfand, wandte die Kritik flugs und nicht wirklich passend auch auf seine Arbeiten an.

Paysage aux argus, 1955, Collection Fondation Dubuffet, Paris © 2015, ProLitteris, Zürich

In Dubuffets Werken finden sich Formen und Materialien, die bislang der Kunstszene fremd waren, er experimentierte mit Erde, Kohle, Kies, Teilen von Pflanzen und Tieren als Malmittel oder Grundlage für Collagen, er mischte Dreck in Ölfarben, trug Farbe dick wie Kuchenteig auf Leinwände auf. Daraus formte er Bodenstrukturen, Landschaften, ländliche und urbane, Figuren und Porträts, die letzlich wiederum, wie es die Überschrift der Ausstellung sagt, Metamorphosen der Landschaft sind.

Corps de dame paysagé sanguine et grenat, 1950.Collection of Samuel and Ronnie Heyman, Palm Beach, FL

Die Schau beginnt mit bunten Bildern, zwei nackten Figuren in Regenbogenfarben, einer Kuh auf einer Wiese, einem Bauern, der mit dem Pflug die Erde bearbeitet: Wiese und Acker sind – ähnlich wie in Kinderzeichnungen – bildfüllend in Aufsicht dargestellt. Bei Dubuffet geraten auch die unförmigen Fleischhaufen seiner Frauenakte zur Landschaft, deren Charme man erst bei längerer Betrachtung verfällt, oder die späteren urbanen Szenerien mit den Autos, die flachgewalzt wie Schmetterlinge durch Strassen flattern, oder die Collagen aus Schmetterlingsflügeln, farbig leuchtende Kleinformate aus einer Zeit der Malerei in Erdtönen, mit Erzen und mit Dreck.

In Dubuffets durchaus gesellschaftskritischem Werk blinkt immer wieder der Humor auf, beispielsweise Männchen oder Häuschen, die urplötzlich in einer amorphen Landschaft zu entdecken sind, oder der grinsende Marmormann: Dieser Homme de Marbre von 1955 ist eine der Assemblagen, für die Dubuffet fertig gemalte Leinwände auseinanderschnitt und in Teilen auf eine neue Leinwand aufklebte: so sind überraschende Strukturen von Böden, Bildnissen oder eben Landschaften entstanden, überraschend eine fast hyperrealistische braune Türe.

Detailansicht aus: La main dans le sac, 1961. Van Abbermuseum Eindhoven

Über hundert Bilder und Skulpturen umfasst die Retrospektive, einige Hauptwerke konnte die Fondation selber beisteuern: Ernst Beyeler hatte mit Dubuffet, eng zusammengearbeitet, verkaufte durch seine Galerie über 750 Werke und brachte rund ein Dutzend in die Fondation ein. Dank der engen Zusammenarbeit mit der vom Künstler selbst in den Siebziger Jahren eingerichteten Fondation Dubuffet fanden wichtigste Werke aus deren Archiv den Weg nach Riehen.

Grossartig der Saal mit dem Coucou Bazar, einem animierten Gemälde oder einer gemalten Landschaft mit Kulissen, Fabelwesen, Tierfiguren aus dem Hourloupe-Zyklus, hervorgegangen aus Telefon-Kritzeleien. Glatte weisse Oberflächen aus Polyester, wie Puzzleteile oder auch Amöben, bemalt mit Feldern, Linien, Streifenmustern in rot, blau und schwarz. Es ist ein Bühnenspektakel, das Malerei, Skulptur, Theater, Tanz und Musik vereint. Insgesamt wurde Coucou Bazar nur dreimal aufgeführt, 1973 in New York und Paris, 1978 in Turin. Bei Beyeler sind rund 60 Bühnenelemente und Figuren präsent. Und jeweils zweimal pro Woche, mittwochs und sonntags, erwachen zwei der Figuren, von Tänzern animiert, zum Leben.

Le circulus II, 1984. Collection Fondation Dubuffet, Paris © 2015, ProLitteris, Zürich

Für die letzten Bilder gab Dubuffet, der zwar ein einsamer Schaffer war, aber sich in einer intellektuellen Welt gut präsentierte, das Gegenständliche auf. Ein Geflecht von Linien auf weissem oder schwarzem Grund malte der bereits stark in der Bewegung eingeschränkte Unermüdliche am Tisch und liess die Blätter zu grösseren Bildern zusammenbauen. Mit dieser Werkgruppe der Non-Lieux schloss er mit der Malerei ab. Jean Dubuffet ist 1985 gestorben.

Teaserbild: Ausschnitt aus Cité Fantoche, 1963. Landau Fine Art, Montreal und Meggen
Porträt Jean Dubuffet, 1959 © Foto: John Craven / Archives Fondation Dubuffet, Paris

Zur Ausstellung ist ein reich ausgestatteter Katalog erschienen

Bis 8. Juni 2016
Infos finden Sie hier.

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