Ein minimalistischer, gelassener «Nathan der Weise» am Zürcher Schauspielhaus, inszeniert von Daniela Löffner auf Aschegrund.
Das von Gotthold Ephraim Lessing 1779 geschriebene Dramatische Gedicht «Nathan der Weise» steht dann auf den Spielplänen, wenn Vernunft, Toleranz und Humanismus in einer scheinbar aufgeklärten Gesellschaft in Gefahr geraten. Der Streit um die richtige Religion vermischt sich auch heute angesichts von Terror, Flucht und Verfolgung wieder mit jeder Menge Populismus, nationalistischen Ressentiments und blankem Fremdenhass.
Lessing verbarg seine Religionskritik im Gewand eines utopisch anmutenden Lehrstücks über Toleranz. Der reiche Jude Nathan, dessen Familie in der Zeit der Jerusalemer Kreuzzüge von Christen ermordet wurde, zieht das christliche Mädchen Recha auf, das wiederum bei einem Brand in letzter Minute von einem jungen Tempelherrn gerettet wird. Dieser war vom Sultan Saladin wegen einer Ähnlichkeit zu dessen verschollenem Bruder begnadigt worden. Recha und der Tempelherr verlieben sich ineinander. Jedoch verhindert die Aufdeckung ihrer Verwandschaftsverhältnisse eine Heirat. Herzstück von Lessings «Nathan» ist die berühmte Ringparabel: So wie sich ein Ring dem anderen gleicht, lässt sich auch keine der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam der anderen vorziehen.
Kein Weiser, kein Besserwisser
Regisseurin Daniela Löffner stellt Lessings Figuren als Heutige, als Zeitgenossen auf die Zürcher Pfauen-Bühne. Das Stück ist auf das Wesentliche gekürzt, so dass die Vorstellung nicht zu langatmig wird. Die Szenerie ist karg, kaum Requisiten. Dafür rieseln im Scheinwerferlicht unaufhörlich Schneeflocken auf die Bühne. Am Boden sind es Aschefetzen aus Nathans abgebranntem Haus (Bühnenbild: Claudia Kalinski). Ein stimmiges Bild für das frostige Klima in der heutigen Welt.
Spiel in Schnee und Asche (von links): Johannes Sima als junger Tempelherr, Gottfried Breitfuss als Sascha und Robert Hunger-Bühler als Nathan.
Zu Beginn rollen Moslems im Halbdunkel der Bühne zu Muezzin-Gesängen ihre Teppiche zum Gebet aus. Sie tragen Turbane und lange Gewänder, sehen wie verhüllte IS-Krieger aus. Ist das nun die befürchtete Islamisierung des Abendlandes? Das kann man so deuten. Dann nimmt die Lessing-Handlung ihren Lauf: Mit den Worten «Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank. Dass Ihr doch endlich einmal wieder kommt!» begrüsst Sascha, der Erzieher von Recha, seinen mit zwei Rollkoffern heimkehrenden Herrn. Nathan ist in der Inszenierung Löffners kein Weiser, kein Besserwisser, eher ein Skeptiker, ein Realist, der um sein Leben fürchtet und die Ringparabel erfindet, um Sultan Saladin zu besänftigen. Robert Hunger-Bühler liefert eine beeindruckende Darstellung des Nathan, der leichtfüssig, gelassen mit seinem Schicksal hadert. Ein tänzelnder Nathan, der das Leben trotz allem liebt.
Ein aufbrausender Tempelherr
Saladin, geldgierig, machtbesessen und harmoniesüchtig zugleich, ist nur der kleine Bruder seiner Schwester Sittah, die die Fäden im Hause des Sultans zieht. Klaus Brömmelmeier spielt den Herrscher, dem es an Geld und an Wahrheit fehlt, sehr differenziert, mal sorgenvoll und nachdenklich, dann bestimmt und zielgerichtet. Eindrücklich, wie er Nathan in die Enge treibt, dann gepflegt freundschaftlich mit ihm umgeht. Sittah ist bei Julia Kreusch eine machtbewusste Hardlinerin, die nicht vor Mord zurückschreckt und den zum Hinduismus übergetretenen tollpatschigen Schatzmeister Al-Hafi (Christian Baumbach) umbringt. Der Tempelherr, ein Ultra-Christ und Antisemit, der Recha, die vermeintliche Jüdin aus dem Feuer gerettet hat, will nicht wahrhaben, dass er das Mädchen liebt, gibt sich zackig, patzig, burschikos. Und wechselt dann doch auf die Seite der Liebe. Schön, wie Johannes Sima das spielt, aufbrausend, zweifelnd, hin- und hergerissen.
Einem Engel gleich: Elisa Plüss als verspielte Recha. (Fotos: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie)
Elisa Plüss spielt eine selbstbewusste und verspielte Recha, die genau weiss, was sie tut, die nach der grossen Liebe sucht, tanzend für ihren Retter schwärmt wie eine Pubertierende und ernüchtert ihr Geschwisterlos (der Tempelherr ist ihr Bruder) akzeptiert. Grandios ist der kurze Auftritt von Ludwig Boettger als Patriarch von Jerusalem, der in Asche watend sein Urteil «Tut nichts, der Jude wird verbrannt» verkündet. Und Gottfried Breitfuss gibt einen hintertriebenen Erzieher Sascha, der von Rachedurst getrieben seinen Herrn Nathan wegen Recha verrät.
Lessings Stück von 1779 war selten aktueller, zeigt es doch die Fratze des religiösen Fanatismus extrem anschaulich. Daniela Löffner verzichtet in ihrer Inszenierung auf Moden, Gags oder Zwangsaktualisierungen. Sie vertraut dem Text mit seinen Wünschen und Wollen, seinem kultivierten Reden und Überzeugen. Das Premierenpublikum war sehr angetan von der minimalistischen Aufführung und bedankte sich mit grossem Applaus.
Weitere Spieldaten: 10., 12., 15., 18., 24., 30. März, 8., 9., 12., 29. April, je 20 Uhr; 24. März, 15 Uhr.