Mit „Bühne frei für Mick Levčik!“, als Uraufführung inszeniert am Schauspielhaus Zürich, kalauert Regie-Star René Pollesch über Brechts bleibende Bedeutung.
René Pollesch ist bekannt für eigenwillige Inszenierungen. Wer aus einer Pollesch-Aufführung komme, heisst es, könne wenig erzählen, vermutlich könne er nicht einmal über das Stück streiten, denn es gebe darin keine geschlossene Story, es gebe nur Überfalltheater, harte Schnitte, überhitzte Bonmots, Wortkaskaden mit Erzählfragmenten und Theoriepartikeln. In jedem Fall sind seine Aufführungen grundkomisch und äusserst unterhaltsam.
Brecht-Aufführung als Vorlage
Das trifft auch auf seine neuste Inszenierung «Bühne frei für Mick Levčik!“ am Zürcher Schauspielhaus zu. Als Vorlage diente ihm die «Antigone des Sophokles»-Aufführung, die Bert Brecht mit seinem Bühnenbildner Caspar Neher 1948 in Chur inszeniert hatte. Die Aufführung war ein Flop, ist jedoch in einem «Modellbuch» genau dokumentiert. Nach diesem «Modellbuch» ist die Bühne gestaltet: Ein Halbrund aus feuerroten Bambusmatten begrenzt die Bühne nach hinten. Bänke stehen davor, auf denen die Schauspieler auf ihren Einsatz warten. Ihr «Auftritt» ist erst dann, wenn sie zwischen die vier hohen, von Pferdeschädeln gekrönten Holzpfähle treten.
Der 2015 verstorbene Bühnenbildner Bert Neumann hatte die Idee, das Bühnenbild von damals nachzubauen und es damit zum Ausgangspunkt einer theatralen Befragung zu machen: Was sagt uns Brechts episches Theater heute? Darauf gibt Polleschs Inszenierung (es ist mittlerweile sein sechstes Stück am Zürcher Schauspielhaus) keine schlüssige Antwort. Vielmehr nimmt Pollesch die Brecht`sche Dramaturgie zum Anlass, deren Lehrhaftigkeit zu denunzieren, ins Lächerliche zu ziehen, ohne bösartig oder besserwisserisch zu wirken. Mit viel Klamauk wird zitiert, phrasiert, philosophiert, geprobt, um eine bleibende Modellinszenierung zu schaffen. «Wir müssen zitieren, damit wir weiterkommen», lässt Pollesch die Hauptdarstellerin immer wieder sagen. Trotz Beschwörung und Mahnung, Pollesch räumt mit den Tragödien-Klischees auf, verfremdet diese zu einem höchst unterhaltsamen Theaterereignis voller Ironie und Missgeschick. Das Premierenpublikum war begeistert und bedankte sich mit grossem Applaus.
Vier Schauspieler und ein Herrenchor
Vier Schauspieler und ein elfköpfiger Herrenchor spielen das Antigone-Brecht-Spektakel. Anfangs wird eine weisse Wand mit Tür und Aufschrift «Berlin 1945» heruntergelassen. Davor holt eine von zwei Schwestern aus einem gefundenen Wollmantel allerlei Fressalien und Gegenstände hervor, bevor es zur ersten Antigone-Probe geht. Diese Wand taucht immer wieder auf, wenn das Stück nicht recht vorankommt. Der Herrenchor weigert sich, als alte Frau aufzutreten. Lieber will er einen Nazi spielen. Flugs tritt er als SS-Trupp aufs Spielfeld, albert und tanzt ungehemmt herum, fällt jeweils bei Probeende über die Schauspieler her. Immer wieder wird nach dem «Worum» in diesem Stück gefragt. Und die vier stets präsenten Schauspieler kalauern und dozieren auf den Sitzbänken ständig über die im Modellbuch festgeschriebenen Regieanweisungen, bevor sie im definierten Spielfeld ansatzweise die Antigone spielen.
Von links: Chor, Sophie Rois, Jirka Zett, Marie Rosa Tietjen, Nils Kahnwald. (Fotos: Matthias Horn)
Sophie Rois mit ihrer brüchigen Stimme dominiert das Spiel, während ihre Mitspieler (Marie RossTietjen, Jirka Zett und Nils Kahnwald) auffallend zurückhaltend agieren. «Jetzt geh da raus und spiel die andern an die Wand», wird in der Probe-Hysterie in Anspielung auf Helene Weigel gesagt. Rois macht das mit Bravour, verleiht dem Spiel mit ihrem ruppigen Auftritt eine heitere und zugleich dramatische Note, indem sie immer wieder fragend das Geheimnis von Sophokles` Antigone zu entschlüsseln versucht. Lob verdient auch der Herrenchor, der gekonnt herumalbert und meisterhaft choreografierte Showeinlagen hinzaubert. Grossartig ist der Tanz in SS-Uniform und mit Hitlergruss zu «Springtime for Hitler» von John Morris. Pollesch präsentiert mit «Bühne frei für Mick Levčik!» (der Name Levčik steht wohl für Brecht) ein gelungenes Vexierspiel über ein modellhaftes Theater, das zum Scheitern verurteilt ist.
Weitere Spieldaten: 6., 7., 14., 22., 26., 27. April, 27. und 30. Mai, je 20 Uhr; 24. April, 15 Uhr; 5. und 22. Mai, je 19 Uhr.