Christa Wolf, Siri Hustvedt und Volker Weidermann – sie nähern sich dem Begriff „Sommer“ von verschiedenen Seiten seiner Bedeutung.
„Sommer“. Am Strand, auf dem Balkon, unter dem Sonnenschirm, ein Buch in den Händen. Die Luft duftet, kühlende Atemzüge des Windes streichen über die Haut.
Es gibt sie seit Zeiten, diese Autoren, welche den Zauber des Sommers berühren lassen. Theodor Storms den Sommerhut in den Händen tragende, vom Gesang der Nachtigall ins Grübeln gestürzte Frau, die nicht weiss, was beginnen, ist nur eines von zahlreichen idyllischen und poetischen Beispielen. Der Sommer, den Rilke so gross preist, gehört ebenso dazu, wie das Blatt aus sommerlichen Tagen, das sich so im Wandern mitnehmen lässt, um uns „dereinst zu sagen, wie laut die Nachtigall geschlagen, wie grün der Wald, den ich durchschritt“ (nochmals Storm, man verzeihe).
Sommer des Abschieds
„Sommerstück“ von Christa Wolf (1929-2011) erschien im Jahr des Mauerfalls (1989) zum ersten Mal im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar (damals noch DDR). Einige interpretierten den Roman gleich als den literarisch sublim verarbeiteten Abschied von der DDR, an welcher schon damals, nicht erst heute, wo DDR-Nostalgie salonfähig geworden ist, Christa Wolf auch Positives sah. Das vorliegende Suhrkamp Taschenbuch (1. Auflage 2008) enthält jedoch einen Kommentar der Autorin, der diese Interpretation nicht stützt: „Dieser Text wurde in seinen frühen Fassungen bis 1982/83 niedergeschrieben … Er wurde 1987 für den Druck überarbeitet. (…)“
Cover des Suhrkamp-Taschenbuchs, 3. Auflage 2013, ISBN 978-3518-45941-6
Trotzdem ist es die Geschichte eines Abschied-Sommers. Frauen und Männer sitzen fröhlich zusammen, feiern in einem abgelegenen mecklenburgischen Dorf („…das die Form eines Katers hat…“) ihre Sommerabendfeste mit Wein und gutem, selbst gebackenem und gegrilltem Essen. Sie kommen aus der Stadt, mieten und kaufen Häuser, bauen sie um, richten sie ein. Diese Geschichte und ihre Geschichten könnte man fast banal verstehen, hätte die Autorin nicht eine einzigartige Gabe. Sie versteht es, neben einer vielseitigen Symbolik, welche die Erzählung prägt, kunstvoll die Schatten einer Zukunft einzuweben, in der alles bereits verloren ist. Schon im ersten Abschnitt des Textes: „Jetzt, da alles zu Ende ist…“ – „Jetzt, da Luisa abgereist, Bella uns für immer verlassen hat, Steffi tot ist, die Häuser zerstört sind, herrscht über das Leben wieder die Erinnerung.“
Immer wieder sind solche erzählerische Reminiszenzen eingeflochten. Sie halten eine Art von melancholischer Abschieds- und Verluststimmung wach und holen sie immer wieder aufs Neue hervor. Da gibt es Menschen, die sich freuen und auch leiden, sei es an zukunftsloser Krankheit oder an sich selbst, an ihrer eigenen Unfähigkeit, die Bedeutung dieses Sommers zu einer sozusagen alltäglichen Sache zu verfestigen. So wie sie ihre Häuser vor dem Zerfall baulich retten. Man kann sie richtig lieben, Christa Wolfs Kunst, vom Inneren und Äusseren, vom Gegenwärtigen und Vergangenen zu berichten. Mit einem Reichtum an sprachlichem Ausdruck und an eindrücklichen, sinnlichen Bildern, welche der Autorin zu Recht die Würde einer Dichterin verleihen.
Es gibt ein paar besonders beeindruckende Stellen in dieser Erzählung. Sie bilden ab, lassen Handlung werden, was Christa Wolf – übrigens auch in anderen Erzählungen, zum Beispiel in „Kein Ort. Nirgends“ – über Innenwelten und Aussenwelten weiss und verständlich darzustellen imstande ist. Was für eine Symbolkraft liegt doch in den Schilderungen des Umgangs mit den Kindern! Welche irrationale Bedeutung liegt in der Schilderung der Aufführung des improvisierten Theaterstücks durch die Freunde und die Kinder! Da spiegeln sich diese Innenwelten und Aussenwelten der doch oft in gespannten Beziehungen zueinander Stehenden, da kippt die fiktive Theaterhandlung in die Wirklichkeit und wieder zurück. – „Sommerstück“, ein wundersames Gleichnis von Leben und Vergehen, von Ankunft und Abschied…
Sommer des Wiederfindens
Cover des Buchs, deutsch von Uli Aumüller („The Summer Without Men“, 2011). Rowohlt Verlag, Hamburg 2011; ISBN 978-3-498 03020 0.
„Der Sommer ohne Männer“ – einen solchen beschreibt die Amerikanerin Siri Hustvedt (geb. 1955), eine so intelligente, belesene wie wortgewandte Schreiberin. Alle ihre Bücher – „Die unsichtbare Frau“, 1993, „Was ich liebte“, 2003, „Die zitternde Frau“, 2010, „Die gleissende Welt“, 2015 (als bisher letztes Buch erschienen, noch nicht gelesen) – gehen aus von einer Spannung zwischen Mann und Frau, zwischen psychischen und verhaltensmässigen Konflikten, die einerseits in der menschlichen Natur, andererseits aber auch in den gesellschaftlichen Normen und Vorgängen liegen. Diese Erzählungen und Berichte sind zum Teil auch eine Art Mischung zwischen Krankengeschichte, Selbsterforschung und Rechenschaftsablage. Alle Bücher stehen auch in Beziehung zu Literatur und Kunst.
Im vorliegenden Buch schildert die Autorin eine „Pause“. Ein Begriff, der sowohl die Eröffnung des Gatten Boris, er brauche eine solche von der Ehe, als auch die Ursache dieses Bedürfnisses bezeichnet, die junge Kollegin des Neurowissenschaftlers.
Als erstes versinkt die schockartig Verletzte in einen stationär zu behandelnden Nervenzusammenbruch. Dann folgt schrittweises Aufrappeln und Wiederherstellen weitab vom Wohnort New York, in einem gemieteten Haus in der Provinz, nahe ihrer Mutter, die in einem Seniorenheim lebt.
Katalysatoren der persönlichen Wiederherstellung der seelisch verletzten preisgekrönten Dichterin Mia sind die Menschen ihrer Umwelt. Neben der Mutter spielt vor allem die eigene Tochter, Schauspielerin in einer Sommer-Produktion, eine grosse Rolle. Beinahe ebenbürtig in Bedeutung und Wirkung stehen auf der einen Seite die drei hochbetagten Freundinnen der Mutter, auf der anderen die sieben Mädchen einer Ferienkurs-Klasse mit dem Thema „Gedichte schreiben“. Was die Autorin da an feinfühligen Einzelheiten bei den Alten wie bei den Jungen zusammenträgt und ergründet, zeugt von psychologisch wie empathisch hoch entwickelter Kunst im Ausdenken und Beschreiben. Zahlreiche eingewobene Zitate aus der Weltliteratur wirken auch nicht in Ansätzen so, als wollte Siri Hustvedt sozusagen ihre umfassende Bildung auf diesem Gebiet dokumentieren.
Neben den pubertären Mädchen ihres Kurses hat auch hier, wie Christa Wolfs Littelmary im „Sommerstück“, das kleine Mädchen Flora eine wichtige formale und erzählerische Funktion. Die Verwandtschaft der beiden kindlichen Gestalten als Leitmotive in den Werken der beiden Frauen ist vor allem auch in dieser Verbindung untereinander recht interessant und regt zum Nachdenken an.
Der Sommer des Zusammenbruchs
1936 befand sich ein Kreis von Vertriebenen aus den von Nationalsozialisten beherrschten oder beeinflussten Gebieten in Ostende, bevor sie sich nach diesem Sommer in die endgültige Emigration absetzten, vorwiegend in die USA. Stefan Zweig (1881-1942) und sein Freund Joseph Roth (1894-1939), dessen Geliebte Irmgard Keun (1905-1982) weilten dort, neben vielen anderen illustren Intellektuellen und Künstlern, aus jüdischen oder anderswie von den Nazis verfolgten Kreisen. Irmgard Keun zum Beispiel war zwar Arierin. Sie versuchte, gegen Bücher- und Arbeitsverbote der Nazis zu kämpfen, indem sie mehrere Klagen vor deutschen Gerichten einreichte – erfolglos natürlich. Doch so wurde sie ebenfalls zur Verfolgten.
Cover des Buchs, btb Verlag, 2015.
ISNB 978-3-442-74891-4
Volker Weidermann (geb. 1969), vormals Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, seit Mai 2015 beim „Spiegel“, beschreibt so weitläufig wie spannend sowohl alle diese Persönlichkeiten als auch die zum Teil in mancherlei Hinsicht miserable Lage, in welche sie der Lauf der Zeiten und die teils hasserfüllten, teils grossmäulig unbedarften Aktivitäten ihrer Verfolger gebracht haben. Im Taschenbuch, 2015 erschienen, verweist er auf Stefan Zweigs „Welt von Gestern“ und auf das Jahr 1914, wo der anerkannte, ja berühmte deutsche Autor zum ersten Mal aus dem Bade- und Kurort Ostende Hals über Kopf ausreiste, zurück nach Wien, wo er die Vorgänge um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wie viele Andere leider auch, patriotisch, begeistert, berauscht kommentierte. „Ostende 1936, Sommer der Freundschaft“ schildert die unheilschwangeren Tage im Zusammenhang mit den Ereignissen vor dem Zweiten Weltkrieg. Hitler marschiert ins Rheinland ein und kündigt die Locarno-Verträge; der spanische Bürgerkrieg bricht aus und mutiert sofort zu einer Art Stellvertreterkrieg; der Einmarsch in Österreich zeichnet sich ab und der Kriegsausbruch lässt sich ahnen. Einzelne der Freunde, die sich zum letzten Mal in Ostende treffen, gesellen sich in Spanien zu den antifaschistischen Kämpfern, andere vereisen schon jetzt in die Emigration.
Es gelingt Volker Weidermann, die bedrohliche Welt-Stimmung und den unter ihr teils bangenden, teils hoffenden Freundeskreis in aussagekräftige Beziehungen zu bringen. Tage vor dem Untergang des Alten Europas verbindet er mit der ausschweifend leidenschaftlichen Liebesgeschichte von Joseph Roth mit der jungen Irmgard Keun, die dem Autor von „Hiob“ und „Radetzkymarsch“ höchste Erfüllung nebst dem vollkommenen Verlust der Kontrolle über seine Alkoholsucht bringt.
Die ganze Sache ist (wiederum!) eine Geschichte des Abschieds, mehr noch, des Zerfalls. Und wiederum ist es eine Art von „Letztem Sommer“. Klingt’s da nach Hölderlin? „Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen! (…)“. (Erste Zeile von „An die Parzen“.) Oder nach Hesse? («Klingsors letzter Sommer».) Doch – obschon dieses Sommerbuch als literargeschichtliches Sachbuch gelten kann – es klingt auch nach der Abschieds-Wehmut von „Sommerstück“. Und als letztes erinnert man sichbeim Lesen dieses «1936, Sommer der Freundschaft» an Churchills Worte bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: „Die Lichter in Europa sind heute ausgegangen, und nicht mancher, der dabei ist, wird erleben, wie sie wieder angehen“ (dem Sinn nach zitiert).
Siri Hustvedt, Sommer ohne Männer
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Unter dem Titel «Sommerwelten» veröffentlicht die Seniorweb-Redaktion bis Mitte August persönliche Sommereindrücke und -erlebnisse. Jedem Redaktionsmitglied war es freigestellt, ein spezielles Sommerthema auszuwählen.
Links zu bereits erschienenen Beiträgen «Sommerwelten»:
– Schmetterlinge im Bauch (Brigitte Poltera)
– Surfen (Judith Stamm
– Sommerfarben (Bernadette Reichlin)
– Lesen, lesen, lesen… (Joseph Auchter)