Eine eher selten gespielte grosse Verdi-Oper im Theater Basel führt die Verkettung von Schicksalen innerhalb kriegerischer Zeitläufte vor Augen – aktuell wie eh und je.
Macht eines wie auch immer definierten Schicksals – oder Macht der Mächte, die uns umtreiben und somit beherrschen? «Denn mit des Geschickes Mächten / ist kein ew’ger Bund zu flechten, und das Unglück schreitet schnell» erkannte schon Schiller, 36 Jahre, bevor Giuseppe Verdi den Stoff des spanischen Autors Angel’ de Saavedra aufgenommen und mit Hilfe seines Librettisten Francesco Maria Piave zu einer Oper umfunktioniert hatte. Doch im Falle dieser mit tödlicher Konsequenz voranschreitenden Verkettung hatten die beiden Hauptprotagonisten, Leonora di Vargas und Don Alvaro, erst gar keine Chance, ihren ersehnten Bund zu flechten. Verdi selbst nannte seine erste Fassung von «La forza del destino» für die Uraufführung von 1862 in St. Petersburg «eine Häufung von Unglücksfällen und Unwahrscheinlichkeiten». Doch auch in der durch den zweiten Librettisten Antonio Ghislanzoni geänderten und in Mailand mit grossem Erfolg aufgeführten Neufassung von 1869 herrscht das unausweichliche Fatum vor, welches, ganz nach antikem Vorbilde, keinen anderen Schluss als den Untergang (fast) aller Beteiligten fordern muss.
Zwei Handlungsgerüste
Zwei Handlungsgerüste tragen diese Oper. Zum einen ist es die bemerkenswert unglückliche Liebesgeschichte von Leonora und Alvaro. Leonoras Vater, ein hochfahrender spanischer Hidalgo aus dem altem Geschlecht der Calatravas, lässt eine «das reine Blut beschmutzende» Verbindung seiner Tochter Leonora mit dem Mestizen Alvaro, einem etwas diffus umschriebenen Abkömmling aus altem Inka-Herrschergeschlecht, nicht zu. Beim Fluchtversuch der beiden Liebenden löst sich unbeabsichtigt ein Schuss aus Alvaros Pistole und setzt damit eine blutige Rachetragödie in Gang. Die beiden Liebenden verlieren sich innerhalb der draussen tobenden Kriegstumulte bei der Flucht aus den Augen und finden sich nach Jahren erst wieder, als Alvaro, von Leonoras Bruder Carlo aufgespürt und zum Duell genötigt, diesen Bruder eben tödlich verwundet hat. Damit nicht genug der Tragödie: Als sich Leonora weinend über den Sterbenden beugt, ersticht dieser die Schwester – die Rache für den «Vatermord» ist wenigstens an ihr gesühnt. In der ersten Fassung für die Uraufführung am Zarenhof von St. Petersburg liessen Piave und Verdi auch Don Alvaro noch durch Suizid sterben. In der heute meist gespielten Fassung der Erstaufführung an der Scala von 1869 bleibt Alvaro als einziger Überlebender fassungslos und blutbefleckt zurück.
Aquiles Machado © Sandra Then
Soweit die Haupthandlung, für die Verdi einige der wohl schönsten Arien der gesamten Operngeschichte geschrieben hat. Doch Giuseppe Verdi, fast gegen seinen Willen zum Senator innerhalb des Risorgimentos, der Unabhängigkeits- und Einigkeitsbestrebungen Italiens, ernannt, wäre sich nicht treu gewesen, wenn er nicht menschliche und politische Tragödien ineinander verquickt hätte. «… So wird auch für uns der Tag anbrechen, an dem wir sagen können, einer grossen und edlen Nation anzugehören.» (Verdi 1859 in einem Brief an den Bürgermeister seines Wohnorts Busseto)
Eine Oper vor drängendstem Zeithintergrund
Zwei ganze Akte der Oper sind den Leiden des Volkes und der Verrohung der Soldateska innerhalb des – hier bei Verdi – österreichischen Erbfolgekrieges aus dem achtzehnten Jahrhundert gewidmet. In Wirklichkeit waren aber – für das damalige Publikum sonnenklar – Italiens damals aktueller Widerstand und die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Mailand, die Lombardei und Venetien besetzenden Habsburgerreich gemeint. Diese endeten vorläufig 1859 in der Schlacht von Solferino mit dem Sieg gegen Österreich. Das schreckliche Blutbad von Solferino veranlasste bekanntlich den Genfer Henry Dunant zur Gründung des Roten Kreuzes.
Anaïk Morel und der Chor Theater Basel © Sandra Then
Eine Oper also vor drängendstem Zeitgeist-Hintergrund, dem Verdi nicht ausweichen konnte beziehungsweise wollte. Er führte in die Volks- und Soldatenszenen zwei glanzvolle Nebenrollen ein. Zum Ersten die dem Tross folgende Wahrsagerin Preziosilla (Anaïk Morel mit schönem Mezzo), eine zum patriotischen Krieg aufrufende, verführerische Kriegshetzerin, und den Franziskaner Melitone, welcher der Menge eine polternde Kapuzinerpredigt à la Schillers «Wallensteins Lager» hält. Mit diesen beiden Figuren, welche Verdi in einem Brief von 1861 selbst als «äusserst wichtige Partien» eingestuft hatte, sind wir auch schon bei der Inszenierung des Ostberliners Sebastian Baumgarten angekommen.
Jihad verso Religionskitsch
Er verzichtet, beeindruckend unterstützt vom Video-Künstler Chris Kondek, in fast allen Szenen auf Romantik und Gefühlsduselei. Mit einer Ausnahme: jener des Klosters mit dessen Abt Padre Guardiano. Diese Innenszenerie der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes quillt über von – sicherlich bewusst eingesetztem – Religionskitsch. Ihre durchaus nachvollziehbare Kirchenskepsis führt sie hier in die Irre: das geht einfach daneben und ist nur noch peinlich: Kirchenkitsch versus Bühnenkitsch. Die sonstige Szenerie ist beherrscht von einem eher zufällig anmutenden, aufgefächerten Kubus, der die verschiedenen Spielebenen ermöglicht; aber mit hilflosen Vorhängen-auf-und-zu ist es eben nicht getan. Und um auf den nahe liegenden Vergleich mit den heutigen kriegerischen Auseinandersetzungen in der islamischen Welt zu verweisen, rührt Baumgarten eine Art Politmus mit Jihad-ähnlicher Gestik und Ausstattung (Kostüme Marysol del Castillo) an.
Hervorragende Besetzung
In solch verstellter Szenerie bewegt sich mit bewundernswertem Anpassungsvermögen (Choreographie Kinsun Chan) der wie immer grossartige Basler Theater- und Extrachor (Leitung Henryk Polus). Ganz generell dürfte die eher seltene Aufführung dieser Oper auch darauf zurückzuführen sein, dass ein erstklassiger grosser Chor zur Verfügung stehen muss. Ein weiteres Faktum hiefür ist in der Besetzung zu suchen: Nicht weniger als vier grosse Partien für das dunkle Stimmfach – je zwei Baritone und Bässe – geben der Oper das düstere, unheilvolle Gepräge, das der Stoff verlangt – in Basel mit Vladislav Sulimsky als Don Caro di Vargas, Pavel Kudinov als Marchese di Calatrava, Evgeny Stavinsky als Padre Guardiano und Andrew Murphy als Fra Melitone durchwegs hervorragend besetzt. Sie und das Sinfonieorchester Basel profitierten alle von der engagierten Stabführung des jungen lettischen Dirigenten Ainars Rubikis, dessen Tempi sowohl Musik als auch Ausführenden Zeit gaben, sich zu entfalten, ohne jemals zu schleppen oder zu hetzen.
Elena Stikhina, Evgeny Stavinsky © Sandra Then
Anrührend strahlender Star der Aufführung
Inmitten all dieser Dunkelheit blühte sieghaft und anrührend eine Stimme auf, welche diese Aufführung zu einem unvergesslichen Erlebnis machte: die russische Sopranistin Elena Stikhina, deren Stern erst vor knapp drei Jahren am internationalen Opernhimmel aufgegangen ist, und deren strahlend aufblühender Sopran nicht nur von ihrer Schönheit, sondern auch von schauspielerischen Fähigkeiten unterstützt wird – eine Sopranistin, der man später noch nachreisen wird! Sie und, in etwas geringerem Masse, auch der venezuelanische Tenor Aquiles Machado als Don Alvaro konnten mit dem ganzen Ensemble am Premierenabend donnernden Applaus entgegennehmen.
Elena Stikhina, Chor Theater Basel © Sandra Then
Theater Basel
Nächste Aufführungen: 28. und 31. Oktober.; 2. und 5. November