StartseiteMagazinGesellschaftScheitern? Jedes Handeln ist ein Wagnis

Scheitern? Jedes Handeln ist ein Wagnis

Mit der Ausstellung *Ein Knacks im Leben» zeigt das Vögele Kultur Zentrum Formen des Scheiterns und feiert parallel dazu den Erfolg seines 40-jährigen Bestehens.

„Ein Knacks im Leben. Wir scheitern … und wie weiter?“ Monika Vögele, die Leiterin des Vögele Kultur Zentrums, will ihren Gästen ein aktuelles, schweres Thema luftig und leicht überbringen. Szenograf Daniel Hunziker bettet die Ausstellung rund um einen möglichen Schiffbruch ein, zwischen Segel, Treibholz und Felsen.

Ausstellungsansicht Vögele Kultur Zentrum «Ein Knacks im Leben. Wir scheitern… und wie weiter?» Foto: Katharina Wernli Photography

Scheitern liegt am Puls der Zeit

Wir drängen nach Perfektion. Belohnt wird der Beste. In der Ausstellung erscheint als Symbol für das Unerreichbare zweimal der Turm von Babel. Der Turmbau ist gescheitert. Daraus entstanden ist die sprachlliche und kulturelle Vielfalt als gemeinsames Erbe der Menschheit.

Die Ausstellung beleuchtet das Scheitern aus sechs Blickwinkeln:
Nur wer handelt, kann scheitern
Scheitern ist eine Zuschreibung, die nicht alle teilen müssen
Kunst zeigt die potenzielle Kraft gescheiterter Prozesse
Scheitern bewegt sich zwischen Traum, Mut, Hybris und Tragik
Es kommt drauf an, was man draus macht
Scheitern heisst, einmal mehr aufstehen müssen

Menschen scheitern täglich

Nicht jedes Scheitern bedroht unsere Existenz. Die erfolglose Suche nach einem Parkplatz bedeutet lediglich Ärger. Scheitern gehört zum Alltag. Heike Bollig sammelt für ihr Kunstprojekt Errors in Produktion fehlerhafte Massenprodukte, nennt sie Abweichung von der Norm und verwandelt den Ausschuss in geschätzte Unikate. Sie lädt die Besucher ein, ihre Sammlung mit eigenen Produkten zu erweitern. Unter „Jeder macht Fehler“ illustriert eine Grafik wie viel in einem Leben schief gehen kann, von der vermasselten Führerscheinprüfung bis zur Ehe.

Haubitz + Zoche;  King Sinefro, 2003, aus der Serie Sinai Hotels, C-Print, 70 x 84 cm. © 2016, ProLitteris, Zurich

Die Baute im Bild gehört zu einem Hotelprojekt auf der Halbinsel Sinai, das einem Baustopp zum Opfer gefallen ist. Sein Name King Sinefro suggeriert die Ruine als Ort der Hoffnung und der Träume.

Scheitern ist selten ein objektiver Befund

Das Umfeld urteilt mit. Scheitern ist eine Zuschreibung, die nicht von allen geteilt werden muss. Das beweist eine Umfrage der Kuratoren unter Passanten der Zürcher Europaallee. Sie wurden gefragt, welche Chancen sie dem neuen Quartier geben, ein beliebter öffentlicher Raum zu werden und eine eigene urbane Identität auszustrahlen.

Aus gescheiterten Prozessen wachsen neue Schöpfungen, die von der ursprünglichen Idee abkehren, auch witzige und charmante und solche mit hintergründigem Humor. Grotesk der Versuch, ein kaputtes Werk von Mondrian zu rekonstruieren oder sich mit einer absurden Technik einen Hut auf den Kopf zu setzen. Und keiner kann wohl so lustvoll mit dem Scheitern umgehen wie der Clown, wie die Filmausschnitte und Bilder von Charlie Chaplin und von Dimitri im Zirkus Knie in der Ausstellung beweisen.

Janne Lehtinen Birdman, aus der Serie Sacred Birds, 2004, Pigment-Print auf Aluminium. Courtesy the artist and Gallery Taik Persons, Berlin

Wie schillernde Seifenblasen ziehen Wünsche in Träumen durch die Köpfe der Menschen. Hoffnungen und Befürchtungen wirken mit, Risiken werden abgewogen und Mut aufgebaut. Selten gibt es beim Beginn einer Handlung absolut sichere Pläne. Das Schicksal oder die Hybris können zum Scheitern führen.

Ein tragisches Scheitern von Menschen wird dokumentiert mit dem SRF Film „Ganz unten – ein Ort im Jura, wo scheitern erlaubt ist“ von Beat Bieri. Im Hospice Le Pré-aux-Boeufs in Sonvilier leben Leute am Ende ihrer menschlichen Karriere und Betreuer freundlich und verständnisvoll zusammen.

Aus Fehlern lernen

Scheitern allein macht noch nicht gescheiter. Hingegen erweitert das Scheitern den Erfahrungsschatz und kann zu Erfindungen und zur Qualitätsentwicklung in allen Lebensbereichen führen. Manche Schäden kann man flicken. In Asien hat das Reparieren von Keramik und Porzellan mit Lack und Gold zur Kunstform Kintsugi oder Kintsukuroi geführt. Damit werden Schalen und Gefässe aufgewertet. Aus Fehlern sind Erfindungen entstanden, wie das Coca Cola, der Herzschrittmacher, der Post-it-Zettel, der Käse und das Penicillin.

Pascal Häusermann The End?, 2006, Backsteine mit Gravuren, 205 x 170 x 180 cm. Foto: Katharina Wernli Photography

Im letzten Teil der Ausstellung treten die Kuratoren Simone Kobler, Ulrike und Theo Wehner ein für eine Kultur des Scheiterns mit einer sogenannten Fehlerfreundlichkeit. Die Auseinandersetzung mit dem Scheitern bedeute, einer rein leistungsorientierten, erfolgssüchtigen Zeit den Spiegel vorzuhalten und sie zum Innehalten abzuregen. Scheitern soll nicht der Gegenpol zum Erfolg sein, sondern dazu führen, ein Bewusstsein für das real Machbare zu erlangen, ohne schöpferisches Potenzial zu unterdrücken und ohne Lebensträume aufzugeben.

Wertvolle Kommentare  im Vögele Kultur Bulletin No 102

Ludwig Hasler bringt in einem Essay das Bild der zerrissenen Jeans als Beispiel dafür, dass Menschen der scheinbaren Vollkommenheit unserer Welt überdrüssig sind. Das Glück zwänge sich durch Risse und gleite nicht durch Makellosigkeit ins Leben. Haslers Essay vom „Störfall Mensch“ gehört zu den Kommentaren von 16 Autoren im Vögele Kultur Bulletin 102/2016. Sie befassen sich alle mit dem Weiterleben nach dem Scheitern.

40 Jahre Vögele Kultur Zentrum
Die Jubiläumsausstellung

Am 4. November 1976 wurde das Seedamm Kulturzentrum mit einer Ausstellung von Hans Erni feierlich eingeweiht. Seither sind 40 Jahre vergangen. Das Haus hat sich weiterentwickelt, doch steht es immer noch für ein starkes privates Engagement in der Kunst- und Kulturvermittlung.

Zur Feier des runden Jubiläums präsentiert die Stiftung im Mezzanin eine Ausstellung der besonderen Art. Die Künstlerin Mara Truog erkundet mit ihrer Kamera Ausstellungsräume, Kunstdepot, Werkstatt, Kellere und Büros und das Dach. Durch die ungewöhnlichen Perspektiven und mit dem Spiel der Tiefenschärfe entstanden poetische Fotografien, die in der Jubiläumsausstellung gezeigt werden, zusammen mit historischen Dokumenten und mit Bild- und Tonmaterial aus 40 Jahren Ausstellungs- und Sammlungstätigkeit. In einer eigenen kleinen Ausstellung werden auch ausgewählte Werke der Sammlung «Moderne Kunst, unsere Gegenwart» des Vögele Kultur Zentrums, die auf zeitgenössisiche Schweizer Kunst fokussiert, gezeigt.

Vögele Kultur Zentrum: Die Jubiläumsausstellung. Foto: Katharina Wernli Photography

Jubiläumssonntag am 27. November 2016
Uner dem Motto «eine einzigartige Vision bleibt aktuell» wird den ganzen Tag Geburtstag gefeiert. Neben einem Podiumsgespräch mit Agnes Vögele, Dr. Fritz Billeter (Kunstkritiker und Publizist), Wegbegleitern und Insidern, werden Führungen und Künstlergespräche angeboten und ein Blick hinter die Kulissen ermöglicht. Es gilt der Eintrittspreis wie vor 40 Jahren: CHF 2.20.

Eine Sonderausgabe des Vögele Kultur Bulletins bietet einen Rückblick auf 40 Jahre Kulturschaffen und eine Vorschau auf die nächsten Jahre.

Vögele Kultur Zentrum

«Ein Knacks im Leben. Wir scheitern … und wie weiter?
Ausstellung 20.11.2016-26.3.2017

Jubiläum «40 Jahre Vögele Kultur Zentrum»

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