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Weihnachtsbäume meines Lebens

Erinnern ans Kerzenlicht in der dunklen Jahreszeit

Kleinkind: An meinen ersten Weihnachtsbaum erinnere ich mich ebensowenig wie an meinen ersten Geburtstag. Es gibt ein Foto, auf dem das elf Monate alte Kind staunend und fasziniert in die „Liechtli“guckt, wie das Bild im Album von Vater beschriftet wurde.

Schulkind: Es gab jeweils mehr als einen Weihnachtsbaum im Verlauf der Feiertage – als erstes den riesigen in der Kirche bei der Sonntagsschulweihnacht, dann den zuhause, und zuletzt den in Mutters Heimat, einem Bauernhaus mit Kühen, deren ranggen man nachts im Bett des hinteren Zimmers hörte, wo ich ab und zu nächtigte. In der grossen reformierten Kirche faszinierte mich jeweils vor allem eins: die Zündschnur, mit der die Kerzen an der Riesentanne angezündet wurde: Wieviele kann sie entflammen, wieviele muss der Siegrist mit dem langen Stab mit Kerze drauf danach noch anzünden?

Zuhause stand Heiligabend jährlich eine kleine Rottanne, geschmückt viele Jahre, oder auch jahrzehntelang mit den gleichen Kugeln, Lamettagirlanden und dem Lamettastern zuoberst. Nie hätte ich eine der noch immer üblichen Christbaumspitzen gewollt, der glitzernde grosse Stern hatte eine besondere Magie für mich. Unverzichtbar war dagegen das mit rotem Knopflochstich gerahmte Folienherz mit Fensterchen, gebastelt von Moritzli, einem Cousin. Ebenso unverzichtbar war das damals nur bei uns gesungene Lied Mit stillem Schweigen sinket herab die heilge Nacht, welches bis zum Tod meiner Mutter zum Repertoire gehörte. Wie erstaunt war ich, unlängst eine weitere Strophe zu entdecken – Internet sei Dank.

Am Weihnachtstag dann die abendliche Fahrt im Ford Taunus ins Heimatdorf der Mutter, wo wir mit der Grossfamilie eine zweite Weihnacht feierten. Tannenbäume unterwegs – davon gab es einige: wir Kinder spähten links und rechts aus dem Auto ins Dunkel. Ziel war es, die bereits mit Kerzen erleuchteten Christbäume hinter den Fenstern zu zählen. Lichterketten und andere Lichtverschmutzung der Aussenwelt gab es damals noch kaum.

Beim Kachelofen in der Bauernstube wiederum Tradition: Weihnachtsessen, Lichterbaum Geschenke, der Gesang aus doppelt so vielen Kehlen, dazu Onkels Handorgelspiel. Etwas später – der gute Wein beflügelte die Grossen, die Bescherung die Kinder – wurde das Repertoire ausgeweitet, bis es bei Schwäbische-Bayrische Dirndln, juchheirassassa anlangte – höchste Zeit für ab ins Bett, später Abschied und Rückfahrt.

Vielleicht noch ein Tannenbaum meiner Jugend? Mitten im Wald, mit den Pfadi. Eine hinter der anderen auf kaum sichtbarem Pfad bis zu einer hübsch gewachsenen (von den Grösseren bei Tageslicht zuvor gewählten) Tanne, jede steckte ihre brennende Kerze an das Tännchen – besinnliche, berührende Zeremonie.

Junge Frau: Die Rituale im Elternhaus wurden leicht angepasst, aber aufrecht erhalten, die Familie wurde wieder grösser, der Chor für das Tannenbaumlied vielstimmiger. Die Entzauberung liess ich für mich insgeheim nie zu. Ich liess mir den Christbaum nicht nehmen, auch in der Studentinnenbude nicht, auch wenn er weniger mit dem biblischen Mythos als mit urtümlichem Lichterbrauch zu tun hatte. So nagelte ich ihn einmal aus Lättchen zusammen, malte das Gerüst grün an – wie grün sind deine Blätter – und klebte kleine Geburtstagskerzchen auf die Lattenzweige, hängte winzige Äpfelchen drunter.

Im besten Alter: Da wir eine Sammlung von Erbstücken – ja, das Moritz-Herz ist auch dabei, dazu aber auch uralte Salzteigfiguren, Hergiswiler Glaskugeln aus den Siebzigern und über 100jährigen Baumschmuck haben, der schon Urgrossmutters Baum zierten, stelle ich uns jährlich den Weihnachtsbaum auf. Ganz traditionell: ein oft eher mageres Rottännchen immer mit fünfzehn Kerzen und den ewig gleichen Stücken aus der immer gleichen Pappschachtel geschmückt. Zwar fehlt uns die Kinder- und Enkelschar für den Chor, es bleibt still und besinnlich, aber Oh Tannenbaumund die anderen alten Lieder kann ich in der Küche auch allein singen.

Mag einer sagen, das sei Kitsch, ich halte dagegen: Lange kalte Nächte brauchen warmes Licht. Das wichtigste Lied unterm Christbaum meiner Kindheit will ich Ihnen nicht vorenthalten:

Der Christabend 
Carl Ludwig Theodor Lieth (1776-1850) 

Mit stillem Schweigen sinket 
Herab die heil’ge Nacht, 
Gar hell und lieblich blinket 
Des Abendsternes Pracht; 
Als wollte er mich fragen, 
Wer heut geboren ist: 
Ich kann es ihm wohl sagen, 
Es ist der heil’ge Christ. 

Der Heil’ge kam von Oben 
Und war der Kinder Freund, 
Ihn will ich liebend loben, 
Daß er’s so gut gemeint, 
Voll Milde und Erbarmen, 
Mit Vaterlieb› und Lust, 
Trug er sie auf den Armen, 
Drückt er sie an die Brust. 

Wohl nicht in Menschenweise 
Wohnt er auf Erden mehr, 
Nur unsichtbar und leise 
Noch wandelt er umher; 
Er suchet seine Kleinen 
Und sucht von Haus zu Haus, 
Und wo sie fromm erscheinen, 
Da geht er ein und aus. 

Ich will zur Ruh› mich legen, 
Und betend schlaf› ich ein! 
Ich träum› von seinen Segen 
Und möchte bei ihm sein. 
Möcht› ihm mich dankend neigen, 
Dem lieben, heil’gen Christ, 
Der in der Weihnacht Schweigen 
So nah den Kindern ist. 

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